Jessica Keener - Schwimmen in der Nacht *****
Inhalt
Boston in den 70er Jahren. Aus der Perspektive der 15 Jährigen Sarah wird der Leser mitgenommen an diesen Ort, in diese Zeit und in die Lebenwelt von Sarah und ihrer Familie. Eine Mutter, die an Depressionen leidet, liebevoll und bewundernswert, aber für Ihre Familie nie ganz greifbar ist, bis sie bei einem ungeklärten Autounfall stirbt. Ein Vater, Literaturprofessor, cholerisch, der viel Wert auf Außenwirkung, Regeln, Gehorsam und Bildung legt. Ein großer Bruder, der mit Hilfe der Musik einen Weg in die Freiheit und Selbstständigkeit sucht. Zwei kleine Brüder, - der Eine still, phantasievoll, sensibel, scheinbar unerschütterlich, der Andere aufbrausend, jähzornig, zerbrechlich - die mit ihren Eigenarten eine Niesche zum (Über)Leben in der Familie suchen. Und mitten drin und doch alleine Sarah, auf ihrem holprigen Weg zum Erwachsenwerden. Sie geht zur Schule, sie trauert, sie rebelliert, sie verliebt sich, macht große und kleine Fehler. Voller Trauer, Angst und Zweifel. Aber auch mit Hoffnung und Zuversicht.
Meine Meinung
Schwimmen in der Nacht ist ein Zeitportrait, Entwicklungsroman und Familiendrama zugleich. Jessica Keener hat mich von der ersten Seite hineingezogen und mitgenommen in die Welt der 70er Jahre des gehobenen amerikanischen Bürgertums, in die Welt von Sarah, in die Welt ihrer jüdischen Familie. Ihre einfachen, klaren und doch sehr poetischen, bildhaften Worte und Sätze haben Bilder in schwarz-weiß in meinem Kopf entstehen lassen. Farbe haben bei mir nur die Melodien von Peters und Sarahs Musik und die Rosen, die Sarahs Mutter mit leidenschaft im Garten pflegt und züchtet erzeugt.
„Die Metallsaiten schenkten dem Weaver’s-Folk-Song einen wunderschönen, runden Klang. Peter griff kräftiger in die Saiten und unsere Harmonien fügten sich zu einem *I’d hammer out love-* zusammen bis unsere Stimmen und Peters Gitarrenklang weit oben in den Bäume ein Versteck schuf, unerreichbar für alle, solange ich sang (…)“ (S. 44)
Das zeigt: Das Buch ist kein einfaches. Die Stimmung ist oft düster und bedrückend. Die Themen oft schwer. Doch wie ein Hoffnungsschimmer stiehlt sich hier und da ein Satz, ein Gedanke, eine Melodie dazwischen, die den Leser wissen lässt, dass es nicht so einsam ist, dass es nicht so bleiben muss, dass Sarah ihren Weg finden und gehen kann, wenn sie nicht aufhört zu suchen.
Fazit
Schwimmen in der Nacht ist ein berührender Roman ohne auf die Tränendrüse zu drücken. Er hat mich länger begleitet, auch über die Lesezeit hinaus. Ein besonderer Roman - sprachlich und inhaltlich. Eine eindeutige Leseempfehlung für alle, die es nicht bunt und laut brauchen, sondern die Botschaft auch gerne zwischen den Zeilen und hinter den Melodien suchen!
„Mein jüngster Bruder kam mit der unsichbarsten aller Gaben auf die Welt: Glauben. Er kam weise auf die Welt. Elliot konnte mit den emotionalen Strömungen, die die Wogen in underen Zusammenleben hochgehen ließen, von Geburt an mitschwimmen. Und zwar ganz intuitiv und unschuldig, als ob jeder Sturm in unserem Familienmeer ganz natürlich wäre.“ (S 191)