Cover des Buches Die Retterin von Susa: Ester - eine Liebesgeschichte (ISBN: 9783765570964)
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Rezension zu Die Retterin von Susa: Ester - eine Liebesgeschichte von Joan Wolf

Eine SEHR freie Adaption des Buches Esther aus der Bibel

von Sonnenwind vor 7 Jahren

Rezension

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Sonnenwindvor 7 Jahren
Ein recht interessanter Roman, der die zweieinhalbtausend Jahre alte Geschichte des Königs Xerxes von Persien beschreibt. Seine Frau war Hadassa, hier immer Ester (fälschlich ohne h - hebräisches Tau wird korrekt mit th umschrieben) genannt, die Jüdin war. Die biblische Geschichte ist recht knapp und ohne Schnörkel; das macht sich dieser Roman zunutze, um die Lücken mit eigener Phantasie zu füllen.

Leider geht diese Phantasie so weit, daß geschichtliche Tatsachen verändert werden, oft sogar ins Gegenteil verkehrt. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, die Autorin hätte sich sehr wenig mit den historischen Gegebenheiten beschäftigt. Es klingt immer wie ein Roman aus dem 19. Jahrhundert, angefangen von der Sprechweise. In den semitischen Sprachen gibt es keine Respektanrede abgesehen vom Pluralis Majestatis, der nur im Bezug auf Gott Anwendung findet, hier aber durchgehend (als "Ihr" und "Euch" selbst gegen Untergebene) gebraucht wird. Die Autorin scheint außerdem moderne Büros vor Augen zu haben - mit Schreibtischen und anderen modernen Errungenschaften. Das wirkt zwar erheiternd, ist aber völlig unhistorisch.

Die Stellung der Frau ist genauso modern. Selbst in Männergesellschaft sprechen die Frauen frei von der Leber weg und kennen keine Scheu. Esthers Räume liegen direkt neben denen des Königs - eine Undenkbarkeit in damaligen Zeiten! Die historische Esther lebte im Harem und mit Sicherheit in einer nicht unerheblichen Distanz zu den Räumen, in denen der Herrscher seine Festmahle abhielt. Hier kann sie sogar von ihrem Zimmer aus den König in seinen Räumen hören.

Überhaupt ist hier im Buch der Harem eine ziemlich offene Angelegenheit. Sogar Mordechai, der Onkel der Esther, kann ihn ohne Probleme betreten - als noch lange nicht bekannt ist, daß er ihr Onkel ist. Ein morgenländischer Herrscher wachte aber mit aller Macht über seinem Harem. Die einzigen Männer, die Zutritt hatten, waren spezielle Eunuchen, die dafür ausgebildet waren. Hier ist der Eunuch, der Esther zur Verfügung steht, "gar kein richtiger Eunuch", wie ihre Lieblingsdienerin nach einer Nacht mit ihm bemerkt. Was auch immer die Autorin damit sagen will: das ist unmöglich. Ein Mann, der weder Eunuch noch Ehemann war, war dem Tod geweiht, wenn er versuchte, den Harem zu betreten. Haman durfte in dieser Geschichte mit der Königin speisen, weil er in Gegenwart ihres Eheherrn mit der Königin zusammentraf. Sicherlich auch auf neutralem Boden.

Der König selbst heißt Ahasveros und wird hier als Eigenname gebraucht. Ahasveros ist aber kein Name, sondern ein Titel. Esther wird "Majestät" genannt, war aber doch nichts weiter als eine Frau. Unter den Frauen war sie sicherlich die Chefin, aber unter Männern war sie nichts.

Im Buch herrschen durchgehend die Sitten des 20./21. Jahrhunderts. Frauen sind gleichberechtigt, sie argumentieren mit Männern, sind gut gebildet und wehren sich gegen männliche Autorität. Daß Waschti sich wie im biblischen Bericht weigert, sich vor den versammelten angetrunkenen Männern zu produzieren, ist das Äußerste, und sie riskierte damit ihr Leben. Aber hier redet eine einfache Kammerzofe mit dem König. Auch Esther redet frei von der Leber weg mit Haman - und nicht nur, wie im biblischen Bericht, nachdem der König wütend den Raum verlassen hat.

Es gibt hier Richter, die mit "Euer Ehren" angesprochen werden. Das ist auch völlig unhistorisch. Wenn der König sich über jemanden ärgerte, wurde der ohne weitere Verzögerung zu Tode befördert. Eine Gerichtsverhandlung vorher stammt aus einer weit späteren Epoche.

Die Gedanken, ihr Anliegen dem König doch nicht gleich zu sagen, wirken vor dem lebensbedrohenden Hintergrund nur lächerlich. In der Bibel wird diese Haltung begründet, hier wirkt sie nur zickig.

Es ist im Original nie die Rede davon, daß den Juden die Option geboten wird, in ihr Land zurückzukehren. Der König hat eine moderne Gesinnung gegen seine Untertanen - eine in damaligen Zeiten absolut undenkbare Haltung. Interessant hier auch der Konflikt zwischen Haman und Mardochai. “Ich verbeuge mich nicht vor einem Edomiter” (S. 202) geht weit über jeglichen Interpretationsspielraum des biblischen Textes hinaus. Diese Aussage impliziert eine Überheblichkeit, die von Mardochai nicht bezeugt ist. Im Gegenteil: Die Bibel sagt, Mardochai beugte seine Knie nur vor seinem Gott - eine für einen Juden nicht nur höchst löbliche, sondern völlig korrekte Haltung, die mit Überheblichkeit nicht das Mindeste zu tun hat.

Der Galgen war bei Hamans Haus, nicht beim Palast. Das widerspricht der Bibel deutlich. Außerdem wird hier ausgesagt,
Haman liebte den König und tat alles für ihn. Das ist Blödsinn. Nach dem biblischen Bericht war Haman von Ehrgeiz zerfressen und wollte unbedingt seine persönlichen Feinde (korrekterweise die Juden) beseitigen. Aber von persönlicher Zuneigung sagt die Bibel nichts.

Es gibt hier im Buch auch keine zweite Einladung bei Esther, bevor sie ihre Bitte äußert. Warum auch immer sie den König und Haman zweimal eingeladen hat, es ist Fakt und wird hier unterschlagen. Haman wußte bis dahin noch nicht, daß Esther Jüdin ist. Aber er versteht es sofort - ein helles Köpfchen, muß man schon sagen!

Der König wußte laut der Bibel auch von Anfang an von dem Erlaß, er wußte nur nicht, wer die Juden waren. Das unterschlägt die Autorin völlig. Sie erfindet einen Kriegszug, an dem der König teilnimmt und einen recht kurzen Zeitraum, der Haman für sein Komplott zur Verfügung steht - völlig unhistorisch. Die Autorin erfindet hier eine Anschuldigung, Mardochai hätte Geld veruntreut, wodurch er im Gefängnis landet. Nach den Originalquellen ist das unmöglich.

Gesetze konnten im persischen Reich nicht widerrufen werden. Auch hier hätte die Autorin mal die Bibel lesen sollen. Sie läßt den König einen Erlaß verfassen, der seinen vorigen Befehl widerruft. Das war völlig unmöglich: man vergleiche Daniel, wo selbst der König machtlos war, Daniel vor der Löwengrube zu bewahren.

Auch die Rache der Juden wird unterschlagen. Die Autorin äußert sich nicht dazu, worauf sich das Purim-Fest dann gründen soll. Ohne diese beeindruckende Abwehr der Juden - getrennt nach Städten und Landgebieten - hätte dieses im Judentum sehr wichtige Fest keine Begründung. Überhaupt: In seinem "Erlaß" formuliert der König: "...ersuche ich Euch, ..." die Juden zu verschonen. Ein persischer König würde niemanden "ersuchen"!

Die sieben Söhne Hamans werden im Original auch getötet. In Persien und praktisch allen anderen Ländern war das gang und gäbe, nur in Israel war es durch die Bibel verboten. Diese Tatsache ändert die Autorin auch freimütig nach Gusto ab. Bibelleser wissen mehr! Haman war auch mit Abstand nicht so mächtig wie hier im Buch beschrieben.

Fazit: Das Buch Esther in der Bibel ist ein faszinierendes Buch, spannend zu lesen, ohne überflüssigen Schnickschnack und historisch glaubwürdig. Das auszuarbeiten ist natürlich legitim, aber man sollte sich an den historischen Gegebenheiten orientieren. Da fehlt es eindeutig an Recherche. Dieses Buch ist recht nett, aber leider weit von den Tatsachen entfernt.
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