Cover des Buches Racheklingen (ISBN: 9783453525221)
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Rezension zu Racheklingen von Joe Abercrombie

Rache wird am besten kalt serviert

von Wortmagie vor 10 Jahren

Rezension

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Wortmagievor 10 Jahren

Hach, der Herr Abercrombie. Seine „The First Law“ – Trilogie hat mich maßlos begeistert und überrascht. Nie hätte ich erwartet, eine Mischung aus Gossen-Kodder-Schnauze und überaus intelligenten politischen Intrigen vorzufinden – gewürzt mit einer ordentlichen Portion Blut und einzigartigen Charakteren. Joe Abercrombie hat sich bei mir ein hohes Maß an Achtung und Respekt verdient. Es kam für mich daher gar nicht in Frage, den Einzelband „Racheklingen“ nicht zu lesen. Ich begann diesen High Fantasy Roman mit sehr hohen Erwartungen. Innerlich tanzte meine kleine Joe-Abercrombie-Cheerleader-Version schon eine Choreografie, fest entschlossen, sich erneut hemmungslos begeistern zu lassen.

Monza Murcatto erlebte den tiefsten Fall, den man sich vorstellen kann – wortwörtlich. Weil die gefeierte Söldner-Königin ihrem Herrn, Großherzog Orso, zu einflussreich wurde, mussten sie und ihr Bruder Benna kurzerhand verschwinden. Er ließ Benna ermorden und stieß Monza einen Balkon hinunter. Nur… sie starb nicht. Schwer verletzt und für ihr Leben gezeichnet überlebte Monza den Sturz. Nun kennt sie nur ein Ziel: Rache. Rache für den Mord an ihrem geliebten Bruder und den Angriff auf sie selbst, denn ihr Schmerz verlangt ein Opfer. Sieben Männer müssen auf ihrem Weg sterben. Doch in ihrem geschwächten Zustand kann Monza diese Aufgabe nicht allein bewältigen. Sie braucht Hilfe. Gemeinsam mit dem Nordmann Espe, dem Mörder Freundlich, dem Giftmischer Morveer, der Folterexpertin Vitari und dem abgehalfterten Söldner Cosca begibt sie sich auf einen blutigen Pfad, der das Schicksal ganz Styriens verändern wird.

Anfangs war ich wieder völlig hingerissen von Abercrombies ehrlicher, direkter, schonungsloser Schreibweise. Gegenüber der lieben DarkFairy beschrieb ich es als „Gedicht aus Spucke, Blut und schlimmeren Körperflüssigkeiten“. Ich fand den Einstieg unheimlich schnell, der Cheerleader frohlockte glücklich. Abercrombie hat dieses unglaubliche Talent, die Dinge beim Namen zu nennen, egal wie abstoßend sie sein mögen. Er schont seine LeserInnen nicht, er fordert ihre Nerven und ihre Mägen heraus. Sicher können damit nicht alle umgehen, aber ich liebe es. Wie berauscht begleitete ich Monza und ihre seltsame Truppe zum ersten, zweiten und dritten Mord. Und dann – beschlich mich ein dumpfes Gefühl von Unzufriedenheit. Sollte das alles gewesen sein? Ein schlichter Rachefeldzug? Ich konnte es nicht glauben, denn eigentlich hielt ich diese Handlungslinie für zu banal, einem Joe Abercrombie nicht würdig. Doch genauso ist es. Insofern hat mich „Racheklingen“ ein bisschen enttäuscht. Die Story erschien mir etwas uninspiriert und weniger kreativ, als ich erwartet hatte. Für mich hätten fünf Morde völlig ausgereicht, hätte Abercrombie dem Ganzen stattdessen etwas mehr Würze verliehen.
Die Charaktere in „Racheklingen“ sind hingegen wieder sehr eigenständig und haben eine echte Identität, wobei allerdings keine Figur auftaucht, die an die Brillanz eines Sand dan Glokta heranreicht. Er ist und bleibt für mich Abercrombies Meisterstück. Nichtsdestotrotz überzeugten mich auch die ProtagonistInnen dieses Romans. Ich bringe ihnen unterschiedlich viel Sympathie entgegen und betrachte vor allem Monza mit gemischten Gefühlen. Sie ist einfach keine Frau, die man gern haben kann. Ich verstehe sie auf gewisse Weise, aber ich werde ihr wohl niemals verzeihen, was sie Espe antat. Ich kannte ihn schon aus den vorangegangenen Büchern und mochte ihn unheimlich gern. Monza jedoch löste in ihm eine Entwicklung aus, die mir fast das Herz brach.
Ein absolutes Highlight war der Mörder Freundlich. Mit dem Namen nicht genug, verpasste ihm Abercrombie allen Ernstes auch noch das Asperger-Syndrom, gepaart mit einer Inselbegabung für Zahlen. Wegen solcher Eskapaden würde ich jederzeit wieder zu einem seiner Bücher greifen: man weiß einfach nie, was er für seine LeserInnen an Überraschungen bereithält.

Obwohl mich „Racheklingen“ etwas enttäuscht hat, überwiegen letztendlich die positiven Aspekte. Abercrombie ist ein begnadeter Schriftsteller, der sowohl ein Händchen für runde, außergewöhnliche Charaktere als auch für eine extrem dichte Atmosphäre hat. Ich würde niemandem raten, mit diesem Abercrombie-Werk zu beginnen, denn es ist wirklich äußerst blutig und brutal; außerdem werden Bezüge zu Figuren hergestellt, die man ohne Kenntnis der „The First Law“ – Trilogie nicht versteht. Ich denke, man sollte bereits wissen, zu welchen kompromisslosen Beschreibungen dieser Autor fähig ist, bevor man sich mit Monza auf ihren Rachefeldzug begibt. Für bereits Infizierte ist es jedoch ein passender Ausflug, der zwar nicht an die „The First Law“ – Trilogie heranreicht, dafür aber Abercrombies Stärken noch einmal deutlich betont.
Macht euch auf was gefasst, denn Rache wird bekanntermaßen am besten kalt serviert.

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