Das war eines der wenigen Bücher von BRD-Schriftstellern, die es auch in der DDR zu kaufen gab. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Hier ist vom "goldenen Westen" nichts zu spüren, statt dessen spielt der Roman im Milieu der sogenannten Unterschicht, früher als "Assis" bezeichnet. Von seiner alkoholabhängigen Mutter und deren prolligen Freund links liegengelassen, ist der 12jährige Boris, genannt "Kanake", auf sich allein gestellt. Mit kleinen Diebstählen versucht er sich über Wasser zu halten, die Schule schwänzt er meistens. Als ein neuer Lehrer sich seiner annehmen will, reagiert Boris zunächst mit tiefem Misstrauen, da er seit dem Tod seines Vaters nur mit Ablehnung und Verachtung behandelt wurde.
Dieses Buch hat mich als Kind sehr beeindruckt. Es wird nichts beschönigt, der Grundtenor ist deprimierend und pessimistisch. Boris gehört zu den Verlierern der Gesellschaft, und das weiß er auch. Diese realistische Härte, einschließlich diverser Kraftausdrücke, habe ich vorher noch nie in einem Kinderbuch zu lesen bekommen. Dass dieser Roman dazu benutzt wurde, uns DDR-Kindern zu beweisen "Seht nur her, so sieht es wirklich in der BRD und in Westberlin aus", macht dieses Buch nicht schlechter.
Rezension zu "Boris, Kreuzberg, 12 Jahre" von Jochen Ziem