Gehst du ans Telefon, wenn es mitten in der Nacht klingelt? Daniel Quinn denkt nicht lange darüber nach, denn die Nächte sind lang und sein Alltag ist vom Schreiben und dem sich treiben lassen geprägt. Vor nicht allzu langer Zeit war er noch Ehemann und Vater, ein ehrgeiziger Lyriker und Übersetzer, ein Freund, ein Sohn. Doch der Tod seiner Frau und seines Sohnes ließ einen Teil seines Selbst verkümmern. Quinn wandte sich von sich selbst ab, ergriff ein Pseudonym und schrieb von nun an Detektivromane, die ihm ein einfaches Einkommen garantierten, um die kleine New Yorker Wohnung und seinen schlichten Lebensunterhalt abzusichern. Doch in dieser Nacht veränderte sich Quinns Leben mit der Annahme des Telefonats.
Der Anrufer hält Quinn für den Detektiv Paul Auster und bittet ihn dringend um seine Hilfe. Im ersten Moment sträubt sich Quinn gegen die Argumente; ein Mann in Lebensgefahr, wird von seinem eigenen Vater bedroht, der ihn nach Abschluß einer Haftstrafe nun töten will. Doch am nächsten Morgen bricht Quinn zur genannten Adresse auf, um Peter Stillmann zu treffen, der auf seine Unterstützung und seinen Schutz hofft. Warum nicht ein wenig Detektivarbeit leisten, um neue Impulse für den kommenden Roman zu gewinnen? Quinn verliert jedoch bereits nach kurzer Zeit den Überblick und wird immer tiefer vom Sog der anscheinend verantwortungsvollen Aufgabe fortgetragen. Er verliert regelrecht den Boden unter den Füßen, denn seine Realität verschwimmt zunehmend, sein Zeitgefühl geht verloren und er ergibt sich ganz und gar. Auf der Suche nach einer potentiellen Bedrohung verliert er sich und reibt sich bei der Suche nach seiner eigenen Identität auf.
Auster beschreibt in „Stadt aus Glas“ ausgesprochen intensiv, wie ein Mensch sich aus den Augen verliert. Seine Fixpunkte, die Familie, der regelmäßige Alltag mit Verantwortlichkeiten und Pflichten ging bereits verloren und plötzlich erscheint alles unwichtig. Bis jemand auftaucht, der seine und nur seine Aufmerksamkeit, seine Hilfe fordert. Wahnhaft wird ein Ziel verfolgt, das nicht zu erreichen ist und der Mensch ist zudem noch bereit alles was vom ihm übrig war aufzugeben und sich in den Dienst der Sache zu stellen. Am Ende ist er ganz unten angekommen, kann weder begreifen wie es dazu kam, noch sich emporkämpfen.
Auch in „Schlagschatten“ setzt Auster dieses bedingungslose Schema der Suche nach sich selbst fort. Der junge Detektiv Blue erhält von White den Auftrag den Schriftsteller Black zu beschatten. Auch Blue stellt sich voll und ganz in den Dienst der Sache, setzt sogar den Kontakt zu seiner Verlobten aus, mietet sich im Haus gegenüber von Blacks Appartment ein und verbringt die Tage mit der Beschattung sowie der Lektüre von Thoreaus‘ „Walden“. Irgendwann kann nicht mehr unterschieden werden, wer wen beschattet, wer einen Auftrag erteilte und warum ein Mensch bereit ist sich komplett aufzugeben. Fragwürdig die Aufgaben, die Verpflichtungen in denen er sich verdingt und doch ähneln sie vielem, das ihm tagtäglich begegnet. Er stellt die eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund, verliert seine Ziele, um die großen Ziele anderer zu verwirklichen, die irgendwann überholt und von einer Obrigkeit neutralisiert wurden. Und plötzlich ist auch seine Existenz neutral. Er ist ein Niemand, einer der keine Spuren hinterlassen wird.
Mit dem Nachlaß seines besten Freundes aus frühester Kindheit betraut, entwickelt sich eine dem Schema folgende Dynamik für den Erzähler im letzten Teil der New York Trilogie „Hinter verschlossenen Türen“. Als der Schriftsteller Fanshawe verschwindet hinterlässt er seine schöne, junge Frau Sophie mit dem gemeinsamen Kind Ben und vielen unveröffentlichten Manuskripten. Es bleibt nicht aus, dass sich der Erzähler nicht nur dem Projekt der erfolgreichen Veröffentlichung allen Materials widmet, sondern sich ganz nebenbei in Sophie verliebt. Als sie verheiratet sind und er alle Skripte veröffentlichen konnte, stellen sich die Leute die Frage, ob er nicht selbst der Autor dieser Materialien war. Er macht sich auf die Suche nach Leuten, die Fanshawe kannten, ihm mehr über ihn berichten können, als ihre Wege sich bereits getrennt hatten. Für den Erzähler war Fanshawe immer das große übermächtige Vorbild, der Draufgänger, der all die Dinge tat, die er nie wagte. Auf der Suche nach Fanshawe wird ihm klar, dass der Freund noch lebt und ihn instrumentalisierte. Nun gilt es herauszufinden, wessen Wirklichkeit existent ist und wer das Steuer führt.
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