Ein Motel, in dem Menschen sterben. So weit, so unspektakulär. Dachte ich.
Denn wer die Morde begeht, ist nicht ersichtlich. Wer dort schläft, hat entweder die schönsten Träume, oder wacht am nächsten Morgen nicht mehr auf.
Das Motel hinterlässt keine Zeugen, alle, die mit der Person gereist sind, die sterben muss, sterben mit. Da trifft es auch mal den unschuldigen Sohn. Doch warum tötet das Motel? Alleine der Besitzer, der am nächsten Morgen die Leichen entsorgt, weiß es. Denn das Motel zeigt ihm, welche Verbrechen die Menschen begangen haben.
Und sie sterben immer so, dass es mit ihrem Verbrechen in Einklang ist.
Das Motel hat eine unheimlich niedrige Hemmschwelle, was diese Verbrechen angeht.
Und das ganze Dorf hilft, diese Tode zu vertuschen. Die Werkstatt kümmert sich um die Autos, verwertet sie, so dass keine Spuren zurückbleiben. Der örtliche Bestatter verbrennt in seinem Krematorium all die persönlichen Dinge, die die Opfer bei sich hatten. Und Polizei und Bewohner des Dorfes decken diese Morde, indem sie die Durchreisenden nie gesehen haben oder falsche Fährten legen. Denn eines ist gewiss: Wird das Motel geschlossen, ist das gesamte Dorf in Gefahr.
Doch warum mordet das Motel? Diese Frage bleibt sehr lange offen und auch, wer eigentlich die Morde begeht.
Der Thriller mit einem Hauch Übernatürlichen lässt sich verdammt gut lesen. Durch das gesamte Buch hinweg führt ein Spannungsbogen, immer wieder denkt man, es müsste auffliegen, doch das tut es nicht.
Der Besitzer des Motels wird zu Beginn des Buches von allem aus dem Dorf gemieden, irgendwo auch verständlich. Doch als es hart auf hart kommt, halten alle zusammen.
Jill Grey baut Seite für Seite die Neugierde auf, ich wollte unbedingt wissen, wer für die Morde verantwortlich ist und wieso das Motel mordet.
Während die Handlung voranschreitet, möchte man glauben, dass es das Motel selber ist, das seine Gäste in den ewigen Schlaf schickt. Doch warum? Diese Frage steht immer wieder im Raum. Die, die es wissen, schweigen eisern, um ihre Familien zu schützen.
Doch schlussendlich findet der Besitzer des Motels ein Tagebuch, findet eine vermeintliche Lösung, das Buch kommt augenscheinlich zu einem glücklichen Ende.
Hier wäre es für meinen Seelenfrieden schön gewesen, wenn das Buch geendet hätte. Doch nicht mit Jill Grey. Die lange ersehnte Auflösung, die durch immer neue Hinweise langsam enthüllt wird, ist eine grausame Geschichte, die seit Jahrhunderten wie ein Schleier über dem Dorf liegt.
Und das glückliche Ende gibt es nicht. Der Besitzer wird von seinem Motel betrogen und die nächste Generation muss übernehmen.
Thriller sind nicht einfach zu schreiben, aber Jill Grey schafft es, die Spannung über viele Seiten zu halten. Die gegebenen Hinweise ziehen einen immer weiter in den Sumpf aus Vergangenheit, Vertuschung und Verbrechen, zu keinem Zeitpunkt fühlte sich etwas in diesem Buch fehl an.
Ein Thriller, den ich nur an zwei Abenden durchlese, ist selten. Manchmal darbt die Erzählung vor sich hin, zieht auf Pfaden, die es schwer machen zu folgen oder es kommen Kapitel, die einfach unnütz sind, nur um die Seitenzahl zu erhöhen.
Hier ist das definitiv nicht der Fall. Mit über 400 Seiten schafft der Autor es, mich zu fesseln, ohne abzuschweifen. Jede Information scheint wichtig zu sein, jede erzählt Nuance, jede Person trägt dazu bei, dass die Spannung bleibt. Bis zum großen Finale. Der Nachgang der Geschichte könnte auch der Anfang sein, fast wie ein Kreis schließen sich die Begebenheiten.
Und ich frage mich: Traue ich mich, eine Nacht in diesem Motel zu bleiben?