Cover des Buches Einbruch in die Freiheit (ISBN: 9783894271008)
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Rezension zu Einbruch in die Freiheit von Jiddu Krishnamurti

Ein Mensch, der liebt, weiß nicht, was Liebe ist

von Dr_M vor 9 Jahren

Rezension

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Dr_Mvor 9 Jahren
Das ist eine der Aussagen des letzten Satzes in diesem Buch. Sie klingt komisch, ein wenig provokant und ganz und gar unlogisch. Doch diese Aussage offenbart auf ganz einfache Weise den Kern der Botschaft von Jiddu Krishnamurti.

Wir leben in einer Welt der Begriffe. Ohne Begriffe können wir nicht denken. Doch Begriffe sind abstrakt und nicht das, was real ist, nicht das, was wir wahrnehmen könnten. Aber weil wir im Denken gefangen sind und nicht merken, wie uns unser Verstand völlig beherrscht, merken wir auch nicht mehr, wie er unsere Wahrnehmung einschränkt. Ununterbrochen schwirren irgendwelche Gedanken in unserem Kopf umher. Doch wenn wir denken, sind wir immer nicht da, wo wir tatsächlich gerade sind, sondern entweder im Vorher oder im Nachher. Ein Mensch der liebt, macht sich keine Gedanken darum, was Liebe ist. Warum sollte er? Es macht sich auch kaum jemand Gedanken darüber, was Freude ist, wenn er sich freut.

In diesem Buch geht es um die Einschränkung unserer Wahrnehmung, die wir uns meistens freiwillig auferlegen und die unheilvolle Konsequenzen nach sich zieht, derer wir uns nicht einmal bewusst sind. Krishnamurti sagt (der Text ist eine Nachschrift seiner Reden): "Wir gehen nicht den richtigen Weg, wenn wir das Gegenteil von dem, was wir sind, anstreben. Der Weg liegt nicht in einer künstlichen Disziplin, die uns durch ein System, einen Lehrer, einen Philosophen oder Priester auferlegt wird - das ist alles so kindisch."

Und weiter: "Wenn wir das erkennen, fragen wir uns, ob es möglich ist, augenblicklich durch die uns seit Jahrhunderten belastenden Beschränkungen hindurchzubrechen, ohne in eine andere Voreingenommenheit zu geraten - ob es möglich ist, frei zu sein, sodass der Geist völlig frisch, feinfühlig, lebendig, bewusst, stark leistungsfähig sein kann. Das ist unser Problem. Es gibt kein anderes; denn wenn der Geist neu und unverbraucht ist, kann er jedes Problem aufgreifen."

Aber wir stellen uns nicht. Wir wollen, dass man es uns sagt. Und damit sitzen wir in der Falle, denn dann sehen wir die Welt wieder nur so, wie sie angeblich sein sollte, aber nicht wie sie tatsächlich ist. Und daraus entstehen Konflikte und Gewalt.

Krishnamurtis Text ist weder philosophischer Natur, noch der Versuch, den Leser zum tiefergehenden Nachdenken anzuregen. Denn aus weiterem Nachdenken würde bestenfalls eine intellektuelle Erkenntnis folgen. Doch hier geht es nicht darum, den Verstand mit neuer Nahrung zu versorgen. Hier geht es um eine befreiende Praxis. Man kann das ganz einfach an einem Beispiel aus dem Text erläutern. Unter anderem befasst sich Krishnamurti mit der Furcht. Wir leben gewöhnlich nach einer bestimmten Art, haben feste Denk- und Handlungsschablonen, auch wenn wir das vielleicht nicht gerne zugeben. Vor allem aber wünschen wir nicht, dass diese Lebensart sich verändert, dass Ungewissheit eintritt. Wenn das aber dennoch geschieht, entsteht meistens Angst.

Haben wir Angst oder Wut, dann weichen wir aber gewöhnlich aus. Wir wollen diese Zustände loswerden. Wie andere weise Menschen lehrt auch Krishnamurti, dass dies der völlig falsche Weg ist. Wir müssen in solchen Situationen dabeibleiben, uns beobachten, auch wenn das zunächst verdammt schwer ist. Krishnamurti sagt: "Der Beobachter ist der Zensor, der ohne Furcht sein möchte." Und weiter: "Wenn Sie achtgeben, wird Ihnen klar, dass der Beobachter nur ein Bündel von Gedanken und Erinnerungen ist ohne jede Gültigkeit und Substanz, dass aber die Furcht etwas Tatsächliches ist und dass Sie versuchen, eine Tatsache rein vom Verstand her zu begreifen." Und weiter: "Der Beobachter ist Furcht, und wenn das erkannt wird, gibt es keine Energieverschwendung mehr durch das Bestreben, sich von der Furcht zu befreien." ... "Wenn Sie sehen, dass Sie ein Teil der Furcht und nicht von ihr getrennt sind ..., dann brauchen Sie dazu nichts zu tun, dann hört die Furcht gänzlich auf."

Das klingt sehr ungewohnt, funktioniert aber. Vielleicht nicht beim ersten Mal, doch das Dabeibleiben wird auch dann die eigene Sichtweise wesentlich verändern. Man kann sich nicht selber loswerden.

Auf ähnliche Weise befasst sich Krishnamurti mit folgenden Themen: der Mensch und die Welt, Selbsterkenntnis, Achtsamkeit, Glückseligkeit, Egozentrik, Gewalt, Abhängigkeit, Freiheit, Zeit, Tod, Liebe, Schönheit, Leitbilder, trennender Raum, der Beobachter und das Beobachtete, das Denken, das Schweigen, Erfahrung, Meditation, religiöse Revolution - Leidenschaft.

Fazit.
Ein Praxisbuch, das auf den ersten Blick nicht danach aussieht. In sehr konzentrierter Form erläutert Krishnamurti, wie Freiheit im Inneren entsteht. Was in anderen Büchern vor allem asiatischer Weisheitslehrer blumig verklausuliert steht, erklärt Krishnamurti viel klarer und deutlicher. Doch letztlich bleibt auch hier das Entscheidende unausgesprochen, weil es keine Möglichkeit gibt, etwas in Begriffen zu erläutern, was alle Begrifflichkeit aufhebt. Aber immerhin ist dies eine der besten Anleitungen für den Weg dahin.
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