Cover des Buches Der Wächter von Pankow (ISBN: 9783406681868)
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Rezension zu Der Wächter von Pankow von Jochen Schmidt

Lebendig mitten aus dem Leben erzählt

von M.Lehmann-Pape vor 9 Jahren

Rezension

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M.Lehmann-Papevor 9 Jahren

Lebendig mitten aus dem Leben erzählt

„Ich soll nach China fahren, wo sie sogar Kohle aus Wasser und Schlacke fälschen und wo die Menschen sich zum Leben auf die beleuchtete Autobahn setzen, weil sie zu Hause keinen Strom haben“.

Ja, es sind auch die gängigen Vorurteile des Lebens, dieses „im Kopf schon alles fertig haben“, zumindest fürs erste, das immer wieder in dieser Sammlung von Erzählungen zum Vorschein kommt. Zusammen mit der genauen, bildreichen und plastischen Sprache Schmidts („Ich huste mich durch die Nacht. Ein Staubkorn scheint sich in meiner Lunge verfangen zu haben und bei jedem Atemzug durch den Brustkorb zu irren“) wird Schmidt so zum genauen Beobachter seiner Protagonisten. Die, meist, im ersten Drittel des Lebens stecken und sich immer wieder vor die Aufgabe gestellt sehen, sich zu orientieren, sich „gefasst zu bekommen und gefasst zu halten“.

Und das eben auch in der Fremde, wo der „Trabi Santana“ heißt und wo es gar nicht so einfach ist, seine deutsche Identität so für sich selber geklärt zu haben, dass sie „den Chinesen“ griffig literarisch vermittelt werden könnte.

Eine Aufgabe, vor der Jochen Schmidt zu Zeiten eben stand.
„Man braucht hier keine Gastarbeiter, man hat ja die dritte Welt im eigenen Land“.
Ein wenig verschroben, durchaus mit Humor, oft auch mit echter Irritation beschreibt Schmidt Erlebtes, verdichtet dieses und versucht, sich seinen Reim darauf zu machen.

Auf den Fortgang des Lebens „nach den ersten 30 Jahren“ (kommt da wirklich noch was?), auf die Frage nach dem „Sinn des Lebens“, auf manch andere Stationen des Lebens, das im Osten Deutschlands geprägt wurde und sich zurückerinnert in diesen Geschichten an Haltungen, Meinungen, ein Lebensgefühl, ein „sich durcharbeiten“ auch durch dieses damalige Alltagsleben.

„Nach zwei Stunden können die Mammuts mich nicht mehr begeistern. Die Erdgeschichte hat mich geschafft“. Und genauso, wie er einige Meter im Museum dann auch nicht weiß, was die „Steinzeitfrau“ da eigentlich von ihm erwartet („Die Evolution hat uns auseinandergetrieben“), genauso lässt Schmidt mitschwingen, dass die Evolution vielleicht bis zu diesem Zeitpunkt im Museum ihm immer noch nicht allzu viel Klarheit mit auf den Weg gegeben hat, was denn „die Frau“ (an sich) von ihm erwarten würde.

Was an einigen anderen Stellen in anderen der Geschichten wieder mit anklingt.

Es sind die einfachen Dinge, Gegenstände, Alltagsnormalitäten von damals, die Erinnerungen auslösen und Erinnerungswert besitzen, die Schmidt in den Mittelpunkt der Erzählungen rückt und in den Mittelpunkt seines grüblerischen, teils kruden, teils assoziativ vor sich hin entfaltenden Interesses, das dann weit über das konkrete Objekt hinausgeht ins Grundsätzliche hinein (wie beim ausgestopften Mammut dann hin zur allgemeinen „Frauenfrage“).

Du da kommt es dann auch vor, dass eine einfache Briefmarke zur flüssig zu lesenden, leicht (aber sympathisch) verdrehten Selbst- und Weltreflexion anhält.

Eine mit Ironie gewürzte, empfehlenswerte Lektüre des einfach menschlichen an sehr anregender, sprachlicher Form.
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