Gibt es auch in eurer Familie Frauen älteren Semesters, die in einer Ehe leben, bei der man sich fragt, warum dieses Paar es geschafft hat, so lange zusammen zu sein? In der die Frauen es Männern ermöglichen, ein bequemes, freies Leben zu führen, während sie selber sich mit wenig zufrieden geben? In meiner Familie gab ist das zu Hauf. Während die Männer der jungen Bundesrepublik durch die Weltgeschichte reisten, um „Geld zu verdienen,“ dabei aber jede Menge zweifelhaften Spaß hatten, blieben die Frauen mit den Kindern zurück, und befriedigten ihre Bedürfnisse vielleicht mit schönen Kleidern, Parfums und Schmuck, kümmerten sich um Haushalt und Erziehung der Kinder, langweilten sich bei Tratsch und Klatsch und Kuchen mit ihren Freundinnen.
Und hielten ansonsten oft als Vorzeigeehefrau her, wenn es um gesellschaftliche Anlässe ging. Die Männer kamen dann nicht selten spät nachts betrunken nach Hause, während die Frau schon die Kinder ins Bett gebracht hatte. So manches Klischee, an dem wir heute noch zu knabbern haben, ist in dieser Zeit entstanden.
Eigentlich ist der Roman ein Buch für alle Großmütter. Für mich ist es tatsächlich der Roman der Mütter meiner Generation, die Generation, die im Krieg geboren beziehungsweise aufgewachsen ist und im Nachkriegsdeutschland versucht hat sich Wohlstand und Ansehen zu erwirtschaften.
Else ist so eine Frau. Ihren Willy hat sie zu einer Zeit lieben gelernt, als er noch versuchte, wer zu werden. Immer muss sie parat stehen, wenn er den nächsten Karriereschritt im Auge hat und seinen Rücken stärken. Dabei versichert er ihr einerseits, wie wichtig sie für ihn ist, tritt ihr Selbstbewusstsein andererseits aber mit Füßen. Als er einen längeren Auslandsaufenthalt antritt, macht Else den Taxischein und wird somit zur ersten weiblichen Taxifahrerin Frankfurt. Wissen tut das in ihrem Dunstkreis niemand. Sie schafft es das bis an ihr Lebensende geheim zu halten.
Wir sind zu Beginn in den 60er Jahren unterwegs, einer Zeit des Überkonsums von Alkohol und anderen Genussmittel, einer Zeit der Zurschaustellung von Wohlstand und einer Zeit der biederen Verlogenheit. Es zählt, was man sieht und nicht, was wirklich hinter den Kulissen abgeht. Damit das nicht in Erscheinung tritt, dafür sind die Frauen zuständig. Sie sind Meisterinnen im vertuschen, gerne auch mal zu ihrem eigenen Nachteil.
Doch Else sucht sich ihre Nische und in ihrer Freundin Marta, die ebenfalls Schlimmes erlebt, hat sie eine etwas laute, aber loyale Unterstützung
Ein Zeitstrang aus den 2010er Jahren erzählt die Geschichte einer 80-jährigen Else, die mit ihrer Enkelin Emma eine Reise nach Südfrankreich unternimmt. Dass das Geld um diese Reise zu finanzieren aus ihren Taxi-Einkünften stammt, weiß niemand und Willy, der zu Hause bleibt, scheint das nicht wirklich zu interessieren (was ich ein bisschen merkwürdig fand)
Die ganze Handlung wirkt sehr gut beobachtet. Es wird genau die Generation meiner Eltern wiedergegeben, der man als Kind vielleicht nacheiferte, als Jugendliche aber doch merkte, wie viel Fassade es hier gibt und wie wenig Selbstbestimmung Frauen leben konnten. Auch wenn wir uns beim Lesen vielleicht fragen, warum Else sich nicht hat scheiden lassen, müssen wir uns doch eingestehen dass es vielleicht anmaßend scheint, über andere zu urteilen. Nicht wenige Frauen haben einfach den Weg gewählt, hinter dem Rücken ihres Mannes eigene Wege zu gehen. Genauso wie ihre Ehegatten nur eben anders. Und ich bin dankbar für die vielen Feministinnen die aus diesen Rollen ausgebrochen sind und unter schwierigen Bedingungen dafür gekämpft haben, dass wir das heute nicht mehr müssen.
Stilistisch hat das Buch einige ganz besonderen Finessen. Erst mal ist es von zwei Künstlerinnen geschrieben, die auch auf anderen Bühnen zu Hause sind. Das merkt man auch am Konzept des Buches. Viele Kapitel sind mit QR-Codes versehen, über die man dann auf der Seite des Verlags zu YouTube Clips kommt, die mit filmischen Szenen, Musik und Texten die Atmosphäre des Buches unterstreichen sollen. Dieses Feature wirkt für mich anspruchsvoller als die Lektüre.
Literarisch ist das Buch mitreißend aber doch sehr fragmentarisch geschrieben. Es ist leicht zu lesen und wirkt an manchen Stellen sogar etwas oberflächlich. Immer wenn ich dachte, es geht nun in die Tiefe kam es mir vor, als wenn Else mit der Hand abwinken und einfach zur nächsten Handlung übergeht. Ein bisschen mehr „Show Don’t Tell“ hätte ich mir auch gewünscht. Ich hab das Buch aber deshalb nicht weniger gern gelesen. Es ist ein Snack, eine kleine Geschichte einer eigenwilligen Frau, der mit diesem Buch ein Denkmal
gesetzt wurde. Etwas was vielleicht nicht lange in meinem Kopf bleibt, mich aber unterhalten und beschäftigt hat. Deshalb empfehle ich es gerne weiter.
Zum Schluss möchte ich doch noch mal äußern, wie erleichtert ich darüber bin, in einer anderen Zeit großgeworden zu sein. Ich glaube, dass das Leben von Else und anderen Frauen dieser Zeit mir auch dabei geholfen haben, mich aus einer ähnlichen Routine zu befreien – nach dem Motto: So nicht! Für mich ein Treiber, von dem ich gegenwärtig sehr profitiere