Cover des Buches Ein Mann, eine Frau und der Tod (ISBN: 9783442729777)
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Rezension zu Ein Mann, eine Frau und der Tod von Jim Crace

Rezension zu "Ein Mann, eine Frau und der Tod" von Jim Crace

von Wortklauber vor 15 Jahren

Rezension

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Wortklaubervor 15 Jahren
Joseph und Celice sind Doktoren der Zoologie. Die Eheleute kehren alter Zeiten wegen an den Ort zurück, an dem es vor vielen Jahren, damals noch als Studenten, ein Liebespaar wurde: in die Dünen der Bariton-Bucht. Celice hat diesen Ort bewusst gemieden, denn derselbe Studienausflug, der ihr ihren Ehemann beschert hat, hat ihr auch eine schwere Schuld auf die Schultern gelegt. Celice fühlt sich verantwortlich am Tod von Vesta, einer der sechs Personen, die damals in dem Studienhaus am Meer logierten. Weder der Titel, noch der Rückseitentext, noch das Buch selbst fackelt lange mit dem Fakt, dass dieser Ausflug nicht gut ausgehen wird für Joseph und Celice: Bereits im ersten Absatz erfährt der Leser, dass sie nicht lebend zurückkehren. Sie werden umgebracht, erschlagen mit einem Granitbrocken. In einer eindeutigen Pose, sie halb-, er vollständig nackt, nach einem Liebesakt, liegen sie sechs Tage lang in den Dünen, Wind, Wetter und Tieren ausgesetzt, die sich an ihren Leichen gütlich tun. Crace ziert sich nicht zu beschreiben, welchen Veränderungen ihre Leichen in diesen Tagen unterliegen, im Gegenteil wird er hier sehr anschaulich. Trotzdem ist der Roman kein Krimi. Und auch kein „CSI“-Abklatsch (oder Vorläufer). Er ist geographisch nicht zu verorten; die Stadt wird nur bei ihren (erfundenen) Spitznamen genannt, weder die Namen der Personen, noch die Handlungsabläufe sind eindeutig englisch (wie der Autor). Und auch der Schriftsteller Mondazy, der „bekannteste Sohn der Stadt“, ist erfunden. „Trust nothing I say“, sagt Crace in einem Interview. Da zwei von drei Titel gebende Hauptdarsteller also gleich zu Beginn dem dritten, dem Tod selbst, anheim fallen, wäre es eine Möglichkeit gewesen, ab da chronologisch zu erzählen: die Suche ihrer erwachsenen Tochter Syl, die sie unter anderem ins Leichenschauhaus der Stadt führt, und den Verfall der beiden Körper am Strand. Die andere Möglichkeit (die Crace gewählt hat), war es, nicht chronologisch zu erzählen. Es geht um unterschiedliche Anschauungen vom Tod. Es ist kein Zufall, dass Joseph und Celice Zoologen sind. Als solche haben sie eine eigene Anschauung vom Tod. Mondazy gibt dem Tod die Gestalt eines Fisches. Und die Bariton-Bucht hat ihren Namen aus dem alten Volksglauben, dass der Ton, der manchmal dort erklingt, Unheil verkündet. Celice lehrt ihre Studenten, dass das Sterben mit der Geburt beginnt. Der Preis für die Mehrzelligkeit, weiß sie, ist der Tod. In einer Szene wird eine Trauergemeinschaft aus lauter Gelehrten mit den Worten des Trauerredners konfrontiert. Während dieser dem Baum, unter dem der Selbstmörder den Tod wählte, eine metaphysische Bedeutung gibt, rattert es in den Köpfen derer, die es „besser wissen“, die mit Worten wie „Paradies“, „Ewigkeit“ und „Gott“ nichts anfangen können – der Baum war ein Flachwurzler, wissen die Botaniker, von wegen „Wurzeln, die tief ins Erdreich reichten“, giftig war er auch nicht, „Unterwelt“ ...? Es geht ums Altern und um Vergänglichkeit. Von Menschen und Natur. Die Bariton-Bucht soll bebaut werden. Syl findet nicht von Ungefähr ausgerechnet ein Glas mit ihren Milchzähnen im Regal ihres toten Vaters. Der Erzähler hat keine Worte des Bedauerns für die gewaltsam aus dem Leben Gerissenen, immerhin sind sie so einem langsamen Dahinsiechen entronnen. Und einem einsamen Tod, jeder für sich auf einer geriatrischen Station. Wenn es etwas zu bedauern gibt, dann, dass die beiden toten Körper letztendlich nicht Teil des ewigen Kreislaufs in der Bariton-Bucht werden. Die Dünen wären mit ihnen fertig geworden, heißt es. Der Roman ist für mich ein Beispiel dafür, wie man rückschauend erzählt, ohne den Leser mit Rückblenden zu langweilen oder zu überfordern und ihm umgekehrt auch nie zuviel verrät, auf dass er das Interesse verliert. Vergangenheit und Gegenwart fügen sich sehr gelungen exakt ineinander. Hätte Crace eine dritte Möglichkeit gewählt den Roman zu schreiben, nämlich zu einem früheren Zeitpunkt angefangen, mit dem Kennenlernen von Celice und Joseph, und mit deren Tod geendet, wäre es ein anderer Roman geworden.
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