Cover des Buches Das ist nicht wahr, oder? (ISBN: 9783849300500)
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Rezension zu Das ist nicht wahr, oder? von Jenny Lawson

Rezension zu "Das ist nicht wahr, oder?" von Jenny Lawson

von Mr. Rail vor 11 Jahren

Rezension

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Mr. Railvor 11 Jahren
“Das ist nicht wahr, oder?” Dieser Gedanke ging uns in den letzten Tagen mehrfach durch den Kopf. Nicht angesichts des gleichnamigen Buches, sondern eher in Bezug auf den gezielten marktorientierten Etikettenschwindel, der landauf – landab damit betrieben wird. Um Neugier zu wecken wird vor dem Roman gewarnt; er wird als „politically incorrect“ abgestempelt und eingängige Werbeslogans wie „Wir distanzieren uns vom Inhalt dieses Buches“ machen die Runde. Darüber wird die Autorin auch noch in branchenüblichen Magazinen mit dem Schlagwort „Psycho“ belegt. Eine Werbestrategie, der wir uns entziehen möchten, da wir schlicht und ergreifend von „Das ist nicht wahr, oder?“ überzeugt sind. Solche und ähnliche Schlagzeilen würden inhaltlich eher zu Romanen wie „Er ist wieder da“ passen – und der ist nur wirklich politisch unkorrekt… Mehr als das und vom Inhalt sollte man sich tunlichst auch distanzieren. Und nun hebt man die sogenannte „Lebensbeichte“ (ebenfalls irreführend, da einer Beichte ja das Bereuen zugrunde liegt) auf die Ebene eines sozial-politischen Ereignisses? Na – nicht wirklich… wir haben es hier mit Unterhaltung zu tun – und zwar mit BESTER! Dies alles schreiben wir ohne werbewirksame Strategieausrichtung nieder, da wir zum ersten Mal ein Buch vor uns liegen haben, das uns zuschreit „Das Leben ist nur ein Blog!“ Literatur, die einem WebLog entspringt und so erfrischend wirkt, wie ein gepfefferter literarischer Longdrink on Ice (es prickelt, schmeckt innovativ, hält lange an und man wird unendlich berauscht von purer Lesefreude) muss etwas Besonderes sein… Gehen wir dem Phänomen doch einfach auf die Spur. Da schreibt eine junge Frau in Texas Tag für Tag ihre alltäglichen Erlebnisse in einem Blog nieder und trifft dabei wohl in solch außerordentlicher Weise den Ton der Zeit, dass sie unter dem Namen „The Bloggess“ mehr als drei Millionen Leser pro Monat mit ihren Texten fasziniert. Von diesem Erfolg mehr als überwältigt, geht Jenny Lawson den nächsten Schritt und veröffentlicht ein Buch. Und welch Überraschung – es landet bereits nach wenigen Tagen auf den etablierten Bestsellerlisten der Vereinigten Staaten. Und dabei hat sie nichts anderes gemacht, als den Stil ihres Blogs in Wort und Bild in einem flotten autobiografischen Zeitgeist-Lifestyle-Roman zu bündeln. Jenny Lawson kokettiert in äußerst sympathischer Art und Weise mit dem Titel ihres Buches und verleitet den aufmerksamen Leser mehrmals dazu, ungläubig staunend zu überlegen, was nun wahr und was einfach nur frei erfunden ist. Jenny Lawson möchte alles – nur nicht ernster genommen werden, als sie sich selbst nimmt. Und hier sind wir schon bei den Wesensmerkmalen dieses Buches. Jenny beweist erfrischend unbekümmert wie sehr ein Mensch über sich selbst und sein Leben lachen kann. Sie stellt sich selbst in den Mittelpunkt allen Interesses. Sie weiß, wie sehr man an ihren Lippen klebt, wenn sie von ihrer eigenen Kindheit und Jugend erzählt und das skurrile Leben im Herzen von Texas beschreibt. Der Erzählstil ist so modern, frisch und lebendig, als würde man einer wilden Abfolge von Youtube-Videos folgen, die nur eines zeigen. Pleiten, Pech und Pannen eines ganz besonderen Lebensweges und mittendrin in dieser Bilderflut, eine Frau, die über eines am besten lachen kann: Über sich selbst. Wer wissen möchte, wie es ist als Tochter eine Tierpräparators groß zu werden, der nichts besseres im Sinn hat, als seine Familie mit immer neuen Variationen seiner Fantasie zu erschrecken – wer nachempfinden möchte, warum eine Badewanne voller lebendiger Waschbär-Babies einer Invasion zwangsgestörter Wesen aus dem All gleich kommt – wer zuhören möchte, wenn ein ausgestopftes Eichhörnchen Gute-Nacht-Geschichten erzählt und dabei ein kleines Mädchen von einem bleibenden Schaden in den nächsten jagt, der sollte dieses Buch lesen. Wer der heranwachsenden Jenny auf ihrem aberwitzigen Weg folgen möchte – wer Zeuge eines mehrstündigen Heiratsantrages werden möchte und dabeisein mag, wenn diese Frau feststellt, wie ihr Körper nach der Geburt der eigenen Tochter zu einem Monster mutiert – wer den Ehealltag einer Turbo-Bloggerin mit Haushaltsdefiziten und Berührungsängsten mit realen Menschen erlesen möchte – und wer das Spannungsfeld zwischen heimarbeitenden Eheleuten (Sie als Pornofilm-Rezensentin und Er als telefonierender Software-Verkäufer) nachempfinden möchte, dem bleibt keine Wahl. Der sollte lesen. Tief verborgen unter den Zeilen findet man dann einen Menschen, der einerseits unterhalten möchte, uns aber unverhohlen von Sehnsüchten nach Geborgenheit und Schutz berichtet, ihre Abhängigkeit von modernen Medien thematisiert und kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn sie tumultartige Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann bis ins letzte Detail auskostet. Jenny Lawson ist grandios und lügt wie gedruckt. Sie schockiert und provoziert und an den Stellen, an denen man glaubt, sie überführt zu haben, findet man Bilder aus ihrem Leben, die den Leser vom genauen Gegenteil überzeugen. „Das ist nicht wahr, oder?“ Genau diesen Satz hört man sich selbst sehr oft flüstern, wenn man auf der Spur der „Bloggess“ bleibt. Dieses Buch sprüht nur so vor oberflächlichem, tiefgründigem Humor und zeichnet dabei doch ein so klares Bild von einer perfekten Autorin des 21. Jahrhunderts. Von der ersten bis zur letzten Seite unterhaltsam und packend – von der ersten bis zur letzten Seite ein großes Experiment für Schriftsteller und Leser. Dabei überzeichnet sie sich selbst und nimmt doch all diejenigen in Schutz, über die sie uns so herzhaft lachen lässt. Den Rest muss der Leser mit sich selbst ausmachen. Dieses Buch endet nicht – es setzt sich mit dem täglichen Blick auf ihren Blog fort. Sie droht gar mit einem zweiten Teil und Stoff genug hat diese Frau. Gerade Blogger werden sich wiederfinden – Menschen mit großen und kleinen menschlichen und zwischenmenschlichen Problemen werden sich wiederfinden und beim herzhaften Lachen das Fünkchen Wahrheit erfühlen, das uns Jenny Lawson mit auf den Weg gibt. Macht das Buch nicht wichtiger als es ist. Verrückt es nicht aus dem Kontext der eigentlichen Intention. Lasst es nicht zur Beichte verkommen – denn Jenny Lawson bedarf keiner Absolution und stellt sie nicht ungeprüft in die Psycho-Ecke. Nehmt dieses Buch wie einen Blog – betrachtet es als Angebot in einer unüberschaubaren Welt moderner Medien. Verweilt, lacht, brüllt, flucht und leidet mit – aber vergesst eines nie: „Das ist nicht wahr, oder?“ “Das ist nicht wahr, oder?” erscheint am 16.2.2013 beim neuen Metrolit-Verlag (unter dem Dach des Aufbau Verlages). PS:: Zur Preisangabe der Autorin, das Buch würde 45 Dollar kosten… Werbestrategie nach Lawson: “Meine Lektorin sagt, das Buch würde keine 45 Dollar kosten. Ich weiß das, aber wenn die Leute lesen, das Buch würde 45 Dollar kosten, nachdem sie 35 Dollar dafür bezahlt haben, haben sie ein gutes Gefühl, weil sie so ein tolles Schnäppchen gemacht haben, obwohl sie ja eigentlich den vollen Preis bezahlt haben. So funktioniert Marketing!” PPS: Das Buch kostet in Deutschland 40 Euro…! (Naja… eigentlich 19,99 €)
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