Rezension zu "Alles geschieht heute" von Jesse Browner
Inhalt
Innerhalb eines Tages hat sich Wes' Leben komplett geändert. Gestern noch hatte er geglaubt, in Delia verliebt zu sein, doch warum hat er dann auf der Party mit Lucy geschlafen? Überhaupt, was genau ist das zwischen ihm und Delia und zwischen ihm und Lucy? Ist er jetzt ein anderer, als er gestern war?
Und während Wes versucht, den normalen Alltag - bestehend aus dem Pflegen seiner todkranken Mutter, dem Schreiben einer Hausarbeit und Zeit, die er mit seiner Schwester verbringen will - zu bewältigen, denkt er viel über diese neue Situation nach und darüber, wie es nun weitergehen soll.
Meinung
Während des Lesens wurde mir schnell klar, dass man dieses Buch im Grunde mit einem Satz zusammenfassen kann: Man kann es mit der Authentizität auch übertreiben.
"Alles geschieht heute" spielt nur an einem einzigen Tag im Leben des 17-jährigen Protagonisten Wes, einem Samstag nach einer Party, auf der er, statt mit Delia, in die er seit über einem Jahr verliebt ist, zu flirten mit Lucy geschlafen hat, von der es an der ganzen Schule heißt, sie sei leicht zu haben. Wes ist wütend auf sich selbst und macht sich viele Gedanken über das Geschehene, aber auch über seine Familie, da er viel Zeit mit seiner Schwester Nora und der Pflege seiner schwer kranken Mutter verbirgt. Abgesehen von gelegentlichen Rückblicken zum Vortag, die nach und nach erklären, was geschehen ist, folgt der Leser dabei hauptsächlich Wes' Tagesablauf und seinen vielen inneren Monologen, dann das Buch ist zwar in der dritten Person verfasst, wird jedoch von einem personalen Erzähler erzählt, der sich nur auf Wes' Gedanken und Gefühle konzentriert.
Wenn ihr hier sage "Gedanken", dann meine ich auch "Gedanken" und zwar jeden einzelnen, teilweise unzusammenhängenden, irrelevanten Gedanken, den ein Mensch so im Laufe des Tages hat. Natürlich beschäftigt Wes sich viel mit Delia und Lucy oder seiner Familie, doch man folgt auch zu großen Teilen seinen Analysen von "Krieg und Frieden", über das er eine Facharbeit schreiben soll, und anderen literarischen Werken oder sonstigen detaillieren Betrachtungen realer oder fiktiver Umstände und Personen. Es gibt einige Rückblicke auf frühere Momente in seinem Familienleben oder seiner Beziehung zu Delia, jedoch auch viele detaillierte Beschreibungen, deren Bedeutung für die Handlung sich bis zum Ende nicht erschließt.
Authentisch ist diese Art zu schreiben mit Sicherheit, denn wer schon selbst einmal ein wenig darauf geachtet hat, wie er denkt, wird die teilweise wirren Gedankensprünge und die Mischung aus Erinnerungen, Fantasie und philosophischen Gedanken vielleicht wiederkennen. Leider kann ich nicht behaupten, dass mich Wes' Gedankenwelt sonderlich gefesselt hätte. Während ich mich in Teilen noch wiedererkannt habe, habe ich mich die meiste Zeit bei einigen recht abgedrehten Gedanken, die für die Handlung scheinbar ohne Bedeutung waren, eher gelangweilt und musste mich besonders am Anfang und am Ende geradezu durch das Buch quälen.
Was die Handlung angeht, passiert in diesem Roman nicht viel, was aber auch kein Problem darstellt, da das Buch nunmal nur an einem einzigen Tag spielt, bei dem es vermutlich unrealistisch rüberkäme, wenn viel weltbewegendes passierte. Dadurch ist "Alles geschieht heute" eher das ruhige Porträt eines Teenagers, seiner Familie und seiner Auseinandersetzung mit seinem Leben und seinen Gefühlen.
Da sowohl Wes, den man durch die vielen detaillierten Einblicke in seine Gedanken gut kennenlernt, als auch seine Familie und Freunde authentisch und interessant rüberkommen - gebrochene und vom Leben gezeichnete, einzigartige Figuren - ist das sogar recht interessant, wäre es aber vermutlich noch mehr, wenn man das Buch um etwa 100 Seiten und eine Menge "Blabla" gekürzt hätte, das weder zur Handlung noch zur Zeichnung der Charaktere beiträgt.
Durch die vielen eher zähen Stellen fiel es leider schwer, die gelungene Grundidee und die tollen Figuren richtig zu würdigen.
Fazit
Worauf man sich bei "Alles geschieht heute" freuen kann: interessante, unperfekte Figuren, wie direkt aus dem Leben gegriffen, mit all ihren Problemen im alltäglichen Zusammenleben, und einen Protagonisten mit authentischen Gedanken, in deren wildem Durcheinander man sich ab und an wiederfindet.
Worauf man jedoch auch vorbereitet sein sollte: ellenlange innere Monologe und detaillierte Beschreibungen, die zur Handlung nicht unbedingt etwas beitragen und teilweise nur interessant sind, wenn man sich mit "Krieg und Frieden" oder der Zubereitung von Kalbsbries auskennt. Wirklich sehr lange Monologe. Und sehr wenig Handlung.
Ich persönlich musste mich durch den Roman leider eher quälen als dass ich ihn genießen konnte, weshalb ich nur 2 Sterne vergeben kann.