Jean-Paul Bled

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Cover des Buches Franz Ferdinand (ISBN: 9783205788508)

Franz Ferdinand

 (2)
Erschienen am 19.09.2013

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Cover des Buches Franz Ferdinand (ISBN: 9783205788508)
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Rezension zu "Franz Ferdinand" von Jean-Paul Bled

Im Wartestand. Das Leben des Erzherzogs Franz Ferdinand
Andreas_Oberendervor 3 Jahren

Der hundertste Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges rückt unaufhaltsam näher. Das Jubiläum bietet einen willkommenen Anlass, an den Mann zu erinnern, dessen Ermordung die zum Krieg führende Julikrise auslöste. Über den Erzherzog Franz Ferdinand, den designierten Thronfolger des greisen Kaisers Franz Joseph, weiß man in der Regel kaum mehr, als dass er in Sarajewo serbischen Attentätern zum Opfer fiel. Sein Tod scheint das einzig Interessante und Erinnernswerte an ihm zu sein. Auch durch seine morganatische Ehe ist er in Erinnerung geblieben. Wer dieser Mann war, der zum nächsten Herrscher der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie bestimmt war, dieser Frage geht der französische Historiker Jean-Paul Bled in der vorliegenden Biographie nach. Passend zum bevorstehenden Jahrestag des Kriegsausbruchs hat der Böhlau-Verlag eine deutschsprachige Ausgabe herausgebracht. Bled ist ein hervorragender Kenner der österreichischen Geschichte, und sein Buch über Franz Ferdinand bildet zusammen mit zwei Biographien über Kaiser Franz Joseph und den Kronprinzen Rudolf eine Art Trilogie über die Spätzeit des Hauses Habsburg-Lothringen.

Als Erzherzog Franz Ferdinand 1863 geboren wurde, sah niemand voraus, dass er eines Tages in die Position des Thronfolgers aufrücken würde. Sein Vater war Erzherzog Karl Ludwig (1833-1896), der zweitjüngere Bruder Kaiser Franz Josephs. Es bedurfte mehrerer Todesfälle, bevor sich Franz Ferdinand in der Stellung des Thronerben wiederfand: Sein Onkel Erzherzog Maximilian wurde 1867 in Mexiko hingerichtet; Kronprinz Rudolf, der einzige Sohn des Kaisers, nahm sich 1889 das Leben; Erzherzog Karl Ludwig starb 1896 an einer Infektion, die er sich während einer Reise ins Heilige Land zugezogen hatte. Dreiunddreißigjährig avancierte Franz Ferdinand zum neuen Thronfolger. Kaiser Franz Joseph fiel es sichtlich schwer, den Neffen als seinen Erben zu akzeptieren. Das Verhältnis zwischen Kaiser und Thronfolger blieb bis 1914 distanziert und kühl. Franz Ferdinand war in doppelter Hinsicht gehandicapt: Er hatte nie eine Ausbildung erhalten, die ihn auf das Herrscheramt hätte vorbereiten können, und vom Kaiser wurde er bis zuletzt systematisch von allen Staatsgeschäften ferngehalten. Die Beziehung zwischen Kaiser und Thronfolger wurde durch gegensätzliche politische Anschauungen und die nicht standesgemäße Ehe des Erzherzogs mit der böhmischen Grafentochter Sophie Chotek belastet. Innerhalb der kaiserlichen Familie war Franz Ferdinand vollkommen isoliert, und auch in der hauptstädtischen Gesellschaft sowie unter den Eliten des Habsburgerreiches besaß er so gut wie keinen Rückhalt. Er bemühte sich nie um Popularität, und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Nachricht von seiner Ermordung nahezu gleichgültig aufgenommen wurde.

Bled zeigt Franz Ferdinand als konservativen und intellektuell wenig beweglichen Mann, dessen vorgestrige politische Anschauungen im anbrechenden 20. Jahrhundert anachronistisch wirkten. Der Kontrast zu seinem Vetter, dem intelligenten und liberal gesinnten Kronprinzen Rudolf, konnte kaum größer sein. Anerkennung zollt Bled dem Erzherzog für die Willenskraft, mit der er jahrelang - und zu guter letzt erfolgreich - gegen die Tuberkulose ankämpfte, und für die Beharrlichkeit, mit der er gegen den Widerstand seiner Familie darum rang, statt einer dynastischen Vernunftehe eine Liebesheirat schließen zu können. Nachdem er sich durchgesetzt hatte, führte Franz Ferdinand mit Frau und Kindern ein glückliches Familienleben, ungeachtet der protokollarischen Schikanen, denen er und seine Gattin seitens des Hofes ausgesetzt waren. Es spricht für Bleds Fairness, dass er positive und negative Wesenszüge seines Protagonisten gleichermaßen herausarbeitet, anstatt ein einseitiges Bild zu zeichnen, das den Erzherzog entweder verklärt oder verdammt. Bled verschweigt auch Franz Ferdinands monströse Jagdleidenschaft nicht. Im Laufe seines Lebens erlegte der Erzherzog etwa 275.000 Stück Wild, von der Wachtel bis zum Elefanten. Dass diese obsessive "Totschießerei" als Ventil für aufgestaute Aggressionen diente, wurde schon von früheren Autoren und Biographen vermutet.

Kernstück der Biographie sind die Kapitel, in denen Bled Franz Ferdinands politische Anschauungen und sein Bestreben untersucht, auf Umwegen Einfluss auf die Politik zu nehmen. Vom Kaiser auf den Posten des "Generalinspekteurs der gesamtem bewaffneten Macht" berufen, interessierte sich der Thronfolger keineswegs nur für militärische Belange. In seiner Militärkanzlei wurden Pläne für die Zeit nach dem Thronwechsel geschmiedet. Von einer starken Abneigung gegen die Ungarn erfüllt, strebte Franz Ferdinand eine Revision - wenn nicht gar eine Rücknahme - des 1867 ausgehandelten Ausgleichs zwischen Österreich und Ungarn an. Gerade in diesem Punkt gingen die Anschauungen von Onkel und Neffe weit auseinander. Kaiser Franz Joseph verweigerte sich allen Gedankenspielen, die privilegierte Stellung der Ungarn innerhalb der Doppelmonarchie anzutasten. Gegen Liberale, Sozialdemokraten und Freimaurer eingestellt, setzte der Thronfolger innenpolitisch auf konservativ-klerikale Kräfte wie die Christlichsoziale Partei. Vom Parlamentarismus hielt er nicht viel. Im Nationalismus sah er eine existentielle Bedrohung für das habsburgische Vielvölkerreich. Die Antwort auf die zentrifugalen Kräfte des Nationalismus sah der Thronfolger aber nicht etwa in einer Föderalisierung der Monarchie, sondern in einer straffen Zentralisierung. Seine reaktionär anmutenden Anschauungen trugen wesentlich dazu bei, dass Franz Ferdinand als Mann wahrgenommen wurde, der die Zeichen der Zeit nicht zu verstehen schien.

Was Österreich-Ungarns Außenpolitik anging, so plädierte der Erzherzog für eine Verständigung mit Russland und ein Bündnis mit Bulgarien, Rumänien und Griechenland, das dazu dienen sollte, Serbien auf dem Balkan zu isolieren. Der Thronfolger war kein Kriegstreiber, wie Bled klarstellt. Forderungen nach einem Präventivkrieg gegen Serbien erteilte er stets eine Abfuhr. Es gehört zur Tragik seines Lebens, dass Franz Ferdinand als Ziel eines Attentats ausgewählt wurde, weil die Verschwörer in ihm fälschlicherweise das Haupt der Wiener "Kriegspartei" sahen. Am Ende der Biographie wirft Bled die Frage auf, ob der Erzherzog die vielen strukturellen Probleme des Habsburgerreiches hätte lösen können, wenn er nicht ermordet worden wäre und stattdessen wie vorgesehen den Thron bestiegen hätte. Bled begibt sich damit zwar ins Reich der Spekulationen, doch seine Antwort ist nichtsdestotrotz nachvollziehbar und überzeugend: Es fällt schwer, in Franz Ferdinand den verhinderten Retter Österreichs zu sehen. Seine neoabsolutistischen Neigungen, fehlender Rückhalt unter den politisch maßgeblichen Kräften, mangelnde Popularität und sein gestörtes Verhältnis zu den Ungarn und anderen Völkern der Monarchie hätten seinen Handlungs- und Gestaltungsspielraum als Herrscher stark eingeengt. Der Versuch, den Ausgleich mit Ungarn zu revidieren, hätte mit Sicherheit zu einer schweren Krise geführt.

Auch wenn Jean-Paul Bled weder ein neues noch ein originelles Bild vom Leben und von der Persönlichkeit des Erzherzogs Franz Ferdinand entwirft, hat er doch eine seriöse und zugleich gut lesbare Biographie vorgelegt, der auch in Deutschland viele Leser zu wünschen sind. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Dezember 2013 bei Amazon gepostet)

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