Cover des Buches Der Zorn der Wölfe (ISBN: 9783442311088)
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Rezension zu Der Zorn der Wölfe von Jiang Rong

Rezension zu "Der Zorn der Wölfe" von Jiang Rong

von dzaushang vor 14 Jahren

Rezension

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dzaushangvor 14 Jahren
Seit Jahrtausenden besteht es, das Grasland der Inneren Mongolei. Seit unendlichen Zeiten leben hier Mensch und Wolf, voller Respekt und Achtung voreinander. Halten ihren kostbaren Lebensraum im natürlichen Gleichgewicht, lernen voneinander, bekämpfen einander und wissen, dass keiner ohne den anderen in Würde überleben könnte. In „Der Zorn der Wölfe“ entführt uns der chinesische Autor Jiang Rong in diesen archaischen Lebensraum der Inneren Mongolei. Er selber hat, zu Beginn der Kulturrevolution, Jahre dort zugebracht und lässt uns an der Seite seines Protagonisten Chen Zheng diese Zeit nachempfinden und erleben. Mit ihm werden wir, von den ersten Seiten an, hineingeworfen in eine grandiose Schau der Natur. Sie wird, auf fast magische Weise, in all ihrer unendlichen Weite und Schönheit gezeichnet, wird uns mit all ihren Schrecken und Grausamkeiten vor Augen geführt. Wir kämpfen uns mit den Helden durch Schneestürme und glühende Hitze, lernen die Bräuche, die Sitten, die Lebensphilosophie der Mongolen kennen, sei es, dass wir gerade am Lagerfeuer sitzen oder in deren Behausungen, der Jurte. Wir finden uns wieder bei den Pferdehirten, draußen auf einsamen, weit entfernten Weidegründen oder bei der ewigen Jagd nach dem Wolf. Ja, der Wolf. Er ist dem Menschen gleichgestellt, das Verhältnis ist von gegenseitigem Respekt getragen. Mensch und Wolf, beide sind sie doch Geschöpf Tenggers, des schamanistischen Himmelsgottes. Beide sind sie für den Erhalt des natürlichen Gleichgewichts in ihrem Lebensraum wichtig und verantwortlich. Beide sind sie über die Maßen freiheitsliebend. Und wenn der Mensch im Laufe seines Lebens den Wolf auch jagen mag, jagen muss, an seinem Lebensende kann seine Seele nur dann erlöst werden, wenn sein Leichnam, vom herrenlosen Ochsenkarren an unbestimmtem Ort heruntergefallen, von einem Wolfsrudel gefressen wird. So will es die Jahrtausende alte Tradition der Mongolen. Jiang Rong schreibt seinen Roman in dem Wissen, dass dem Leben im Grasland große Gefahr durch sein eigenes Volk, den Han-Chinesen, drohen wird. Sie werden das seit Urzeiten gehütete Gleichgewicht dieser grandiosen Landschaft innerhalb weniger Jahrzehnte zerstört haben. Einen bitteren, das Herz zerreißenden Vorgeschmack von dem, was dass heißt, bekommt der Leser im letzten Drittel des Buchs vor Augen geführt. Es wird dies das Ergebnis des Kampfes um Lebensraum zwischen den sesshaften Ackerbauern, den Han-Chinesen, die aus dem Kernland Chinas immer weiter nach Norden ins Grasland, auf der Suche nach neuem, fruchtbaren Ackerland, vordringen und den dort ansässigen Mongolen mit ihrem Leben als Nomaden sein. Der Wolf wird nur eines der ersten Opfer sein. Viele tausend Jahre lang waren die Mongolen mit ihren Schaf- und Pferdeherden den Chinesen und vielen anderen Völkern Asiens überlegen. Mit ihren großen Pferdearmeen, mit ihrer, durch die Beobachtung der Natur geprägten, Kriegstaktik errichteten sie einstmals ein riesiges asiatisches Reich. Jetzt, mit Beginn der Kulturrevolution, neigt sich die Waage langsam aber sicher zu Gunsten der Chinesen. Dem Autor ist ein großartiges Portrait einer längst vergangenen Zeit geglückt. Jiang Rong gelingt es mit wunderbarer Sprache und Klarheit davon zu erzählen was geschieht wenn sich die Gleichgewichte verschieben, wenn Geben und Nehmen, wenn der Respekt vor der Natur aus dem Tritt gerät. Ganze Zivilisationen, vielfältige, lebendige, Jahrtausende alte natürliche Lebensräume können dann in kürzester Zeit veröden, der Wolf, die Kreatur, wird dann ausgerottet sein. Er hält sich nicht mit Kritik an seinem Volk, den Chinesen zurück. Es ist wunderbar mitzuerleben, wie der Protagonist gar nicht anders kann, als sich im Laufe der Handlung immer mehr für die Sichtweisen und Überzeugungen der Mongolen zu öffnen. Wenn sich der Leser, ohne wenn und aber, darauf einlässt in eine völlig fremde Welt einzutauchen, kann er, zumindest für den Zeitraum der Lektüre, auch zu so etwas wie einem halben Mongolen werden.
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