Cover des Buches Oxen. Der dunkle Mann (ISBN: 9783742404121)
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Rezension zu Oxen. Der dunkle Mann von Jens Henrik Jensen

Wer Oxen in die Enge treibt ...

von WolfgangB vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Eigentlich sollte der zweite Teil nur die Spannung bis zum Finale aufbauen - aber der Hauptfigur geht die Geduld aus.

Rezension

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WolfgangBvor 6 Jahren
Beim zweiten Teil seiner Geschichte kann sich ein Autor nicht darauf verlassen, dass seine Leserschaft mit dem ersten vertraut ist oder dessen Ereignisse noch exakt in Erinnerung hat. Er kann also auf aufmerksame Leser hoffend, dieses Bedürfnis übergehen oder unter dem Titel "Was bisher geschah" kurz resümieren. Jens Henrik Jensen wählt einen weiteren Ansatz: Stückweise bringt er die Schlüsselelemente des Auftaktbandes in die aktuelle Geschichte als Starthilfe ein. Die Titelfigur wird als ehemaliger Elitesondat immer wieder von seinen Kriegstraumata heimgesucht, die als Rückblenden dienen und seine Persönlichkeit schärfer zeichnen. Ebenso wie dieser hat sich auch seine zeitweilige Partnerin Margarete Franck nur vordergründig mit dem Verlust eines Beines bei der Verfolgung eines Straftäters abgefunden und begibt sich auf eine einsame Suche nach dem untergetauchten Oxen. Die Mitglieder des einflussreichen Geheimbundes Danehof tauschen sich freimütig über die Genesis ihrer Situation aus und entscheiden mit einem von Allmachtsphantasien gestärkten Selbstverständnis über Leben und Tod.

"Der dunkle Mann" hat somit als zweiter Teil einer Trilogie den Startvorteil, an einer bekannten Geschichte anknüpfen zu können. Protagonisten und Antagonisten sind vorgestellt, ihre Positionen zueinander abgesteckt. Der Erfolg am Ende des erste Teils erwies sich nur als ein Etappenziel, lediglich die Spitze des Eisbergs wurde abgetragen. Aus dieser Situation würde man sich für die Fortsetzung nun eine Erkundung des Eisgebirges unter der Oberfläche erwarten. Gebannt wartet man auf die weitere Ausgestaltung, ja sogar Dämonisierung des Danehofs, der über viele Jahrhunderte die Geschicke Dänemarks gelenkt hat. Der Autor öffnet die Tür zu diesem Geheimbund einen Spaltbreit - und bereitet den Lesern des ersten Teils ein überraschendes Moment - verschließt sie jedoch gleich wieder, anstatt die Gefährlichkeit durch die Erkundung eines weitverzweigten Netzwerkes zu demonstrieren. Aufgrund der geopolitischen Situation Dänemarks kann das mögliche Bedrohungsszenario kein globales sein, die Geschichte muss ihre Spannung also durch die unmittelbare Bedrohung von Niels Oxen beziehen. Dieser wird gezwungen, sich aus einer Position der Unterlegenheit gegen einen übermächtigen Gegner zur Wehr zu setzen.

Als auslösendes Moment dient die Entscheidung des Danehofs, Oxen seines Druckmittels zu berauben und ihn so aus seiner Deckung zu jagen. Dieser jedoch ist in seiner Paranoia permanent wachsam, begibt sich in keine Situation ohne Notausgang und bringt es auf diese Weise zustande, immer wieder durch das engmaschige Netz seiner logistisch und personell weit überlegenen Gegner zu schlüpfen. Sein einziges Ziel ist zu überleben, und so findet er sich in der Rolle des Guerillakämpfers. Er überlegt klug, welchen Kämpfen er sich stellen muss und welche er besser vermeidet, er nutzt die Ressourcen des Feindes, seine Angriffe erfolgen schnell und hart. Er kontaktiert seine wenigen aber loyalen Freunde genau zum jeweils idealen Zeitpunkt und sammelt auf diese Weise geduldig alle erforderlichen Informationen, um seinen Gegner zu Fall zu bringen.

Oxens persönliche Welt bleibt überschaubar, das Figurenensemble entspricht weitgehend dem des ersten Teils. Margarete Franck steht ihm weiterhin bedingungslos zur Seite, der Geheimdienstchef Alex Mossmann bleibt weiter in seiner Rolle undurchsichtig. Einzig mit dem Polizeidirektor Andersen, den die versandenden Ermittlungen in einem Mordfall im Einflussbereich des Danehofs zunehmend frustrieren, schafft der Autor eine kantige Nebenfigur, die offensichtlich lediglich die Funktion erfüllt, die Ohnmacht der Behörden gegenüber dem Danehof zu demonstrieren.

Über weite Teile begleitet der Leser den Veteranen mit dem unbeugsamen Überlebenswillen auf seiner atemlosen Flucht. Infolgedessen entsteht rasch der Eindruck, "Der dukle Mann" diene der Überbrückung der Zeit bis zur unvermeidlichen Auflösung. Der Autor gibt seine Informationen nur spärlich, dafür aber mit einem feinen Gespür für das richtige Timing preis und erinnert somit an einen geschickten Pokerspieler, der mit einem unschlagbaren Blatt seine Mitspieler zu immer höheren Einsätzen treibt. Die Geduld des Autors scheint jedoch die Hauptfigur nicht zu teilen. Für einen Gurillakämpfer kann die einzige Verteidigung nur der Angriff aus der Position der Deckung heraus sein, und so beschließt Oxen, das Feuerwerk, das möglicherweise erst für das Finale vorgesehen wäre, sofort zu entzünden ... auf eine Weise, die noch genügend Fragen für den dritten Teil offen lässt.

Obwohl die Geschichte an sich bereits von einer Dynamik getrieben ist, die man zur Stromerzeugung nützen könnte, ist es doch erst die Lesung von Dietmar Wunder, die den Fernseher im Kopf in eine Kinoleinwand verwandelt. Die verschiedenen Typen seines stimmlichen Repertoires lassen die Figuren deutlich voneinander unterscheidbar in Dialog zueinander treten. Wo im Film eine rasche Schnittfolge den Takt einer Verfolgungsjagd vorgibt, hetzt Dietmar Wunder keuchend, schreiend, fluchend, den Ruhepulsbereich weit hinter sich lassend durch die Szenen. Die Verschnaufpausen sind leise, eindringlich, lassen Oxens Traumata erahnen, die unerbittlich am Rande seines Bewusstseins lauern. Der Text weitet bereits die Poren, doch die Lesung presst die Schweißperlen hindurch.


Persönliches Fazit:
Der Titel suggeriert es bereits: Der Held ist die Geschichte.
Oxens actiongeladene Flucht vor seinen Widersachern schreit nach Verfilmung, der Rest folgt im Finale.
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