"Mit meinen dreizehn Jahren war ich frühreif, aber so sah man es damals nicht. Die Welt war sehr viel einfacher. Man war reich oder arm, tot oder lebendig. Die Zeiten kannten kein Dazwischen."
Ein paar wirklich schöne und intensive Lesestunden hat mir Jean-Baptiste Andrea mit seinem Roman "Was ich von ihr weiß" beschert.
Übersetzt aus dem Französischen von Thomas Brovot.
Michelangelo (Mimo) Vitalianikommt als Sohn italienischer Auswanderer 1904 in Frankreich zur Welt. Mimos Vater ist Bildhauer und bringt ihm alles bei, was er wissen muss. Doch dann kommt der Krieg, aus dem Mimos Vater nicht zurückkehrt. Da das Geld knapp ist, schickt Mimos Mutter ihren Sohn zu einem Verwandten nach Italien. Italien, ein Land, das zwar in seinem Blut ist, das er aber nicht kennt. Mimo ist ein Freigeist, der mehr sein möchte als man ihm zugestehen will. Und er kämpft darum größer zu sein.
"Ich verdanke alles meinem Vater, unserem viel zu kurzen Miteinander auf dieser Magmakugel. Man hat mir schon Gleichgültigkeit unterstellt, weil ich nur wenig von ihm gesprochen habe. Hat mir vorgeworfen, ich hätte ihn vergessen. Vergessen? In jeder meiner Bewegungen hat mein Vater gelebt. Bis zu meinem letzten Werk, bis zu meinem letzten Schlag."
Viola Orsini ist ebenfalls ein Freigeist. Sie gehört einer adligen und einflussreichen Familie an, von denen niemand weiß, wo sie eigentlich herkommen. Schon als junges Mädchen trotzt sie den gesellschaftlichen Normen. Auch sie will hoch hinaus, obwohl das etwas ist, dass einem Mädchen einfach nicht zusteht. Viola will fliegen, doch das gesellschaftliche Korsett engt sie ein.
"Glaubst du, die Kriege werden von den Toten geführt? Dass sie dir am Wegesrand auflauern? Die Toten sind unsere Freunde. Du solltest lieber Angst haben vor den Lebenden."
Das erste Aufeinandertreffen ist seltsam, das zweite umso mehr. Doch Mimo und Viola sind kosmische Zwillinge - zwei Magnete, die sich immer wieder zueinander hinziehen. Ihre Leben sind vom ersten Moment bis zuletzt eng miteinander verwoben.
"Weggehen wird nichts ändern. Die schlimmste Gewalt ist die Gewohnheit. Die Gewohnheit, die dazu führt, dass eine Frau wie ich, intelligent, denn dafür halte ich mich, nicht über sich selbst bestimmen kann."
"Was ich von ihr weiß" ist eine traurige Lebensgeschichte, die uns die Hauptfigur Michelangelo Vitaliani auf seinem Sterbebett erzählt. Es ist die Geschichte eines oftmals sehr schweren Lebens, die hier und da von ein paar Glanzpunkten erhellt wird. Eine Geschichte die geprägt ist von Vorurteilen und Intoleranz, von Tragik und Momenten des Glücks und vor allem von dem Kampf seine Träume und Wünsche zu erfüllen.
Durchbrochen wird diese Geschichte von Michelangelos letzten Stunden und dem Geheimnis um seine Pietà. In der ersten Hälfte des Buches haben mich diese Unterbrechungen schon ziemlich gestört, doch im Laufe der Geschichte wurde mir dann einiges im Bezug auf diese Statue klarer. Trotzdem hätte es diese Abschnitte für mich im Grunde nicht gebraucht.
Andrea hat in seinem Roman auch einige geschichtliche Begebenheiten einfließen lassen, die der Geschichte einen sehr authentischen Rahmen bieten.
Insgesamt war das für mich eine wirklich großartige Lektüre, auch wenn es nicht ganz für ein Highlight gereicht hat. Irgendwas fehlte mir noch, damit es mich vollends umgehauen hätte, allerdings kann ich dieses Etwas gerade noch nicht greifen.
"Wenn Christus das Leiden ist, dann ist, ob es euch gefällt oder nicht, Christus eine Frau."