Rezension zu Wörterbuch von Jenny Erpenbeck
Verstörend...
von parden
Kurzmeinung: Vater. Mutter. Kind. Kein Heileweltroman, sondern eine verstörende Parabel. Ein anstrengendes Spiel mit Wörtern um Worte und Sprache...
Rezension
pardenvor 7 Jahren
VERSTÖREND...
Eine junge Frau erinnert sich an ihre wohlbehütete Kindheit in einem südamerikanischen Land und kommt einem dunklen Geheimnis auf die Spur: Die Eltern, die sich so fürsorglich um sie gekümmert haben, sind nicht ihre leiblichen Eltern. Sie sind Teil eines terroristischen Regimes, das auch ihre Eltern umgebracht hat …
Vater. Mutter. Kind. So wächst das kleine Mädchen heran in einer kleinen Stadt, in einem Land, in dem immer die Sonne scheint. Haus. Die Familie lebt gemeinsam in einem großen Haus, eine Amme kommt, solange das Mädchen klein ist, eine Aufwartefrau hilft der Mutter. Ordnung. 'Ordnung muss sein', sagt der Vater, der als Polizeikommandant dafür sorgt. Klavier. Das Kind soll ein Instrument lernen, also geht es einmal in der Woche zum Unterricht, wo es immer nur die Lehrerin in einem bis auf das Klavier leeren Raum antrifft, niemanden sonst. Schule. Uniformierte Kinder, alle gleich, die Augen geradeaus auf die Fahnen gerichtet, allmorgendlich, hinter der Mauer ein geplatzter Reifen, der auch ein Schuss sein könnte.
"Ich sehe einen Baum und sage Baum. Ich rieche Kuchen, den meine Mutter am Sonntag bäckt, und sage Kuchen. Ich höre einen Vogel im Garten zwitschern, und meine Mutter sagt: Ja, ein Vogel. Das waren vielleicht die einzigen Wörter, die heil waren, als ich sie lernte. Und auch die dann verkehrt, aus mir herausgerissen und andersherum wieder eingesetzt. Für mich standen die Worte fest, aber jetzt lass’ ich sie los, und wenn es nicht anders geht, schneide ich den einen oder anderen Fuß lieber mit ab."
Was ist 'Wörterbuch' nun eigentlich? Kein Heilewelt-Roman, so viel kann ich verraten. Ehrlich gesagt habe ich solch ein Buch bislang noch nie gelesen. Eine bitterböse Parabel träfe es da vielleicht am ehesten. Verstörend ist es allerdings auch.
Vage gehalten sind Orte und Namen, Südamerika ist gewiss, Argentinien zu Zeiten der Militärdikatatur wahrscheinlich - aber auch jede andere Diktatur kann sich hier wiederfinden - Parallelen zu Jenny Erpenbecks eigener Kindheit in der DDR sind wohl ebenfalls nicht zufällig. Die Personen erhalten schwache Konturen, eher Rollenzuschreibungen, lediglich einige Kinder bekommen hier einen Namen. Totalitäres Schreckensregime, ideologische Indoktrination, Verzerrung der Wirklichkeit. Und die Rolle der Sprache. Der Wörter. Die zunehmend nicht mehr das sind, was sie vorgeben zu sein.
Doch auch wenn die Autorin eigentlich ein fatales Szenario beschreibt, liest sich das Ganze über weite Strecken hinweg völlig harmlos, was wohl aus dem unkommentierten Nebeneinander der geschilderten Fakten einerseits und der naiv-kindlichen Perspektive der Ich-Erzählerin andererseits resultiert. Zwar wird größtenteils chronologisch erzählt, doch die ausschließliche Perspektive des erlebenden Kindes ist assoziativ und sprunghaft. Beiläufiges und Wesentliches vermischt sich so immer wieder. Ein Kind, ein anscheinend intaktes Wortregister, tatsächlich aber ein Nachschlagewerk der Lüge mit einer nur vordergründig harmlosen Begrifflichkeit. Um die (vermeintliche) Bedeutung von Wörtern sowie um die Macht der Sprache, die das erzählende Mädchen im Laufe seines Heranwachsens als Instrument der Beeinflussung erfährt, geht es hier.
"Meine Eltern haben viel Platz. Bei mir ist das anders. Der Kopf, den ich bewohne, war schon immer von fremden Träumen möbliert, kommt mir vor. Da falle ich von Zeit zu Zeit hin oder laufe gegen irgendwas oder klemme mich ein. Vater und Mutter."
Die Beschönigungen des Schrecklichen - nichtssagende Umschreibungen der Folter, vorgestanzte harmlose Floskeln für eine Hinrichtung, märchenhafte Erklärungen für das Verschwinden von Menschen: das Kind in der Erzählung erfährt zunehmend, dass es sich auf das Wort als solches nicht verlassen kann, setzt aber große Anstrengungen darein zu verdrängen, zu leugnen, damit die gelernte Wahrheit auch ihre Wahrheit bleibt. Aber es geht noch weiter, denn die ganze Lebenswelt des Mädchens gerät letztlich nicht nur ins Wanken, sondern stürzt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Es erfährt, dass es nicht das Kind der Menschen ist, die es Mama und Papa zu nennen gelernt hat. Der Mann, der eigentlich ihr Vater war, verschwand spurlos - und die Frau, die sie geboren hat, starb gleich nach der Geburt des Mädchens in den Händen der Militärs. Und doch bleibt das Mädchen seinen vermeintlichen Eltern weiter verbunden. Trotz der Wahrheit, die letztlich ans Tageslicht kommt.
Durch Recherche habe ich erfahren, dass hinter dieser Parabel eine wahre Geschichte steckt, die sich zu Zeiten der Militärdiktatur in Argentinien zugetragen hat. Damals wurden alle Menschen mitgenommen, die potentielle Gegner waren, darunter auch schwangere Frauen. In vielen Fällen wurde dann gewartet, bis das Kind geboren war, danach wurde die Mutter umgebracht, während das Kind oft Polizeibeamten gegeben oder verkauft wurde. In einem dieser Fälle haben später die leiblichen Verwandten nach dem Kind der ermordeten Mutter gesucht und es schließlich gefunden. Dieses Kind hat sich dann letztlich aber für die damaligen Anhänger der Diktatur, ihre falschen Eltern entschieden - denn das war die Wahrheit, in der es aufgewachsen war.
"...wenigstens kommt das, was ich esse, unten wieder heraus, nur das, was ich in die Augen hineintue, wo geht das hin, soll das alles in meinen Kopf hineinpassen, selbst wenn ich das stapeln würde wie unsere Aufwartefrau die Wäsche, zusammenfalten und übereinanderlegen, hätte das keinen Platz, glaube ich, deshalb sage ich, was ich sehe, denn dann macht das in meinem Kopf eine Kurve und geht durch den Mund wieder hinaus. Scheiße, sage ich, als ich später sehe, was aus dem Kuchen geworden ist.."
Während ich die Gedankenwelt des Kindes wie im vorweg genannten Beispiel anfangs spannend und, ja, durchaus philosophisch fand, geriet der Schreibstil für mich dann aber zunehmend zu einem K(r)ampf. Sätze von bis zu einer Seite sind da keine Seltenheit, zahllose Wiederholungen, deren Sinn sich mir letztlich zwar erschloss, die für mich aber einfach nur anstrengend zu lesen waren. Das Spiel mit Wörtern um Worte und Sprache - Jenny Erpenbeck mag da zu einer gewissen Virtuosität gelangen, aber mich überforderte diese geballte Versprachlichung der Verharmlosung des Grauens. Die verschwimmende Grenze zwischen der Realität und der Fantasie des Kindes, die ständigen Umdeutungen, das gelegentliche Abgleiten ins Surreale - es tut mir leid: das war nichts für mich.
Verstörend - der Titel meiner Rezension fasst gut zusammen, wie ich die Lektüre letztlich empfand. Trotz der Kürze der Parabel konnte ich immer nur kleine Häppchen lesen und musste das Buch dann erst einmal wieder zur Seite legen. Dass Jenny Erpenbeck auch anders kann, habe ich ja bei 'Gehen, ging, gegangen' gesehen. Hier jedoch kann ich nur wiederholen: das war nichts für mich...
© Parden
Eine junge Frau erinnert sich an ihre wohlbehütete Kindheit in einem südamerikanischen Land und kommt einem dunklen Geheimnis auf die Spur: Die Eltern, die sich so fürsorglich um sie gekümmert haben, sind nicht ihre leiblichen Eltern. Sie sind Teil eines terroristischen Regimes, das auch ihre Eltern umgebracht hat …
Vater. Mutter. Kind. So wächst das kleine Mädchen heran in einer kleinen Stadt, in einem Land, in dem immer die Sonne scheint. Haus. Die Familie lebt gemeinsam in einem großen Haus, eine Amme kommt, solange das Mädchen klein ist, eine Aufwartefrau hilft der Mutter. Ordnung. 'Ordnung muss sein', sagt der Vater, der als Polizeikommandant dafür sorgt. Klavier. Das Kind soll ein Instrument lernen, also geht es einmal in der Woche zum Unterricht, wo es immer nur die Lehrerin in einem bis auf das Klavier leeren Raum antrifft, niemanden sonst. Schule. Uniformierte Kinder, alle gleich, die Augen geradeaus auf die Fahnen gerichtet, allmorgendlich, hinter der Mauer ein geplatzter Reifen, der auch ein Schuss sein könnte.
"Ich sehe einen Baum und sage Baum. Ich rieche Kuchen, den meine Mutter am Sonntag bäckt, und sage Kuchen. Ich höre einen Vogel im Garten zwitschern, und meine Mutter sagt: Ja, ein Vogel. Das waren vielleicht die einzigen Wörter, die heil waren, als ich sie lernte. Und auch die dann verkehrt, aus mir herausgerissen und andersherum wieder eingesetzt. Für mich standen die Worte fest, aber jetzt lass’ ich sie los, und wenn es nicht anders geht, schneide ich den einen oder anderen Fuß lieber mit ab."
Was ist 'Wörterbuch' nun eigentlich? Kein Heilewelt-Roman, so viel kann ich verraten. Ehrlich gesagt habe ich solch ein Buch bislang noch nie gelesen. Eine bitterböse Parabel träfe es da vielleicht am ehesten. Verstörend ist es allerdings auch.
Vage gehalten sind Orte und Namen, Südamerika ist gewiss, Argentinien zu Zeiten der Militärdikatatur wahrscheinlich - aber auch jede andere Diktatur kann sich hier wiederfinden - Parallelen zu Jenny Erpenbecks eigener Kindheit in der DDR sind wohl ebenfalls nicht zufällig. Die Personen erhalten schwache Konturen, eher Rollenzuschreibungen, lediglich einige Kinder bekommen hier einen Namen. Totalitäres Schreckensregime, ideologische Indoktrination, Verzerrung der Wirklichkeit. Und die Rolle der Sprache. Der Wörter. Die zunehmend nicht mehr das sind, was sie vorgeben zu sein.
Doch auch wenn die Autorin eigentlich ein fatales Szenario beschreibt, liest sich das Ganze über weite Strecken hinweg völlig harmlos, was wohl aus dem unkommentierten Nebeneinander der geschilderten Fakten einerseits und der naiv-kindlichen Perspektive der Ich-Erzählerin andererseits resultiert. Zwar wird größtenteils chronologisch erzählt, doch die ausschließliche Perspektive des erlebenden Kindes ist assoziativ und sprunghaft. Beiläufiges und Wesentliches vermischt sich so immer wieder. Ein Kind, ein anscheinend intaktes Wortregister, tatsächlich aber ein Nachschlagewerk der Lüge mit einer nur vordergründig harmlosen Begrifflichkeit. Um die (vermeintliche) Bedeutung von Wörtern sowie um die Macht der Sprache, die das erzählende Mädchen im Laufe seines Heranwachsens als Instrument der Beeinflussung erfährt, geht es hier.
"Meine Eltern haben viel Platz. Bei mir ist das anders. Der Kopf, den ich bewohne, war schon immer von fremden Träumen möbliert, kommt mir vor. Da falle ich von Zeit zu Zeit hin oder laufe gegen irgendwas oder klemme mich ein. Vater und Mutter."
Die Beschönigungen des Schrecklichen - nichtssagende Umschreibungen der Folter, vorgestanzte harmlose Floskeln für eine Hinrichtung, märchenhafte Erklärungen für das Verschwinden von Menschen: das Kind in der Erzählung erfährt zunehmend, dass es sich auf das Wort als solches nicht verlassen kann, setzt aber große Anstrengungen darein zu verdrängen, zu leugnen, damit die gelernte Wahrheit auch ihre Wahrheit bleibt. Aber es geht noch weiter, denn die ganze Lebenswelt des Mädchens gerät letztlich nicht nur ins Wanken, sondern stürzt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Es erfährt, dass es nicht das Kind der Menschen ist, die es Mama und Papa zu nennen gelernt hat. Der Mann, der eigentlich ihr Vater war, verschwand spurlos - und die Frau, die sie geboren hat, starb gleich nach der Geburt des Mädchens in den Händen der Militärs. Und doch bleibt das Mädchen seinen vermeintlichen Eltern weiter verbunden. Trotz der Wahrheit, die letztlich ans Tageslicht kommt.
Durch Recherche habe ich erfahren, dass hinter dieser Parabel eine wahre Geschichte steckt, die sich zu Zeiten der Militärdiktatur in Argentinien zugetragen hat. Damals wurden alle Menschen mitgenommen, die potentielle Gegner waren, darunter auch schwangere Frauen. In vielen Fällen wurde dann gewartet, bis das Kind geboren war, danach wurde die Mutter umgebracht, während das Kind oft Polizeibeamten gegeben oder verkauft wurde. In einem dieser Fälle haben später die leiblichen Verwandten nach dem Kind der ermordeten Mutter gesucht und es schließlich gefunden. Dieses Kind hat sich dann letztlich aber für die damaligen Anhänger der Diktatur, ihre falschen Eltern entschieden - denn das war die Wahrheit, in der es aufgewachsen war.
"...wenigstens kommt das, was ich esse, unten wieder heraus, nur das, was ich in die Augen hineintue, wo geht das hin, soll das alles in meinen Kopf hineinpassen, selbst wenn ich das stapeln würde wie unsere Aufwartefrau die Wäsche, zusammenfalten und übereinanderlegen, hätte das keinen Platz, glaube ich, deshalb sage ich, was ich sehe, denn dann macht das in meinem Kopf eine Kurve und geht durch den Mund wieder hinaus. Scheiße, sage ich, als ich später sehe, was aus dem Kuchen geworden ist.."
Während ich die Gedankenwelt des Kindes wie im vorweg genannten Beispiel anfangs spannend und, ja, durchaus philosophisch fand, geriet der Schreibstil für mich dann aber zunehmend zu einem K(r)ampf. Sätze von bis zu einer Seite sind da keine Seltenheit, zahllose Wiederholungen, deren Sinn sich mir letztlich zwar erschloss, die für mich aber einfach nur anstrengend zu lesen waren. Das Spiel mit Wörtern um Worte und Sprache - Jenny Erpenbeck mag da zu einer gewissen Virtuosität gelangen, aber mich überforderte diese geballte Versprachlichung der Verharmlosung des Grauens. Die verschwimmende Grenze zwischen der Realität und der Fantasie des Kindes, die ständigen Umdeutungen, das gelegentliche Abgleiten ins Surreale - es tut mir leid: das war nichts für mich.
Verstörend - der Titel meiner Rezension fasst gut zusammen, wie ich die Lektüre letztlich empfand. Trotz der Kürze der Parabel konnte ich immer nur kleine Häppchen lesen und musste das Buch dann erst einmal wieder zur Seite legen. Dass Jenny Erpenbeck auch anders kann, habe ich ja bei 'Gehen, ging, gegangen' gesehen. Hier jedoch kann ich nur wiederholen: das war nichts für mich...
© Parden