Rezension zu "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" von Joël Dicker
Ich gehöre zu jenen Lesenden, die vom Debüt-Roman Dickers begeistert waren. Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert ist nach meinem Empfinden ein großartiger und innovativ strukturierter Roman mit interessanten Figuren, klugen Perspektiven und überraschenden Wendungen. Allerdings auch mit einem zum Teil inflationären Einsatz von Ausrufezeichen. Aber das war schon okay.
Das Verschwinden der Stephanie Mailer hab ich demzufolge mit dem guten Gefühl und einer gewissen Vorfreude als Hörbuch begonnen, davon überzeugt, dass mir der Autor liegt und mich ein weiteres Mal gut unterhalten wird. Es war mein zweiter Dicker und ich hatte vorab viele begeisterte Kritiken aus den Medien zu diesem Buch zur Kenntnis genommen, die den Autor als geschickten Arrangeur verschiedener Handlungsstränge feierten, als anspruchsvollen aber gleichzeitig schnörkellosen Schriftsteller, und … und … und!
Im Nachhinein betrachtet machen mich die vielen positiven Kritiken beinahe noch fassungsloser als der Roman selbst.
Ganz ehrlich: Dieses Buch ist einfach nur schlecht! Ich meine damit wirklich richtig und durchweg schlecht! Die Handlung ist zum großen Teil total unsinnig, abstrus, lächerlich, unwahrscheinlich. Die Figuren haben mich überwiegend genervt, wirken unglaubwürdig und verhalten sich stellenweise dermaßen dümmlich, als würden sie sich selbst persiflieren. Es gibt zu viele Figuren, die nicht sorgfältig entwickelt werden, sondern sich wie multiple Persönlichkeiten verhalten. Die Dialoge wirken erschreckend hölzern und hohl, nein, sorry, so reden normale Menschen einfach nicht. Und das, was den Roman ausmacht, das Spiel mit verschiedenen Zeitebenen, den ständigen Perspektiven und mit einer Fülle an Figuren, die offensichtlich schicksalhaft miteinander verbunden sind, das hat J. Dicker weitgehend nicht im Griff. Da fehlt es an einer stimmigen Balance. Er misch die Stränge zwar bunt durcheinander, aber ein wirkliches Konzept wird dabei nicht erkennbar. Vielmehr verzettelt er sich perspektivisch mit seinen ständig wechselnden Ich-Erzählern und Ich-Erzählerinnen und raubte mir irgendwann den Willen, der Story überhaupt noch ernsthaft folgen zu wollen. Zu weit hergeholt und an den Haaren herbeigezogen sind manche Entwicklung, zu abwegig und unlogisch das Verhalten mancher Figuren. Immer wieder wähnt man sich eher in einer Satire als in einem ernst gemeinten Kriminalroman, doch nie gibt die Geschichte endgültig Aufschluss, was sie eigentlich sein will. Un d so ist zu befürchten, dass einem der gewollte Humor des Autors meistens entgeht, während viele andere Passagen unfreiwillig komisch daherkommen. Die schlimmste und lächerlichste Figur ist ein ehemaliger Polizeichef, der plötzlich seine Liebe zum Theater entdeckt und absolut konstruiert den überdrehten Theaterdirektor mimt Das ist einfach hur platt und schlecht und konstruiert. Und überhaupt: Das zentrale Schlüsselgeschehen der Story rund um ein geheimnisumwittertes Theaterstück wirkt dermaßen unsinnig und abstrus übertrieben, da möchte man die Geschichte am liebsten abbrechen, weil man sich als Lesender und Hörender vom Autor irgendwie alles andere als ernst genommen fühlt.
Einzig und allein die Frage nach dem Mörder (oder der Mörderin) ist das letzte Fünkchen Spannung, das einen noch bis zum Ende den Weg leuchtet. Doch auch da schlagen Logik und Glaubwürdigkeit am Ende wilde Haken bei dem Versuch, Hochspannung bis zur letzten Sekunde zu erzeugen. Was leider sehr bemüht wirkt und dadurch konstruiert. Die Auflösung wirkt dann – passend zum gesamten Plot – UNGLAUBWÜRDIG und an den Haaren herbeigezogen und wird dann so sorgfältig in allen Zusammenhängen erklärt und verbunden, als traue der Autor seiner Lösung am Ende selbst nicht so recht, und müsse sie zur Sicherheit noch einmal mit allen Wendungen abgleichen. Das wirkt dann noch mal zusätzlich zäh und uninspiriert.
Letztendlich frage ich mich schon, wie ein zweifellos guter Autor (das hat er ja schon eindeutig beweisen) ein dermaßen schlechtes Buch schreiben und dann auch noch veröffentlichen konnte, wie dieser krude Roman obendrein problemlos durch ein Lektorat flutschte, wie ein Verlag die Bereitschaft zeigte, daraus ein Buch zu machen und wie dann unfassbar viele Kritiker- und Leserstimmen auch noch ein Loblied auf diesen Blödsinn anstimmen konnten.
Und solch ein Buch wird dann auch noch SPIEGEL-Bestseller? Des Kaisers neue Kleider lassen grüßen, oder? Du lieber Himmel!
Hat da jemand gewettet, dass auch grottenschlechte Romane zu Bestsellern gepusht werden können, wenn man nur die richtigen Mechanismen aktiviert?, an den richtigen Schrauben dreht.
Nun denn, am Ende muss jede und jeder selbst wissen, ob man sich auf diesen M... als Buch oder Hörbuch einlassen möchte. Für mich war das leider reine Zeitverschwendung und der Beweis dafür, dass auch schlechte, uninspirierte und schlampig zusammengeschriebene Machwerke Bestseller werden können. Und das erstaunt und verwundert mich – aber wirklich überraschend ist es dann auch nicht mehr. Natürlich sind Geschmäcker verschieden. Aber ein gewisses Niveau und eine gewisse Qualität sollte schon erkennbar sein. Und die spreche ich diesem Romangänzlich ab. Da sind zwei Sterne noch fast zu viel!