Jim Bradbury

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Cover des Buches The Medieval Siege (ISBN: 0851153577)

The Medieval Siege

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Erschienen am 17.01.2008

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Der "Mehrer des Reiches" - Philipp II. von Frankreich

Von wenigen Ausnahmen abgesehen – man denke etwa an Ludwig den Heiligen (1214-1270) – sind die französischen Könige des Mittelalters in Deutschland nahezu unbekannt. Das gilt selbst für einen so bedeutenden Monarchen wie Philipp II. August (1165-1223). Der siebte König aus dem Geschlecht der Kapetinger gelangte als Fünfzehnjähriger auf den Thron und herrschte mehr als 40 Jahre über Frankreich. Seine lange und erfolgreiche Regierung war eine Schlüsselphase in der Entwicklung Frankreichs und der französischen Monarchie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb der deutsche Historiker Alexander Cartellieri eine vierbändige Biographie über Philipp II. Heute wäre es undenkbar, dass ein deutscher Historiker einem König unseres Nachbarlandes ein so umfangreiches Werk widmet. Seltsamerweise gibt es gegenwärtig auch in Frankreich keine "großen" Biographien Philipps II., obwohl die herausragende historische Stellung des Königs unbestritten ist. Das vorliegende Buch des britischen Mediävisten Jim Bradbury ist eine der wenigen modernen Darstellungen, die einen fundierten Überblick zu Philipps Leben und Herrschaft bieten. Bradbury hat sich darauf konzentriert, die internationale Forschungsliteratur zur Geschichte Frankreichs im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert zusammenzufassen. Sein Buch ist als Einführungs- und Überblicksdarstellung angelegt. Hier und da setzt Bradbury aber auch eigene Akzente. Er bemüht sich, missgünstige Urteile über Philipp als König und Heerführer zu korrigieren, wie sie vor allem in der älteren englischsprachigen Fachliteratur anzutreffen sind. Bradburys Buch ist für jene deutschen Leser empfehlenswert, denen die französischsprachige Literatur über die Kapetinger und Frankreichs Geschichte im Hochmittelalter unzugänglich ist.

Eingangs betont Bradbury, dass sein Buch keine Biographie ist. Eine Biographie im modernen Sinne lässt sich über Philipp II. nicht schreiben. Einer Annäherung an den Menschen Philipp sind enge Grenzen gesetzt. Wie die meisten Monarchen seiner Zeit ist der König als Individuum schwer zu erfassen. Das Buch weist eine lockere chronologische Gliederung auf. Einige Kapitel behandeln schwerpunktmäßig ausgewählte Themen, etwa Philipps Verhältnis zur Kirche und zum Papsttum oder die Entwicklung des Regierungs- und Verwaltungsapparates der französischen Monarchie. Das über mehrere Generationen ausgetragene Ringen zwischen den Kapetingern und den Plantagenets steht erwartungsgemäß im Mittelpunkt des Buches. Bis weit ins 12. Jahrhundert hinein waren die Kapetinger keine mächtige Dynastie. Das Königtum war schwach; weite Teile Frankreichs standen unter der Herrschaft von Territorialfürsten. Die Krondomäne der Kapetinger war auf die Ile de France beschränkt. Mitte des 12. Jahrhunderts wurde die Situation des Herrscherhauses noch prekärer, als das sogenannte Angevinische Reich entstand. Eleonore, die Erbin des Herzogtums Aquitanien, vermählte sich 1152 mit Heinrich von Anjou, der wenige Jahre später das Königreich England erbte. Das Reich der Anjou-Plantagenets erstreckte sich von der englisch-schottischen Grenze über Nord- und Westfrankreich bis zu den Pyrenäen. In der erdrückenden Nachbarschaft dieses Großreiches wirkten die Kapetinger mit ihrer winzigen Domäne und ihrem geringen Einfluss innerhalb Frankreichs zweitklassig. Noch zu Beginn der 1180er Jahre verspottete der Troubadour Bertran de Born den jungen Philipp als "kleinen König von Wenigerland". Doch als Philipp II. 1223 starb, lag das Angevinische Reich in Trümmern, und das französische Königtum hatte eine gewaltige Machtsteigerung erlebt. Wie konnte es dazu kommen?

Philipp II. mag keine so schillernde Figur gewesen sein wie Heinrich II. von England und dessen Sohn Richard Löwenherz. Er war aber bei weitem erfolgreicher als seine Rivalen. Bradbury zeigt Philipp als entschlossenen und tatkräftigen Herrscher, der sein Hauptziel – die Schwächung der Plantagenets – mit langem Atem und großer Beharrlichkeit verfolgte. Nicht von ungefähr gilt Philipp seit jeher als "erster Staatsmann unter den französischen Königen". Der politisch frühreife Monarch setzte zielstrebig das Werk seines Vaters, Ludwigs VII. (1120-1180), fort: Er vertiefte die königliche Herrschaft in der Domäne und bändigte die übermächtig gewordenen Territorialfürsten. An einer Auseinandersetzung mit den Plantagenets, die große Teile Frankreichs beherrschten, führte kein Weg vorbei. Wie schon sein Vater nutzte Philipp die Schwachstellen des Angevinischen Reiches geschickt aus, zum einen die territoriale Überdehnung, zum anderen die ständigen innerfamiliären Konflikte im Haus Plantagenet, zuerst zwischen Heinrich II. und dessen Söhnen, dann zwischen den Brüdern Richard und Johann. Zeitweise arbeiteten Philipp und Richard zusammen, etwa während des Dritten Kreuzzuges. Doch als Richard auf der Rückreise aus dem Heiligen Land in Gefangenschaft geriet, schlug Philipp zu: Er besetzte einige Gebiete der Plantagenets in Nord- und Westfrankreich. Zwar konnte Richard später die meisten Gebiete zurückerobern, doch mit seinem frühen Tod 1199 war der Fortbestand des Angevinischen Reiches in Frage gestellt. Richards unfähiger und glückloser Bruder Johann konnte sich gegen Philipp nicht behaupten und verlor bis 1204 fast den gesamten Festlandsbesitz der Plantagenets, Anjou, die Bretagne, die Normandie. Nur anderthalb Jahrzehnte nach dem Tod Heinrichs II. war das Angevinische Reich von der Landkarte verschwunden.

König Johann schmiedete eine Koalition, um sein Erbe zurückzuerobern. Das Vorhaben geriet zum schmachvollen Debakel: Johann landete 1214 in Westfrankreich, zog sich aber kampflos vor den Truppen des französischen Thronfolgers Ludwig zurück. Philipp II. selbst besiegte im flandrischen Bouvines Kaiser Otto IV., Johanns Neffen. Als erster Kapetinger errang Philipp einen glänzenden Sieg in offener Feldschlacht. Nach dem Triumph von Bouvines konnte Philipp die Früchte seiner jahrzehntelangen Mühen genießen. In Frankreich herrschten Frieden und Stabilität; die Wirtschaft blühte; äußere Bedrohungen gehörten der Vergangenheit an. Das Königtum der Kapetinger war stärker als je zuvor. Philipp hatte die Krondomäne massiv vergrößert und die Reichweite der königlichen Verwaltung ausgedehnt. Die einst übermächtigen Magnaten stellten die Führungsrolle des Königshauses nicht mehr in Frage. Philipp II. war im wahrsten Sinne des Wortes ein "Mehrer des Reiches" (Augustus). Selten hat ein französischer König seinem Sohn und Nachfolger so wohlgeordnete Verhältnisse hinterlassen, wie es bei Philipp II. und Ludwig VIII. (1187-1226) der Fall war. Unter Philipps Enkel Ludwig IX., dem Heiligen, stieg Frankreich zur Führungsmacht in Westeuropa auf. Eine lange Regierungszeit muss nicht zwangsläufig ein Segen sein. Sie kann in politischen Stillstand, Ideenlosigkeit und Reformstau münden. Nicht so bei Philipp II.: Der König hatte zeitlebens klar definierte Ziele, und er bediente sich aller verfügbaren politischen und militärischen Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Philipps Herrschaft wirkt trotz ihrer Länge wie "aus einem Guss", ohne Krisen, ohne eine Phase des Verfalls gegen Ende hin. Jim Bradbury würdigt Philipp II. in überzeugender Weise als großen König und fähigen Heerführer, der den Vergleich mit anderen prominenten Monarchen des 12. und 13. Jahrhunderts nicht zu scheuen braucht. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im August 2017 auf Amazon gepostet)

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