
Florian Berg möchte sprechen und kann oft nur stottern. Er will manchmal rennen, aber stolpert still vor sich hin. Er will sogar küssen und sieht doch zuerst den Leberfleck über Lines Mund. Er ist der beispielhafte Antiheld seiner Generation: matt, witzig, böse und voller Sehnsucht.
Florian Berg ist der menschgewordene Widerspruch. Kein Wunder bei diesen Eltern. Der Vater ist Pastor und in ihrer niedersächsischen Gemeinde für die Hochzeiten zuständig, die Mutter ist Pastorin und übernimmt die Beerdigungen. Florian zieht zum Studium nach Leipzig, doch die Widersprüche ziehen mit: Er ist Couch-Potato und Abenteurer, fühlt sich zu Mädchen hingezogen und von ihnen abgestoßen, er sehnt sich nach Liebe und hat Angst vor ihr. Bis er sich eines Tages von der Couch erhebt und auf große Tour geht. Kaum unterwegs, stellt er fest, dass er die größte Rechnung noch mit sich selbst begleichen muss.
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Ich lade euch alle ganz herzlich ein, an der Leserunde zu meinem Debütroman "Florian Berg ist sterblich" teilzunehmen. Ich bin sehr gespannt auf alle Leseeindrücke und werde natürlich selber mitdiskutieren.
Bewerbt euch mit einem Klick auf den blauen "Jetzt Bewerben"-Button und im Unterthema "Bewerbung/Ich möchte mitlesen", gerne mit ein paar Worten dazu, warum ihr mein Buch lesen möchtet und was ihr erwartet.*
Und hier noch eine kleine Leseprobe, die allerdings noch nicht zu viel verrät:---
Leseprobe aus "Florian Berg ist sterblich"
An Florians fünfzehntem Geburtstag wurde Wulsbüttel zum ersten Mal in der Tagesschau erwähnt. In der Nacht zuvor war der zehnjährige Sebastian aus einem Schlafsaal des Dreptehofs verschwunden. Der Dreptehof war eine Herberge, die von Schulklassen aus ganz Deutschland besucht wurde und bereits zahlreiche Auszeichnungen von überregionalen Herbergsmagazinen erhalten hatte. Sogar im Reiseführer Lonely Planet Deutschland gab es im Niedersachsenkapitel einen kurzen Artikel über den Dreptehof, in dem vor allem die herzliche Art des bärtigen Herbergsleiters Rupert lobend hervorgehoben wurde.
Für Florian wurde sein Geburtstag eine Enttäuschung. Zwar bekam er von seinen Eltern einen neuen Computer mit NVidia-Grafikkarte geschenkt, doch bereits beim Mittagessen drehten sich die Gespräche nicht mehr um ihn, sondern nur noch um den kleinen Sebastian aus Osterholz-Schambeck, von dem man befürchtete, er sei einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Florians Mutter erzählte, am Vormittag habe Sat1 angerufen, um mit ihr ein Interview zu vereinbaren. "Warum denn gerade mit dir?" fragte Florians Vater und tat sich noch ein paar Tortellini auf. Sie sei eben Wulsbüttler Gemeindepastorin, sagte Florians Mutter. "Na und", sagte Florians Vater, er sei doch ebenfalls Wulsbüttler Gemeindepastor. "Wenn du willst", sagte Florians Mutter, "kann ich Sat1 darum bitten, das Interview mit dir zu führen." Florians Vater nahm einen Schluck Orangensaft und sagte: "Ach was!"
Während des Nachtischs erzählte Florians Mutter, sie sei auf dem Weg zum Edeka in eine Gruppe von über zwanzig Polizisten gelaufen, begleitet von mehreren Spürhunden. Florians Vater berichtete, die Wiese vor der Volksbank sei mit zahlreichen Polizeimannschaftswagen zugeparkt.
Florian sagte, das sei noch gar nichts. Er habe, als er mit dem Schulbus nach Hause gefahren sei, am Himmel einen Polizeihelikopter gesehen, beim Gebiet, direkt über den Forellenteichen. Florians Mutter sagte: "Ach Gott, der arme Sebastian, hoffentlich ist ihm nichts geschehen."
Als Sebastian auch in den nächsten Tagen verschwunden blieb, kündigten im Dreptehof nach und nach alle Reisegruppen ihre Reservierungen. Sobald Florian hiervon erfuhr, rief er beim bärtigen Rupert an, und dieser erklärte sich bereit, Florian den großen Gemeinschaftsraum für seine Geburtstagsfeier zu überlassen. Wegen des günstigen Mietpreises, zehn Euro pro Tag, lud Florian seine Vereinsfreunde zu einer ununterbrochenen Drei-Tage-LAN-Party ein.
Sie trafen sich an einem Freitagnachmittag. Wie immer brachte jedes Vereinsmitglied seinen eigenen Computer mit, außerdem Chips, Cola, Fertigpizzen, eine Isomatte und einen Schlafsack. Alle Vereinsmitglieder besaßen wuchtige Towergehäuse, dazu 17-Zoll-Röhrenbildschirme, sodass es über eine Stunde dauerte, bis die Computer aufgebaut und verkabelt waren.
In der ersten Nacht spielten sie Age of Empires II, jeder gegen jeden, dann eine Weile Battlefield 1942, dann Unreal Tournament. Florians bester Freund Ole gewann jedes Spiel. Nur einmal gelang es Florian beinahe, Ole in einem Warcraft-III-Match zu schlagen. Mit einem Spähtrupp von fünf Ghuls und einem Schattenritter stürmte er Oles Lager und tötete all seine Arbeiter. Doch Ole konterte mit einer übermächtigen Armee aus Speerwerfern.
Am Morgen brachte der bärtige Rupert ein Tablett mit frisch geschmierten Marmeladen- und Honigbrötchen. Malte, Juria und Tobi frühstückten, ohne vom Bildschirm aufzublicken. Florian und Ole saßen eine Weile zusammen mit Rupert in der Sofaecke. "Früher", sagte Rupert, "waren die Kinder verschmitzter." Florian fragte, wie er das meine. Rupert sagte: "Ihr guckt ja den ganzen Tag nur auf die Glotze!"
Als Rupert wieder gegangen war, sagte Ole: "Der hat den kleinen Sebastian doch selbst vernascht, das alte Schleckermaul." Florian steckte sich den Rest seines Honigbrötchens in den Mund. Sein Blick blieb an Maltes Towergehäuse hängen. Er hatte es an der Seite aufgeschraubt, um den Prozessorlüfter nicht zu überlasten. Auf dem Motherboard blinkten drei grüne Dioden. Auf dem CD-Laufwerk klebte ein Sticker mit der Aufschrift: "ENTER THE HELL OF GAMING".
Gegen Mittag, nachdem Ole bei Counter-Strike vier Stunden lang ununterbrochen die Liste mit den Kills angeführt hatte, den normalen und den Headshots, zog er sich die Kopfhörer von den Ohren, blickte mit weit aufgerissenen Augen in die Runde und rief, das sei ja nicht mitanzusehen, dieses orientierungslose Herumgeballere, eine Schande für den Verein.
Eine Weile nervte er die Gruppe, indem er sich seine rechte Hand zuerst vorne in die eigene Hose steckte und dann einem der anderen Vereinsmitglieder dicht vor die Nase hielt. Dabei rief er "Achtung, Sackgeruch!" oder "Pipialarm!" oder "Mjam, mjam, Eichelkäse!" Er ging reihum, ließ nur Florian aus, sodass dieser in kurzer Zeit auf der Kills-Liste auf den zweiten Platz anstieg, übertroffen nur noch von Malte, der sich von Oles stinkender Hand nicht ablenken ließ.
Am Sonntagmorgen kam für ein paar Stunden Oles jüngerer Bruder Jonas vorbei, begleitet von seiner Freundin Isa. Gemeinsam spielten sie eine letzte Runde Battlefield 1942. Florian war sehr müde und wurde ständig erschossen.
In den Wochen nach seiner Geburtstagsparty war es in Wulsbüttel so heiß, dass Florian die meiste Zeit zu Hause verbrachte, wo es dank der dicken Pfarrhaussteinwände immer erfrischend kühl blieb. Nachmittags saß er allein in seinem Zimmer und spielte Computer. Wenn er mit den Hausaufgaben begann, lagen seine Eltern oft schon im Bett.
Einmal, als er spätabends an ihrem Schlafzimmer vorbeiging, um sich in der Küche noch einen Kakao zu machen, hörte er, wie sein Vater rief: "Mäuschen, mein liebes, liebes Mäuschen!" Florian blickte durch den Türspalt. Florians Mutter saß auf der Bettkante, noch in Bluse und Anzughose. Florians Vater, der schon seinen rotgepunkteten Pyjama trug, saß hinter ihr und massierte ihre Schultern.
Florian ging in die Küche, kochte Milch auf und rührte sich den Kakao an. Als er zurückkam, war im Schlafzimmer seiner Eltern das Licht ausgeschaltet, doch von drinnen war erneut die Stimme seines Vaters zu hören, plötzlich heiser. "Ich würde mir wünschen...", sagte er. "Was denn?" fragte Florians Mutter. "Ich würde mir wünschen...", sagte er noch einmal. "Wir könnten einmal versuchen, zum Beispiel..." Florians Mutter schnalzte mit der Zunge und sagte: "Gute Nacht." Die Bettdecke raschelte.
Florian blieb noch eine Weile im Flur stehen und pustete in seine Tasse.
Im Herbst war der kleine Sebastian Thema einer Spezialausgabe der ZDF-Kriminalsendung Aktenzeichen XY ungelöst. Kurz darauf stellte die Polizei offiziell ihre Suche ein. Es gab eine Trauerfeier vor dem Wulsbüttler Dorfgemeinschaftshaus, bei der es die ganze Zeit regnete. Als Pastorensohn stand Florian wie immer in der ersten Reihe, als einziges Kind zwischen einer Delegation niedersächsischer Landtagspolitiker. Der Bürgermeister hielt eine kurze Ansprache, dann trat Sebastians Mutter an das Redepult, bedankte sich bei den Wulsbüttlern und bei der Polizei für die Unterstützung und brach in Tränen aus. Als Letztes sprach Florians Mutter, sie sagte: "Manchmal können wir Gott nicht verstehen." Florians Vater hielt ihr während ihrer Trauerrede einen Regenschirm über den Kopf.
Die Vermisstenfotos, die in Wulsbüttel an jedem Laternenpfahl hingen, wurden vorerst noch nicht abgenommen. Sie zeigten den kleinen Sebastian im Schlafanzug, auf einem blauen Kinderbett. Im Arm hielt er ein Plüsch-Pokemon, den putzigen Pikachu.
Am Abend, als Florian bereits vor sich hinschlummerte, kam sein Vater noch einmal ins Zimmer und setzte sich zu ihm auf die Bettkante. Er räusperte sich mehrmals, bevor er zu sprechen begann. "Du hast sicher schon bemerkt", sagte der Vater, "dass dein Penis manchmal wie von alleine größer und dicker wird." Florian richtete sich auf und schob sich ein Kissen in den Nacken. Der Vater hatte das Licht nicht eingeschaltet, sodass Florian nur eine dunkle Silhouette sah, deren Oberkörper leicht nach vorne gebeugt war. "Vielleicht", sagte der Vater, "hast du deinen Penis auch schon einmal angefasst und daran gerieben und es ist dann eine weiße Flüssigkeit herausgekommen." Als Florian hierauf nichts antwortete, sagte der Vater mit plötzlich leiser Stimme: "Na ja, ist ja auch egal." Dann stand er auf und ging wieder hinaus.
Am ersten Advent wurde in einem Waldstreifen bei Stade, eine Autostunde von Wulsbüttel entfernt, eine Kinderleiche gefunden. Doch bereits nach wenigen Stunden gab die Polizei bekannt, dass es sich nicht um den kleinen Sebastian aus Osterholz-Schambeck handelte, sondern um die kleine Anna-Lena aus Wunstdorf bei Hannover. Trotzdem liefen kurz vor Weihnachten noch einmal ein paar Reporter durch Wulsbüttel und fragten die Menschen auf der Straße, ob sie heute, ein halbes Jahr nach der Tragödie, wieder im Alltag angekommen seien.
Ein paar Tage später wurde zu dem Thema in der Nordseezeitung eine Statistik mit Balkendiagramm veröffentlicht. Siebzig Prozent der Wulsbüttler waren noch nicht wieder im Alltag angekommen. Zwanzig Prozent waren zwar wieder im Alltag angekommen, spürten jedoch eine große Leere oder ein ähnliches Gefühl der Vergeblichkeit in sich. Lediglich zehn Prozent waren der Meinung, die Tragödie vollkommen überwunden zu haben. Neben der Statistik war ein Interview mit dem Wulsbüttler Bürgermeister abgedruckt, in dem er den Fall Sebastian als eine unendlich tiefe Wunde bezeichnete.
Eine wenig originelle und zugleich unlogische Metapher, befand Florians Mutter, als das Interview beim Abendessen zur Sprache kam. Florian schnitt sich eine Tomate auf. "Da warst du ja besser", sagte Florians Mutter und streichelte Florians Vater über den Oberschenkel. Florian sagte, er habe versehentlich zu viele Tomatenscheiben abgeschnitten, ob noch jemand wolle? Florians Vater lächelte Florian zu und sagte: "Gerne, mein Sohn."
Florians Mutter hatte den Termin mit Sat1 aus Zeitmangel schließlich doch an Florians Vater abgegeben. Im Interview hatte Florians Vater behauptet, der kleine Sebastian sei Wulsbüttels Hurrikan Katrina, und obwohl er sich während des Gesprächs immer wieder an die Nase und an den Hals gefasst hatte, war es beinahe ungekürzt im Boulevardmagazin Blitz gesendet worden.
Florians Vater legte sich eine Tomatenscheibe auf sein Schwarzbrot, streute Pfeffer darüber. Florians Mutter sagte: "Florian, wir müssen mit dir reden." Florians Vater nickte und wurde rot. Gegenwärtig, sagte Florians Mutter, kursiere in Wulsbüttel das alberne Gerücht, dass sie eine Affäre habe, mit dem zweiten Kirchenvorsteher, Herrn Zwickau. "Mit wem?", fragte Florian. "Mit Herrn Zwickau", sagte Florians Vater, "dieser Mann mit dem Schnurrbart, der bei Mamas Predigten immer in der ersten Reihe sitzt."
"Du weißt doch, was eine Affäre ist?" fragte Florians Mutter. Florian nickte. Florians Vater senkte den Kopf und nahm sich eine Scheibe Salami. Florian fragte: "Und stimmt das Gerücht?" Florians Mutter lachte und sagte: "Natürlich nicht." Florian verteilte die restlichen Tomatenscheiben auf seinem eigenen Schwarzbrot, nahm einen Schluck Kamillentee, verbrannte sich die Zunge.
Florians Vater sagte, einer seiner Konfirmanden habe ihm heute einen Witz erzählt, der sei wirklich lustig gewesen, doch leider könne er sich jetzt nicht mehr daran erinnern.
Unter der Schirmherrschaft von Florians Mutter veranstaltete die Kirchengemeinde Wulsbüttel das christliche Rockfestival Kirocko. Am Samstagabend spielte Security, eine Männerband aus Oldenburg, auf einer von Florians Vater erbauten Tribüne, direkt vor dem Altar. Im Mittelgang der Kirche tanzte das Publikum, vornehmlich Menschen im Alter von Florians Eltern. Die Stühle standen in den Seitenflügeln. Neben der Orgel gab es einen Getränketisch, an dem Florian Rotwein und Traubensaft ausschenkte.
Während des Konzerts tanzte Florians Mutter nacheinander mit allen Männern des Kirchenvorstands, Florians Vater tanzte zwei Lieder mit Oles Mutter, dann kam er zu Florian an den Tisch und bat um ein Glas Traubensaft. Der Gitarrist von Security zog sich sein T-Shirt aus, sein Oberkörper glänzte. Er sang: "And the wind, and your love, and the wind!" Florians Vater trank seinen Traubensaft aus, dann verabschiedete er sich, er gehe jetzt schlafen.
Nach der ersten Zugabe kam Florians Mutter an den Getränketisch und bat ebenfalls um ein Glas Traubensaft. Sie wippte im Takt der Musik, ihre Augen waren gerötet. Als Florian ihr das Glas überreichte, rief sie: "Mein Sohn!" Die Tanzfläche hatte sich geleert, im Seitengang saß eine Gruppe Bauern und spielte Karten. Florians Mutter stützte sich mit einer Hand auf den Tisch, blickte Florian in die Augen und fragte: "Was hältst du eigentlich von Papa?"
Security kam noch einmal auf die Bühne. Florians Mutter stellte ihr Glas ab, steckte sich Zeige- und Mittelfinger in den Mund, pfiff und rief: "Security! Yeah, yeah, yeah! Security!" Auch die Bauern pfiffen und klatschten und trampelten mit den Füßen. Florians Mutter wandte sich wieder an Florian: "Findest du, Papa ist dir ein gutes Vorbild? Findest du ihn – ", sie zögerte, "männlich?"
Florian nahm ein Glas in die Hand, betrachtete es einen Moment, stellte es zurück auf den Tisch. Die Musik setzte wieder ein und Florians Mutter ging zurück auf die Tanzfläche. Als das Konzert zu Ende war, kam sie erneut zum Getränketisch und entschuldigte sich, sie habe zu tief ins Weinglas geschaut, das seien keine Fragen, die man seinem Sohn stelle. Sie strich ihm über den Kopf und sagte: "Mein Kleiner."
Nachdem alle Besucher gegangen waren, sammelten Florian und seine Mutter noch gemeinsam die leeren Weingläser ein, dann gingen sie schlafen.
Während der Wintermonate ging Florian regelmäßig ins Gebiet. Häufig joggte er um den großen Forellenteich, setzte sich danach auf das Plumpsklo und rauchte eine Marlboro Light. Einmal baute er zusammen mit Ole und Malte einen Schneemann, der sich mit der Hand zwischen die Beine, also an den oberen Rand der größten Kugel, fasste. Ein anderes Mal schlugen sie drei Löcher ins Eis, zogen sich bis auf die Unterhosen aus und stiegen ins Wasser. Malte kletterte nach zwei Minuten wieder aus seinem Loch und sagte, er sei zu alt für diese Kinderkacke. Florian schaffte vier, Ole neun Minuten.
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* Im Gewinnfall verpflichtet ihr euch zur zeitnahen und aktiven Teilnahme am Austausch in allen Leseabschnitten der Leserunde sowie zum Schreiben einer Rezension, nachdem ihr das Buch gelesen habt.