Cover des Buches Die uns lieben (ISBN: 9783351035884)
onion73s avatar
Rezension zu Die uns lieben von Jenna Blum

Leider zu Klischeehaft - ich hatte mir mehr versprochen

von onion73 vor 9 Jahren

Rezension

onion73s avatar
onion73vor 9 Jahren
Ich habe mich seit langem nicht mehr so schwer damit getan, eine Rezension zu verfassen und diese daher auch monatelang vor mir her geschoben.

Die Inhaltsbeschreibung und das wirklich wunderbare Cover haben mich dazu bewogen, das Buch im Rahmen einer Leserunde zu lesen. Hinzu kam der Bezug zu Weimar, meiner Heimatstadt.
Anfangs dachte ich noch, dies könnte eine wundervolle Ergänzung zur Rubrik "Gegen das Vergessen" werden, da die Autorin die andere wenig beachtete Seite des 2. Weltkrieges beleuchtet.
Wie kam die normale deutsche Bevölkerung mit den Gräueltaten der Nazis klar, wie gestaltete sich der gutbürgerliche Alltag in Zeiten des Krieges? usw.

Leider erfüllte dieses Buch meine Erwartungen kaum und lies mich nach dem Lesen mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Dabei ist die Grundidee absolut interessant und Stellenweise sind auch sehr gute Ansätze zu finden. Dennoch fehlt es an einer glaubwürdigen Umsetzung.
Szenerien und Personen werden klischeehaft beschrieben und in Schubladen verfrachtet. Jenna Blum vermittelt dem Leser das amerikanische Denken über die Deutschen, was ihre familiären Wurzeln nicht zu verhindern wissen. Deutsche sind korpulent, vollbusig, unheimlich ordentlich, steif und haben Kuckucksuhren in der Wohnung hängen - um nur einige Beispiele anzuführen, die sich wie ein roter Faden durch die komplette Handlung schlängeln. Es wird zwar auch aufgezeigt, dass es unter der normalen bürgerlichen Bevölkerung genug Menschen gab, die sich dem Widerstand anschlossen und ihr Leben für ihre Überzeugung aufs Spiel setzten bzw. opferten, doch diese Passagen sind mir zu flüchtig.
Auch während der Interviewphase in der Gegenwart, werden die jüdischen Überlebenden und Opfer als gut und die Deutschen als uneinsichtig, nazistisch und negativ dargestellt.
Die gesamt Darstellung ist mir zu einseitig und oberflächlich.

Anna ist zu Beginn ein naives junges Mädchen, das die erste Liebe erlebt und von da an in einen Strudel der Ereignisse gerät.
Anna nimmt eine Art Zwischenrolle ein. Auch wenn man am Ende ihr Wesen recht gut verstehen und ihre Entwicklung nachvollziehen kann, wird auch sie hauptsächlich als unnahbar und kalt dargestellt. Nur Ansatzweise bekommt man ein Gespür bzw. den Zugang zu ihren Gefühlen.

Das Verhältnis von Anna und dem Obersturmführer wird rein auf sexuelle Gelüste und Brutalität reduziert. In wenigen kurzen Momenten kann man einen nebulösen Blick auf die Gedankenwelt dieses Mannes und seine Beweggründe bzw. Vergangenheit erhaschen. Dennoch hatte ich am Ende ein flaues Gefühl im Magen. Als Verallgemeinerung würde ich nach diesem Buch denken: Alle Nazis waren geistig gestört, hatten eine schlimme Kindheit und besaßen nicht unbedingt geistig hohes Niveau." Diese eingleisigen Beschreibungen haben mich immer wieder enorm gestört.
Das Anna alles getan hätte, um sich und vor allem Trudy zu retten ist wiederum greifbar und verständlich. Auch wenn ich nicht all ihre Handlungen realistisch finde, gibt es sicher viele Dinge, die ein Mensch in Ausnahmesituationen tun würde, die wir im hier und jetzt nur mit Kopfschütteln betrachten würden.

Das Handlungsgeschehen wechselt zwischen dem hier und heute in Amerika und der Vergangenheit zu Zeiten des 2. Weltkrieges. Diese Zeitsprünge sind gut nachvollziehbar und ergänzen sich, so dass ein übersichtlicher nachvollziehbarer Handlungsstrang entsteht. Bei oberflächlicher Betrachtung hat Jenna Blum einen Roman geschaffen, der schockiert, die Nerven aufreibt, fesselt und berührt. Jedoch fehlt die notwendige Tiefe.

Gewöhnungsbedürftig ist auch die textliche Gestaltung. Wörtliche Reden werden ohne Anführungszeichen oder besondere Hervorhebung fließend im Text integriert. Man gewöhnt sich mit der Zeit an diesen recht eigenen Satzbau, aber es erschwert anfangs das Lesen und man konzentriert sich weniger auf den eigentlichen Inhalt.

Ein großer Anreiz für mich, dieses Buch lesen zu wollen war der Handlungsort Weimar. Ich bin hier aufgewachsen und damit auch automatisch mit der Geschichte von Buchenwald. Im Buch konnte ich aber keine Verbindung zu Weimar herstellen. Auch wenn die Stadt damals noch anders ausgesehen und sich Straßenführungen bzw. Häuserfronten von den mir bekannten unterschieden haben, fehlte mir beim Lesen das Gefühl genau hier in Weimar zu sein. Es hätte sich um jede beliebige Stadt handeln können. Ich glaube nicht, dass die Autorin hierbei die Absicht verfolgte, den Handlungsort zu verallgemeinern, um eine größere Reichweite zu erreichen und aufzuzeigen, dass alles auch an jedem anderen Ort hätte passieren können. Dagegen sprich auch der explizite Bezug zu Buchenwald.
Die Beschreibung von Buchenwald dagegen erscheint gründlicher recherchiert und wirkt realer. Hier konnte ich Bezugspunkte finden.

Leider lässt mich das Buch enttäuscht und mit einem fahlen Nachgeschmack zurück.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks