Rezension zu "Oase der Freiheit" von Jennifer Steil
"Der Jemen, das touristische Traumziel, macht derzeit negative Schlagzeilen. Doch wie sieht es hinter den Mauern Sana’as der ältesten Stadt der Welt, aus? Die junge amerikanische Journalistin Jennier Steil wagt einen mutigen Schritt und wird für ein Jahr Redakteurin des Yemen Observer. Wie erwartet, findet sie Fremdheit, Engstirnigkeit und Hass. Ihr gelingt aber auch ein Blick in jene Welt, die offiziellen Berichterstattern verborgen bleibt: die Welt der Frauen.
Dabei entdeckt sie Freundschaft, Offenheit und eine unglaubliche Stärke bei Frauen, die für ihre Rechte und Freiheit kämpfen." Klappentext
Das klang interessant, doch hatte ich keine großen Erwartungen. Hätte ich ruhig haben können, denn das Buch ist sehr schön geschrieben, interessant und macht einen nachdenklich.
Jennifer Steil berichtet aus der Ich-Perspektive, wie es ihr im Jemen und im Yemen Observer ergangen ist. Dabei schafft sie es jedoch, über einen Reisebericht oder Tagebüchereinträge hinauszugehen, sodass sich das Buch wie ein Roman liest, wodurch es nicht zu langatmig wird.
Was mir besonders gut gefallen hat, ist die Art, wie sie über das Land, die Leute und die Arbeit berichtet. Sie verheimlicht nicht ihre Ängste, Gedanken, Vorurteile oder Berührungsängste, trotzdem hat man nie den Eindruck, sie würde auf das Land oder die Leute hinab schauen. Vielleicht fließt an dieser Stelle ihre Maxime des Journalismus ein, nämlich objektiv zu berichten. Was nicht bedeutet, dass sie nicht ihre Gefühle einfließen lässt, wenn sie z.B. über die Machtkämpfe berichtet, die sie sich immer wieder mit den Männern leistete, weil sie Frauen nicht als Autorität anerkennen.
Oase der Freiheit ist ein Buch, in dem man seine eigenen Gefühle wiedererkennen kann. So erzählt Jennifer Steil von ihrer Unsicherheit gerade den Frauen gegenüber. Die Frauen sind verschleiert, zum Teil kennt sie nur die Augen ihrer Mitarbeiterinnen, was ihr das Gefühl gibt, ständig vorsichtig sein zu müssen, um den Frauen nicht zu nahe zu treten. Unbegründete Sorgen, denn unter ihren dunklen Gewändern tragen sie Jeans, enge Shirts, sind Geschminkt und träumen von einem selbstbestimmten, guten Leben.
Ich habe das Buch verschlungen und kann es nur empfehlen. Einziger kleiner Punkt, den ich schade finde, zum Schluss berichtete die Autorin seltener über die Frauen des Jemen und mehr über ihr Privatleben. Ich hätte gerne noch mehr über die Frauen erfahren und ihren Weg sich Freiheiten zu verschaffen.
Zitat
Aufgrund dieser angelernten Aversion gegen Bildung und das Fehlen einer Lesekultur haben meine Reporter und die gesamte jemenitische Bevölkerung einen ungeheuren Nachteil, wenn es darum geht, die Welt und das Spektrum der menschlichen Erfahrung zu begreifen. Wie sollen Menschen andere Lebensstile und die Welt jenseits ihrer Grenzen ohne die Hilfe von Büchern und Zeitungen verstehen?
Wie entwickelt man Mitgefühl für jemanden mit einem völlig anderen Wertekanon, ohne etwas zu lesen, in dem das zum Ausdruck kommt? Bücher gehören zu den wenigen Möglichkeiten, die wir haben, in die Köpfe von Menschen einzudringen, denen wir in unserem Alltagsleben nie begegnen, und in Länder zu reisen, die wir nie besuchen würden.
Vermutlich erlaubt der harte Existenzkampf, den die meisten Jemeniten führen, ihnen gar nicht, Zeit für die Betrachtung anderer Lebnsweisen zu finden. Vielleicht können wir im Westen uns den Blick über den Tellerrand auch nur erlauben, weil wir ein bequemes Leben führen. S. 283-284