Cover des Buches Gebete für die Vermissten (ISBN: 9783518424520)
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Rezension zu Gebete für die Vermissten von Jennifer Clement

Erschütternd und fesselnd

von Gospelsinger vor 9 Jahren

Rezension

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Gospelsingervor 9 Jahren
„Eine vermisste Frau ist nur ein Blatt, das der Regen in die Gosse treibt.“

Niemanden interessiert es, wenn in einem mexikanischen Bergdorf junge Mädchen von Drogen- und Menschenhändlern entführt werden und nie wieder auftauchen. Die Väter sind schon lange aus der Gegend weggezogen, um woanders Arbeit (und neue Familien) zu finden.
Den Mädchen bleibt nur, sich in Erdlöchern zu verstecken, wenn die schwarzen Geländewagen ins Dorf einfallen. Und die Mütter haben nur eine einzige Möglichkeit, ihre Töchter zu schützen: Sie verkleiden sie als Jungen und machen sie möglichst hässlich.

„Vielleicht muss ich dir die Zähne ausschlagen, sagte meine Mutter.“

Ladydi, die Protagonistin dieses erschütternden Romans, wünscht sich mehr vom Leben, als in Jungenkleidung herumzulaufen und sich in Erdlöchern zu verstecken. Sie möchte dem abgeschiedenen Dorf im Süden Mexikos entfliehen, sich wie die Mädchen, die sie im Fernsehen sieht, hübsch zurechtmachen, und wohlhabend werden. Auf keinen Fall möchte sie so leben wie ihre Mutter.

Das Dorf ist von einer Schnellstraße zerschnitten worden, und damit fingen die Probleme der bis dahin heilen Dorfgemeinschaft an. Mit der Schnellstraße kamen die Drogendealer, die Waffen, die Entführungen, die Gewalt, der Zerfall der Familien und die Auswanderung der männlichen Dorfbewohner in die USA. Und die Mohnfelder zum Drogenanbau wurden angelegt, wegen derer von Zeit zu Zeit von Hubschraubern der Armee so viel aggressives Gift versprüht wird, dass die Dorfbewohner gleich mitvergiftet werden.

Ladydi schafft es, dem Dorf zu entfliehen, aber sie zahlt einen sehr hohen Preis dafür.

Dieses Buch ist erschütternd, denn es ist keine ausgedachte Geschichte. Die Autorin hat jahrelang vor Ort recherchiert und Hunderte Interviews mit betroffenen Frauen geführt. Von der Weltöffentlichkeit völlig unbeachtet, läuft hier eine frauenverachtende Tragödie ab.

Dass dieses Buch so fesselt, liegt jedoch nicht nur am außergewöhnlichen Thema, sondern insbesondere am Schreibstil der Autorin, der eine dichte Atmosphäre schafft. Das Buch liest sich schnell und lässt einen wütend, aber auch hoffnungsvoll zurück. Denn die Kraft der Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, ist in jeder Zeile dieses Buches zu spüren.

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