Ich kann nicht aufhören zu reden. Ein ganzes Leben lang habe ich nicht geredet. (S. 227) – Und so redet Miquel II Gensana. Beziehungsweise er erzählt – und zwar nicht weniger als seine ganze Lebensgeschichte. In einem Restaurant, das früher einmal sein Elternhaus war, breitet er vor seiner Kollegin Julia nach dem Tod seines besten Freundes Boló sein Leben aus: Er erzählt von seiner Familie, deren Stammbaum sich bis ins 18. Jahrhundert nachvollziehen lässt und die in dieser Zeit mehr als ein Geheimnis gehütet hat; von seinem Ausbruch aus dem traditionellen Elternhaus und seinen Weg in den Untergrund während der Franco-Zeit; von seinen suchenden Jahren, die nie wirklich vorübergegangen sind; und von seiner großen Liebe zur Kunst – und einer Frau namens Teresa.
Ein üppiges, beinah überquellendes Epos stellt der neue 550 Seiten starke Roman Eine bessere Zeit von Jaume Cabré dar, der – so die erste Überraschung – im Original schon 1996 erschienen ist und somit deutlich vor den beiden Werken erschienen ist, die mich und viele andere Leser so begeistert haben, nämlich Die Stimmen des Flusses und Das Schweigen des Sammlers. Das erklärt vermutlich auch die zweite Überraschung, auf die ich während der Lektüre stoßen musste: Das mich dieses Buch deutlich weniger überzeugen und begeistern konnte als die oben genannten. Zwar beeindruckt Cabré auch schon hier mit einer Verflechtung verschiedenerer Zeitebenen sowie dem Dirigieren unzähliger Figuren und weiß vor allem durch ein kontinuierliches Spiel mit der Erzählperspektive sein literarisches Können zu zeigen. Allein: Er tut dies nicht so meisterhaft wie in seinen späteren Werken. Wo diese sich nämlich durch eine vollendete und wohldurchdachte Komposition auszeichnen, bleiben in Eine bessere Zeit zu viele Erzählfäden lose, zu viele Charaktere in ihrer Funktion undeutlich.
Auch die thematische Fülle handhabt Cabré nicht so wie ich es von ihm gewohnt bin, sondern scheint bisweilen eher überfordert zu sein. Eine bessere Zeit soll oder will Familienroman, politischer Roman und Bildungsroman in einem sein, doch werden diese verschiedenen Ansätze, vom Leben von Miquel zu erzählen, nicht optimal miteinander verwebt. Dies führt gleichzeitig zu Längen und zu Brüchen, vor allem der zweite Teil, der dann auch noch Liebesroman sein will, fügt sich meiner Meinung nach nicht reibungslos in das vorab Erzählte ein und setzt auf zu viel Tragik und Gefühl.
Dennoch bleibt alle Kritik letztlich ein Meckern auf hohem Niveau. Cabré setzt in Eine bessere Zeit ein starkes Zeichen, welche Art des Erzählens er verfolgt. Ein nicht-lineares, ein assoziatives und vor allem ein den Leser forderndes Erzählen, das durchaus – oder gerade deswegen – etwas ungemein Einnehmendes hat. Seine Romane, so auch dieser neue alte, erzeugen einen ganz eigenen Sog, sind durchaus spannungsgeladen und bestechen eher durch die Art, wie erzählt wird und nicht unbedingt, was erzählt wird. Insgesamt bleibt Eine bessere Zeit zwar hinter meinen Erwartungen zurück, dennoch bleibt es ein typischer Cabré, der mich mit seiner Erzählkunst fesseln konnte. Sicherlich ein Buch für Leser, die bereits Fan des Autors sind und nicht unbedingt für Neu-Entdecker. 3,5 Sterne!