Cover des Buches Hausfrau (ISBN: 9783847905912)
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Rezension zu Hausfrau von Jill Alexander Essbaum

In der Abwärtsspirale

von gretavox vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Ein intelligentes, grandioses Buch

Rezension

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gretavoxvor 8 Jahren
Anna, Enddreißigerin, verheiratet mit einem Schweizer Banker und Mutter dreier Kinder, lebt ein behagliches Leben in einer kleinen Stadt bei Zürich. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Anna hat Sprachprobleme, sie langweilt sich und tröstet sich mit Affären, bis ein tragisches Ereignis und dessen Folgen sie vollends aus der Bahn werfen.
Jill Alexander Essbaums Romandebut „Hausfrau“ ist die schonungslose Dokumentation eines Abstiegs, der im Buch nur drei (Herbst)Monate umspannt. Die Autorin verknüpft dazu drei Handlungsebenen: Annas private Erlebnisse einschließlich Rückblenden, Szenen aus ihrem Deutschunterricht und ihre Analysestunden bei der Therapeutin Dr. Messerli. Was etwas betulich beginnt, weitet sich spätestens ab der Mitte des Buches in einer fatalen Vermengung von kleinen Zwischenfällen und dramatischen Ereignissen zu einer Lawine aus, die unweigerlich auf eine Katastrophe hinausläuft.
Essbaums Schreibstil ist nüchtern-distanziert, manchmal sehr offen, fast schon hart – besonders in den erotischen Passagen. Doch die Sprache passt auch hier bis in die kleinsten Nuancen und ist ein gutes Beispiel dafür, dass Sexszenen manchmal auch nach drastischeren Worten verlangen.
Der Titel „Hausfrau“, wie das Buch übrigens auch in der englischen Originalfassung heißt, hätte nicht besser gewählt sein können. Anna ist Haus-Frau: Sie ist gebunden an ihr Heim und bemüht sich nach Kräften, als Hausfrau und Mutter zu funktionieren. Das Cover für die deutsche Ausgabe zeigt den Schriftzug „Hausfrau“ in Kreuzstich gestickt auf einem Leinenstoff. Der letzte Buchstabe des Wortes ist unfertig; der Faden verliert sich, so wie die Hausfrau Anna sich verlieren wird.
Mit der Figur der Anna hat Essbaum eine starke Protagonistin geschaffen, die alle Kriterien eines „runden“ Charakters im Sinne E.M. Forsters erfüllt. So schwankt der Leser denn auch zwischen Sympathie und Ablehnung für die fast schon tragische Heldin. Genauso muss es sein.
Vielleicht ist der Name Anna bewusst gewählt. Das Time Magazine charakterisierte das Buch folgendermaßen: „In Hausfrau, Anna Karenina goes Fifty Shades with a side of Madame Bovary“. Der Vergleich mit Tolstois und Flauberts Roman-Heldinnen ist durchaus naheliegend, aber das Buch in einem Atemzug mit Fifty Shades of Grey zu nennen, wertet den Erotik-Wälzer nur ungerechtfertigt auf.

Hausfrau ist ein intelligentes, grandioses Buch. Unbedingt lesenswert.
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