Auf gerade mal 124 Seiten hat Jean Mattern sich dem Leben, besser gesagt des anhaltenden Traumas seines Protagonisten Gabriel gewidmet.
Gabriel, ein etwa dreißigjähriger Übersetzer, befindet sich in einer tiefen Lebenskrise, deren Wurzeln bis tief in seine Kindheit in einer jüdisch-ungarischen Familie zurückreichen. Als damals seine ältere Schwester durch einen Unfall ums Leben kam, flüchteten seine Eltern sich ins Schweigen und Vergessen. Sie wanderten mit den beiden verbliebenen Kindern nach London aus. Gabriels Kindheit war geprägt von Einsamkeit und Trauer, die er nicht benennen durfte. Seine Muttersprache eine Sprache, die nur noch geflüstert wurde.
Heute ist er mit Laura verheiratet, mit der er ein Kind erwartet. Doch er hat das Schweigen seiner Eltern übernommen, hat nie gelernt, seine Trauer auszudrücken. Verblasst ist sein Schmerz auch nach zwanzig Jahren kaum. Doch er kann sich auch Laura, auch seinem besten Freund, nicht anvertrauen. Und zerstört dadurch beide Beziehungen. Bereits ganz zu Beginn des Büchleins erfährt der Leser, dass Gabriel seine schwangere Frau verlassen wird. Er reist nach Ungarn, auf den Spuren seiner verschwiegenen Vorfahren.
"Steht es mir noch zu, mein Leben gegen ein anderes einzutauschen? Ein neues Tor zu öffnen und einen anderen Weg zu finden?"
Kritisieren könnte man, dass Gabriel sich in seinem Winden in der Sprachlosigkeit immer im Kreis dreht. Gegen Ende wiederholt er sich auch tatsächlich. Die wenigen Seiten sind dafür genug. Auch wer eine politische Aufarbeitung zum ungarischen Judentum etc. erwartet, liegt hier falsch. Es geht wirklich ausschließlich um Gabriels ganz persönliche Tragödie.
Allerdings fand ich den Roman sprachlich wirklich beeindruckend. Es ist ein Buch der leisen Töne, durchaus lesenswert.
"Man kann keinen Frieden mit denen schließen, die vergessen, um Verzeihung zu bitten." Seite 25