Cover des Buches Wenn du mich sehen könntest (ISBN: B01FYC3X66)
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Rezension zu Wenn du mich sehen könntest von Jessica Winter

Nimm deine gebrochenen Flügel und lerne wieder zu fliegen

von alice14072013 vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Eine Geschichte die man lebt und selber fühlt. Sie ist berührend, manchmal traurig und nachdenklich stimmend, vor allem wunderschön!!

Rezension

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alice14072013vor 8 Jahren

„ Ist es jetzt blöd dir zu sagen, ich würde die Welt gerne durch deine Augen sehen?...Nein. Schöner. Staunender. Bunter......, aber du erkennst in so vielen kleinen Dingen Wunder, die mir nicht einmal auffallen. Du siehst so viel, was ein anderer – was ich – überhaupt nicht sehen kann.“ Zitat aus dem Buch S. 288


Manchmal entdeckt man beim Stöbern einen Klappentext, oder einen Textschnipsel, der einen sofort anspricht. Warum kann man in diesem Moment gar nicht sagen. Vielleicht ist es die Tatsache, dass wir uns den Beruf des Feuerwehrmannes eher heroisch vorstellen und dabei verdrängen, welchen Gefahren diese Männer tatsächlich ausgesetzt sind. Vielleicht, weil wir uns auf den ersten Blick nicht vorstellen können, dass auch diese Männer mit schrecklichen Bildern und Erlebnissen zu kämpfen haben, die tiefe Spuren auf ihrer Seele hinterlassen. Mir war eigentlich sofort klar, ich wollte unbedingt Nathans Geschichte lesen. Antworten erhalten. Das ich letztendlich so viel mehr bekommen habe, als die erhofften Erkenntnisse über einen Mann, der sich täglich Gefahren aussetzt um andere zu retten, hätte ich nie erwartet. „Wenn du mich sehen könntest“ von Jessica Winter hat mich in all seinen Facetten von gefühlvoll und berührend, humorvoll und spritzig, traurig, sehr nachdenklich stimmend und vor allem einer wundervollen Aussage absolut überrascht und nachhaltig bewegt.

Inhalt:

Könntest du lernen, dein Leben durch die Augen eines anderen zu sehen? Der sechsundzwanzigjährige Nate Foster kennt beide Seiten der Medaille. In seiner Zeit als Feuerwehrmann hat er etliche Leben gerettet. Er kennt aber auch jedes Detail der Gesichter jener Menschen, die er verloren hat. Und er schwört sich, es nie wieder soweit kommen zu lassen. Nate glaubt nicht mehr daran, noch einmal mehr zu sehen als den tristen Grauton, der seitdem seinen Alltag beherrscht. Die Bekanntschaft mit der sonnigen und auf den ersten Blick sorglosen Lexi Davis stellt Nates Versuche, seine Schutzmauern zu wahren jedoch in mehr als einer Hinsicht auf den Kopf. Nie hätte er es für möglich gehalten, sein Leben wieder in Farbe zu sehen. Und nie hätte er gedacht, dass sich seine Vergangenheit wiederholen könnte.


Meinung:

„Weißt du, was unser Problem ist? Wir wollen Erfolg, solange er billig ist, und Wunder, solange sie nichts kosten. Wenn dann mal etwas anders läuft, als wir es uns wünschen, erhoffen, erwarten, zweifeln wir an uns, an Gott, an allem. Wir fangen an Dinge infrage zu stellen, die vorher selbstverständlich wirkten, und vergessen dafür die guten Sachen, die wir schon erleben durften.“ Zitat aus dem Buch S. 233


Zu Beginn lernen wir Nathan kennen, der irgendwie an einem Punkt der Resignation in seinem Leben steht. Einst euphorisch, motiviert in seinem Beruf als Feuerwehrmann das Leben anderer zu retten, hat er seinen Job aufgegeben und studiert nun mehr oder weniger motiviert Jura, neben der Beschäftigung in einer renommierten Kanzlei. Geplagt von Alpträumen und Panikattacken in der Nacht, dem Zwang zu rauchen und nicht allzu viel auf einen gefüllten Kühlschrank zu geben, steht er nur widerwillig morgens auf, um seinem grauen Alltag nachzugehen, den er nur zu gerne in Einsamkeit verbringt. Er versagt sich jegliche Beziehung um sich nicht wieder mit Verlusten auseinanderzusetzen und seine aufgebaute Fassade nicht vor anderen als Lüge zu offenbaren. Dennoch hat er sich seinen teils sehr sarkastischen Humor, seinen Wunsch zu helfen, sein Mitgefühl und seinen Gerechtigkeitssinn erhalten, was ihn trotz seiner inneren Dämonen sofort sehr sympathisch für den Leser macht.

An diesem Punkt lernt er Lexi kennen, die ihm telefonisch Hilfestellung an seinem Computer leistet und so ganz anders zu sein scheint, als er selber. Absolut schlagfertig und impulsiv, eine Mischung aus seriös und frech, fröhlich und vor allem lebensbejahend weckt sie in ihm den Wunsch, erneut mit ihr in Kontakt zu treten, weil er seit langem einen sorglosen Moment hatte, der ihn wieder zum Lachen brachte und ein wenig Licht in sein Leben zauberte. Sie hat sich damit in seine Gedanken geschlichen, lässt ihn nicht los. Dass dieser Kontakt so bald erfolgen sollte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. So begegnen sich beide wieder. Erst am Telefon und später auch im Leben, um einander vor allem Freunde zu sein, die für den jeweils anderen da sind. Denn auch Lexi möchte keine tiefere Beziehung eingehen. Diese Freundschaft ist zunächst durch klare Regeln und vor allem durch schlagfertige und spritzige Dialoge geprägt, in denen die beiden sich in nichts nachstehen und die den Leser sehr schmunzeln und manchmal laut auflachen lassen. Aber schon bald wird deutlich, dass dieser Humor den eigentlichen Menschen hinter einer Maske verbirgt. Beide tragen auf ihre Art eine ganz eigene Bürde. Haben Erfahrungen gemacht, die Ängste auslösen, die sie in gewisser Weise gebrochen haben und zu Verhaltensmustern führten, die die Persönlichkeit und die Verzweiflung hinter ihrer Fassade verbergen.

„Weißt du, manchmal kommt es mir vor, als wären wir alle Eisberge. Jeder zeigt nur seine Spitze, aus Angst, der Rest könnte für nicht gut genug befunden werden. Und manchen mag die Spitze reichen, weil Lippen lächeln und Schleier und Verhaltensmuster den Rest verdecken. Wenn du aber auf die Stimmen achtest, entdeckst du Kleinigkeiten, die diese Fassade enthüllen können. Darum lass mich auch den Rest von dir sehen..“ Zitat aus dem Buch S. 233

Jessica Winter baut ihre Handlung mit dem Fokus auf die Entwicklung und Emotionen ihrer beiden Hauptcharaktere Nathan ( Nate ) und Alexandra ( Lexi ) sehr behutsam auf. Schritt für Schritt erfahren wir, wie es zu Nates anfänglicher Einstellung zum Leben kam, und wie er sich mit dem Kennenlernen und der beginnenden Freundschaft zu Lexi verändert. Auch Lexis Persönlichkeit enthüllt sich erst im Laufe der Handlung. Oft werden wir mit neuen Facetten und Seiten an ihr konfrontiert, die uns überraschen und unsere Sichtweise nochmal überdenken lassen.

Dafür nutzt die Autorin den Perspektivenwechsel zwischen den beiden Charakteren in der ersten Person, um uns ihrer beider Erleben und ihre Fühlen näher zu bringen. Das funktioniert gerade in dieser Geschichte so unglaublich gut, weil beide dadurch eine erstaunliche Gefühlstiefe erhalten und wir uns sofort in Lexi und Nate hineinversetzen können. Sie sind mit ihren Ecken und Kanten und ihrer Art, manchmal fehlerhaft und aus einer Emotion zu handeln, sehr authentisch. Die Neigung vor Ängsten und schlechten Erfahrungen, vor positiven Gefühlen aus der Befürchtung erneute Verluste zu erleiden wegzulaufen, oder der Glaube nicht zu genügen, Erwartungen nicht zu entsprechen, sind sehr realistische Verhaltensweisen und daher mehr als glaubwürdig. So begreifen sowohl Nate als auch Lexi relativ schnell, dass sie einander gut tun und sich durch ihre gemeinsamen Unternehmungen und schönen Momente das Leben bereichern.

„ Ich habe dir schon gesagt, dass du diejenige bist, die für mich sieht, wenn es um die Wunder in unserem Leben geht, um all die Farben, all das Licht, das ich oft nicht sehen konnte und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht werde sehen können. Wie damals.....werde ich im Gegenzug deine Augen sein, wenn du mal vergessen solltest, deine eigenen Farben selbst zu sehen.“ Zitat aus dem Buch

Aber ist Freundschaft und gegenseitige Stütze wirklich alles? Oder gibt es da vielleicht noch ein verdrängtes, anderes Gefühl? Sind beide ehrlich in ihrem Wunsch, was sie sich für ihr Leben erhoffen? Sind vielleicht Schutzmauern dafür da eingerissen zu werden? Was muss man dafür tun? Kann man das, ohne sich seinen tiefsten Ängsten und schlimmsten Befürchtungen zu stellen?

Ich habe mich beiden Protagonisten so nah gefühlt, als wäre ich direkt von ihren Problemen und Empfindungen betroffen. Dies wurde gerade dadurch getragen, dass sie uns ihre Emotionen, ihre Ängste und ihre Erfahrungen, aber auch ihre Momente des Glücks, der Freude und der Hoffnung ungeschminkt und manchmal sehr schonungslos offenbart haben. Sie waren mir plötzlich so nah, dass ich meine eigenen Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Dabei kann ich gar nicht beschreiben, wie viele verschiedene Arten der Tränen ich bis zur letzten Seite vergossen habe. Tränen des Mitleids, der Bestürzung , des Schmerzes, der Trauer, der Rührung, aber vor allem auch Tränen der Freude. Ich habe ihre Gefühle inhaliert und ihre Geschichte beim Lesen gelebt. So sehr, dass sie mir zu guten Freunden wurden, die ich immer wieder in die einzig richtige Richtung schubsen wollte, die ich gerne manchmal in den Arm genommen hätte und über die ich auch ab und zu fluchen musste, weil ich so manche Sturheit nicht wahrhaben wollte. Am Ende sind sie mir so sehr ans Herz gewachsen, dass ich sie nicht mehr gehen lassen konnte. Sie werden einen dauerhaften, eigenen Platz in meinem Herzen behalten.

Auch wenn sich die Geschichte langsam entwickelt, so wurde sie zu keiner Zeit langatmig. Beim Lesen wurde ich nicht nur mit dem Gefühls-Auf und Ab und der Verwirrtheit der Charaktere konfrontiert, sondern auch mit den schockierenden Momenten, den Schicksalen, die das Leben bereithalten kann und wunderschönen Lösungsansätzen, die die Protagonisten für sich finden, wieder Licht und Wunder in ihr Dasein zu zaubern.

Ich habe viel gelernt über die verschiedenen Probleme, Krankheit und traumatische Erlebnisse, aber vor allem, was sie mit der Psyche eines Menschen machen können. Jessica Winter hat mir in vielen Dingen auf sehr glaubwürdige und gut recherchierte Weise die Augen geöffnet und auch mir gezeigt, wie es möglich ist mit seinen Ängsten und inneren Dämonen umzugehen, wenn man nur ein wenig seinen Blickwinkel ändert. Andere Menschen in sein Leben lässt. Während der Lektüre hat sich schnell eine Sogwirkung entwickelt. Ich wollte wissen, was in Nates Vergangenheit vorgefallen ist, das ihn zu dem Menschen gemacht hat, der er jetzt ist. Ich war neugierig auf Lexis wirkliches Gesicht. Manchmal war ich tief getroffen von den Ereignissen aus beider Vergangenheit, die Stück für Stück enthüllt wurden. Immer wieder war ich verzaubert von den wunderbaren Interaktionen der Protagonisten und viele Situationen ließen mich schmunzeln. Eine perfekte Mischung, die das Buch weder deprimierend noch zu traurig machten. Trotz der Ernsthaftigkeit fühlte ich mich sehr wohl in der Geschichte.

Vor allem hat mich die Ehrlichkeit, die Rücksichtnahme und der liebevolle, sensible Umgang der Protagonisten bezaubert. Besonders Nathan hat mich nicht selten mit seiner Art berührt. Das Buch hat mit seiner realistischen und nie übertriebenen Art einen hohen Identifikationsfaktor, der es einem fast unmöglich macht, es zur Seite zu legen.

Besonders zum Ende hin steigert es sich zu einer Dramatik, die für gelegentliche Atemaussetzer sorgt. Ich musste einfach wissen, ob sich alles zum Guten wendet. Ich konnte erst aufhören, als ich es mit einem tiefen Seufzen schließlich beendet habe.

„...Ich habe begriffen, dass der Schmerz und die Angst in irgendeiner Form immer bei mir sein werden, aber ich will mich nicht mehr davon geißeln lassen. Ich werde ihnen Momente einräumen, in denen sie ihren Platz haben, aber ich werde vor allem das Leben würdigen, das du mir gegeben und für mich gewollt hast.“ Zitat S. 347

Fazit:

„Wenn du mich sehen könntest“ hebt sich deutlich von den momentan gehypten Romanen, vor allem denen des Young Adult Genres ab, weil es auf sehr realistische Weise und in wunderschönen Worten das Leben schildert. Jessica Winter übertreibt nicht, beschönigt nicht und legt ihren Fokus weder auf Erotik noch kitschige Szenen. Sie zeigt vielmehr auf bezaubernde Weise, dass manchmal im Schmerz Nähe und eine haltende Hand die Hoffnung und die kleinen Wunder in unser Leben zurückbringen können, wenn man an sich arbeitet und sich seinen Ängsten stellt. Ich habe Nathans und Alexandras Geschichte geliebt und kann nur jedem empfehlen, die Beiden auf ihrem Weg zu begleiten. Danke für viele wunderbare Lesestunden, die mich wirklich bereichert haben. Hut ab vor so viel Gefühl, die richtigen, ergreifenden Worte zu finden.

„ Den schrecklichsten Schmerz der Welt mit jemandem zu teilen, den man liebt, wird immer besser sein, als nie irgendetwas gefühlt zu haben....Denn keiner von uns schafft alles alleine, und jeder braucht ab und zu ein kleines Wunder.“ Zitat aus dem Buch



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