Rezension zu "Die Geschichte der Korruption" von Jens Ivo Engels
Sünde, Betrug, notwendiges Übel oder probates Mittel zum Zweck?
Nach der Lektüre dieses Buches ist sicherlich im Denken des Lesers nicht alles anders geworden in Fragen der Bewertung von Korruption, Vorteilsnahme und Bestechlichkeit.
Wohl aber wird zum einen klar, dass es solches Handeln immer schon gegeben hat, dass persönliche Bereicherung oder ein „eine Hand wäscht die andere“ streckenweise ganz offen praktiziert wurde, über die meiste Zeit der betrachteten Historie dann doch aber eher „hinter dem Rücken“ und verdeckt gehandhabt wurde.
Sehr interessant und Nachdenkens wert, bei all der gelungenen Darstellung der Geschichte der Korruption an sich bereits im Buch, wird es aber da, wo Engels versuchsweise bewertungsfrei sich den gesamten Vorgang anschaut.
Vielleicht ist es ja eher so, dass, neben der moralischen Empörung, die gegenseitige Einflussnahme einfach ein erprobtes und gar kein so übles Mittel zur poltischen Gestaltung ist (wenn es auch unlauter bewertet wird und dies auch so bleiben wird, mittelfristig zumindest).
Engels formuliert so dezidiert, dass er seine Untersuchung dahingehend auswertet, dass eine Gesellschaft ohne ein gewisses Maß Korruption weder existiert noch je existiert hat und auch gar nicht funktionieren könnte.
Da erhellt der Blick auf die Vormoderne mit seiner positiv besetzten Gesellschaftsform der „Patronage“ durchaus den Blick, ebenso, wie natürlich an diesen gesellschaftlichen Umständen deutlich wird, warum die Korruption, die „Patronage“ in späteren, demokratischeren Zeiten als solches Übel gesehen wird. Denn als „Zement“ einer hierarchischen Gesellschaft ist ab einem gewissen Maß die Korruption natürlich zerstörend für eine auf Gerechtigkeit und zumindest grundlegend gedachter Chancengleichheit „freien“ Gesellschaftsform.
So wendet sich Engels nach dem kurzen Blick in die Frühzeit, sich daher umgehend den wesentlichen Fragen der Moderne in Bezug auf die Korruption zu.
Wie in „Aufstieg und Fall der politischen Begünstigungssysteme zwischen 1850-1940), wo Sinn und Verurteilung, das vermeintliche unbedingte „Gerechtigkeitsgefühl“ gegen den Pragmatismus des „Laufes der Welt“ (in schmierender Hinsicht) sehr verständlich gegenübergestellt nachvollzogen werden könnten, bis hin zum Lobbyismus heutiger Ausformung. Und der Konklusion, dass eben nur theoretisch wirklich zwischen „öffentlichem Amt“ und „privater Person“ getrennt werden kann, in der Realität die Grenzen aber verschwimmen. Machtechniken betreffen letztlich immer auch die Person, die ein Amt ausfüllt und damit deren Vorlieben, Sympathien, Antipathien, der erste Schritt zu einer „Patronage“.
Dies also gehört zum menschlichen Zusammenleben faktisch dazu, wie Engels letztendlich vor Augen führt. Ob man es „Netzwerken“ nennt oder „Vitamin B“ oder anders, ein gewisser Austausch von Gütern „unter der Hand“ hält eine Gesellschaft auch in ihrem inneren Zusammenhalt am Laufen. Und die große Politik beruht auf der Mikropolitik der persönlichen Bindungen und Verbindungen,
Nun ist Engels kein Verfechter eines „Laufen lassen“ all dieser Vorteilsnahmen, sondern diskutiert differenziert die Frage des Maßes.
Es gibt Grenzen der Korruption (und so weit sind die gar nicht gefasst), die das soziale Gefüge massiv ins Wanken bringen (oft und oft zieht Engel die französische Revolution und ihr „Fressen der eigenen Kinder“ heran, geht aber auch auf die „Causa Wulff“ durchaus differenziert ein).
„Mikropolitik als eine Realität anzuerkennen muss nicht Gleichgültigkeit bedeuten. Mikropolitik und Gabentausch sind zwar unumgängliche, trotzdem aber kaum je legitime Mittel der Mehrheitsbeschaffung in Demokratien.
Aber es gibt eben auch Gefälligkeiten oder eine Vorteilsnahme, die das ein oder andere an sich Sinnvolle befördert. Die Verbindungen schafft Interessensvertretern, Programmen und Planern, mit denen insgesamt ein Fortschritt erreicht wird.
Auch wenn in diesem Prozess einzelne eine Bevorzugung erfahren.
Das Maß niedrig zu halten , aber um die grundsätzliche Existenz der Korruption zu wissen und das Thema manches Mal viel ruhiger anzugehen, das ist ein Gewinn der Lektüre dieses Buches. In der Engels wissenschaftlich seinen Beitrag zum weiteren Diskurs der Korruptionsgeschichte auch für den Laien verständlich darlegt.
„Mikropolitik ist nicht gleich Korruption, obwohl Korruptionskritik in der Regel Mikropolitik meint“. Ein Buch der feinen Unterschiede und der differenzierten Darstellung, nicht nur in diesem Satz aus dem Fazit Engels.