Cover des Buches Eine Geschichte der Zitrone (ISBN: 9783551560360)
lex-bookss avatar
Rezension zu Eine Geschichte der Zitrone von Jo Cotterill

Kleines Buch ganz groß

von lex-books vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Traurigschönbittersüßwütendundfroh - ein Buch mit vielen Facetten, das ebensoviele Emotionen hervorruft

Rezension

lex-bookss avatar
lex-booksvor 7 Jahren

Einsamkeit ist seit dem Tod ihrer Mutter für Calypso zum Normalzustand geworden. Abgeschottet lebt sie zusammen mit ihrem Vater, einem Schriftsteller, der sich die meiste Zeit über in seinem Arbeitszimmer einigelt und an seinem Lebenswerk „Eine Geschichte der Zitrone“ feilt. Als kluges, interessiertes Mädchen füllt Calypso ihr Leben mit Büchern, in denen sie sich wohl und geborgen fühlt, während die Regeln von Freundschaft und Liebe unbekannt, unberechenbar und riskant erscheinen. Aber dann gibt es da plötzlich Mae, die Calypsos Freundin sein will.

Das Buch hat viele Facetten, die zu einem runden und wunderschön erzählten Ganzen zusammenfinden. Zentral sind die Themen Depression und Trauer. Insbesondere die Frage: Wie ist das für Kinder, wenn ein Elternteil an einer Depression erkrankt ist? Der Leser nimmt die Perspektive der elfjährigen Calypso ein, die begreift, dass bei ihr zuhause irgendetwas nicht so richtig stimmt, aber nicht fassen kann, was das eigentlich ist. Sie schultert die Verantwortung für sich selbst, den Haushalt und einen Vater, der nur noch für seine Arbeit lebt und Calypsos Bedürfnis nach Liebe mit emotionaler Schwäche gleichsetzt.

Was die Geschichte besonders macht, ist Calypsos Sicht auf die Dinge, die vieles einfach nicht einordnen kann, weil sie ein Kind ist und es nicht versteht. Calypso versucht stark zu sein, weil ihr Vater das von ihr verlangt. Damit überdeckt sie ganz viele Sehnsüchte, die man als Leser nach und nach entdecken darf. Aber auch viele ambivalente Emotionen - Sorge, Überforderung, Zweifel, Ratlosigkeit, Andersartigkeit, den Wunsch nach Normalität, Verantwortung-abgeben-dürfen. Ein kleines, starkes Mädchen, das gelernt hat, Gefühle wegzusperren, sich aber tief im Innern nach Wärme und Geborgenheit sehnt.

Der Ton ist abwechslungsreich. Von traurig, über bitter bis leicht und schön, vornehmlich aber melancholisch. In das Gefühl der Wut über den Vater, der seine Tochter fast völlig sich selbst überlässt, mischt sich das Verständnis, dass Betroffene weder etwas für ihre Depression können, noch immer in der Lage sind, diese selbst zu erkennen oder sich Hilfe zu holen.
Völlig unverkrampft, in einer lebendigen, alle Sinne ansprechenden Schreibweise, lässt die Autorin helle Hoffnungsstrahlen über ihre Geschichte scheinen, indem sie aus der Rückzugswelt der Bücher letztlich Calypsos Brückenschlag zum Leben gelingen lässt.

Über die zarte, aber schnell intensiver werdende Freundschaft zu der lebenslustigen, ebenfalls buchbegeisterten Mae mit ihrer völlig normalen, lauten Familie bekommt Calypso eine Ahnung davon, dass Stärke nicht aus Abhärtung und Abkapselung entsteht, sondern aus der Öffnung gegenüber dem Leben und den Menschen. Mit allen Freuden und Enttäuschungen, die da möglich sind.

Fazit: Thema Depression und Trauer, wunderbar erzählt, im hoffnungsvollen bibliophilen Gewand. Anrührend und deutlich, ohne abwertend zu sein. Ein kleines, großes Buch!

Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks