Cover des Buches Wohin der Wind uns weht (ISBN: 9783518465974)
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Rezension zu Wohin der Wind uns weht von João Ricardo Pedro

Ein besonderes Gewebe aus den Erlebnissen dreier Generationen in Portugal.

von Sommerregen vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Beeindruckend. Für mich ein 4,5 Sterne-Buch, da der schöne Schreibstil leider immer wieder durch vulgäre Stellen unterbrochen wird.

Rezension

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Sommerregenvor 9 Jahren
João Ricardo Pedros Debütroman “Wohin der Wind uns weht” umfasst die Erlebnisse dreier Generationen. Die Geschichte beginnt mit der Nelkenrevolution am 25. April 1974, durch die Portugal von der 40 Jahre andauernden autoritären Diktatur befreit wird.

Doktor Augusto Mendes, der als Arzt auf dem Land lebt, sitzt mit anderen Dorfbewohnern bei Tisch; die Politik wird zum Thema gemacht. Als er das Verschwinden seines alten Freundes Celestino bemerkt, begibt er sich auf die Suche nach diesem und wird fündig. Celestinos Überreste- die ihn umschwirrenden Fliegen haben kaum mehr als sein Glasauge und den von Kugeln zerlöcherten Schädel übrig gelassen- liegen auf einem herrenlosen Brachland.
Doch wird nicht nur seine Geschichte und die seiner Frau Laura erzählt, sondern umspannt das Buch noch zwei weitere Generationen. Antonio Mendes, der Sohn des Dorfarztes, muss während des Kolonialkrieges 1961 bis 1973 zwei mal nach Angola ausrücken, weswegen er, wie viele andere, traumatisiert zurückkehrt. Bei dem ersten Treffen mit seiner Frau erkennt er zu Beginn zum Beispiel seinen eigenen Sohn nicht mehr wieder.
Doch auch in der Zukunft lassen sich immer wieder Verknüpfungen zu seinen Erlebnissen herstellen, Auslöser für weitere Erlebnisse auffinden.

Sein Sohn, um den es in dem Buch zentral geht, erfährt nur nach und nach als er älter wird von einzelnen schockierenden Geschichten seines Großvaters und seines Vaters. Duarte selbst begibt sich erst nach dem Tod Augusto Mendes’ auf die Suche nach den Spuren der Vergangenheit, möchte etwas über die Geschichte seiner Vorfahren erfahren. Diese Handlung setzt jedoch erst am Ende des Buchs ein, sodass man Duarte auf diesem Weg nur in seinen Anfängen begleiten kann.
Duarte selber ist ein sehr begabter Pianist. Er wird dafür bewundert, dass seine Finger unaufhaltsam über die schwarzen und weißen Tasten huschen und dabei die Werke berühmter Komponisten aufblühen lassen. Doch als er droht, sich in der Musik zu verlieren beendet er seine vielversprechende Karriere als Pianist plötzlich, was in seinem Umfeld zunächst Unverständnis hervorruft.

Beim Lesen des Buchs begleitet man Augusto, Antonio und Duarte immer abwechselnd bei besondern Episoden ihres Lebens, welche oftmals mit der politischen Lage Portugals verbunden sind. Zu Beginn ist dies noch sehr undurchschaubar, doch je mehr man liest, desto häufiger erkennt man Personen wieder, entdeckt Zusammenhänge oder versteht den Grund für eine gewisse Handlung. Dennoch hilft es sehr, wenn man einige Passagen mehrfach liest, um so dieses Gewebe an Handlungen genau erfassen zu können.
Man erfährt von der Entwicklung Portugals, aber auch von dem Heranwachsen und Älterwerden der Charaktere. Duarte wird erwachsen, verändert sich.

Doch auch der Schreibstil erfährt einen Wandel. Zu Beginn sind die Sätze noch sehr lang, in gewisser Weise verspielt, wenn sie auch einen melancholischen oder brutalen Inhalt vermitteln. Je weiter die Geschichte dann jedoch voran schreitet, desto kürzer und einprägsamer werden die Sätze. Häufig werden sogar Ellipsen eingesetzt, sodass einige Passagen nicht nur inhaltlich sondern auch sprachlich ein befremdliches oder auch unbehagliches Gefühl hervorrufen, welches stets zu der Handlung passt.
Meistens ist der Schreibstil sehr ansprechend, beinahe poetisch, doch dann wird das ganze plötzlich, was mir ehrlich gesagt nicht ganz so sehr gefallen hat, durch eine vulgäre Erzählweise gebrochen. Sicherlich kann man dies als Ausdruck des starken Unmuts, der Verzweiflung und der Wut oder den vielen anderen Gefühlen der Hauptcharaktere erklären, dennoch gefällt mir der klingende Schreibstil wesentlich besser.

Beim Beenden des Buchs blickt man auf ein Gewebe der Geschichten dreier Generationen die, ohne dass man es zu Beginn vermutet hätte, alle mit einander verbunden sind. Man sollte sich für dieses Buch aber definitiv Zeit nehmen und auch nach Beenden des Buchs braucht es noch etwas, bis man das Gelesene richtig geordnet und verstanden hat.
Um die in diesem Buch beschriebenen Episoden verstehen zu können musste ich nebenbei immer wieder andere Texte zu Portugals Geschichte lesen und ich kann dies wirklich jedem empfehlen, da sonst wohl deutlich mehr Fragen offen blieben und die Bedeutungen verschiedener Episoden im Unklaren blieben.
Ich denke auch, dass ich dieses Buch noch ein weiteres mal lesen werde, da ich glaube, dass man dann noch viele neue Details entdecken kann und sich noch weitere Fragen klären lassen, denn mit der letzten Seite des Buchs bleiben noch ein paar Fragen offen, deren Antworten im Vorangegangenen versteckt sein könnten.

Alles in allem handelt es sich bei João Ricardo Pedros Debütroman “Wohin der Wind uns weht” um ein besonderes Buch, für das es Zeit braucht. Auf die Struktur des Buchs, sprich den sprunghaften Wechsel zwischen den Generationen, muss man sich einlassen, außerdem muss man sich beim Lesen konzentrieren. Wegen der vulgären Unterbrechungen im Schreibstil, die mir persönlich nicht ganz zugesagt haben, mache ich in meiner Bewertung Abstriche.
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