Ein erhellendes Buch. Amery hat eine bewegte Biografie, die vielleicht auch eine große Rolle bei seiner "Lebensmüdigkeit" gespielt hat. "Hand an sich legen" ist keine romantisierende Paraphrase, aber ebenso keine Schrift mit Hoheitsanspruch, keine akademische Lektüre. Dieser Essay beschreibt eine Juxtaposition, den Kontrast von "Lebenslogik" und Lebensmüdigkeit, einem Erschöpftsein, dessen Gründe stets hochindividuell und für die Gesellschaft nicht nachzuvollziehen seien müssen, und oft auch nicht sind. Überraschend ist seine Ehrlichkeit: Nach einem kleinen Exkurs, den man auch "Grammatologie des Suizids" nennen könnte, beschreibt er nüchtern und unnachgiebig aus der subjektiven Perspektive; schlußendlich bezeichnet er den Akt des Freitodes als letztes Mittel eines echten Humanismus. Erhellendes finden wir ebenso über die von der Gesellschaft notwendige Tabuisierung des Freitodes und ihre mit allen Mitteln durchzusetzende Verdrängung. Sprachlich ist das auf allerhöchstem Niveau. Pikant ist eben auch die Tatsache, das Amery bereits einen Versuch des Freitodes hinter sich gebracht hatte, nur um ihn dann, einige Zeit nach Verfassen dieses Essays, erfolgreich zu wiederholen.
Jean Améry
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Jean Améry
Hand an sich legen
Die Schiffbrüchigen
Über das Altern
Werke. Bd. 1: Die Schiffbrüchigen / Lefeu oder Der Abbruch (Werke, Bd. 1)
Der neue Antisemitismus
Jenseits von Schuld und Sühne
Charles Bovary, Landarzt
Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod
Neue Rezensionen zu Jean Améry
Jean Amerys Debüt
Auf meinem Stapel der unbedingt-bald-lesen-Bücher liegt auch Jean Améry - Die Schiffbrüchigen.
Heute erreicht mich eine Mail von Matthias Ulrich (dessen Krimi Der Feuerreiter ich kürzlich gelesen hab, und den ich hiermit jedem Leser kluger Krimis empfehle) der mir von seiner Améry – Lektüre erzählt:
„Aber ich habe ein Buch, das ich nun wirklich empfehlen kann: Jean Amérys 'Die Schiffbrüchigen'. Ich bin kurz vor dem Ende der Lektüre und ich bin sehr angetan von dem Buch. Es erzählt die Geschichte des Eugen Althager im Wien der 30er Jahre. Althager ist ein herabgesunkener Intellektueller, der versucht wieder Fuß zu fassen, dem das nicht gelingt. Der Roman ist von hoher sprachlicher Dichte, die seelischen und körperlichen Regungen Althagers werden sprachlich genau und ohne alle Sprachmätzchen oder Ticks erzählt, einfach genau und poetisch durchstrukturiert. Man spürt Amérys Lehrmeister Flaubert in der exakten Darstellung seelischer und habitueller Vorgänge.
Sehr schön auch, wie Améry das Motiv des Liebesverkaufes variiert. Althager lässt zu, dass seine Freundin mit einem Mann schläft um Geld für eine Abtreibung zu bekommen. Dadurch wird ihre gegenseitige Liebe aber Besuch um Besuch zerstört, zersetzt, zernagt, am Ende geht die Freundin zu dem neuen Liebhaber, der sie wie ein Göttin (auch finanziell) auf Händen
trägt.
So etwas gibt es sonst nur bei Scott Fitzgerald, das ist (fast) meisterhaft erzählt, diese gegenseitige Liebeszersetzung. Stilles, starkes Drama. Gewiss, der Roman hat Schwächen, die einzelnen Kapitel sind aus verschiedenen Perspektiven gearbeitet, das passt nicht immer zusammen, auch nehmen zum Ende hin gewisse Motive des Gossenromans überhand, man spürt, dass Améry (es ist sein nie gedruckter Debüt-Roman) noch unerfahren ist, aber was er
Vorgelegt hat, ist wirklich großartig. Von Musil auch gelobt. Zwei, drei Kapitel sind große Literatur. Für mich das beste Debüt der letzten zwei Jahre ...“
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Zusätzliche Informationen
Jean Améry wurde am 31. Oktober 1912 in Wien (Österreich) geboren.
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