Wie kann ein Mensch auf die irrsinnige Idee kommen, in einem Seekajak Australien umrunden zu wollen? Eigentlich ist die Antwort in diesem Fall einfach: Weil es schon einmal jemand geschafft hat. Und wenn man sich für entsprechend ausgerüstet und fit dafür hält, Seekajaking auf höchstem Niveau betreibt und sich auch psychisch für eine solche Reise gerüstet fühlt, dann reizt die einmal gesetzte Marke.
Nur außergewöhnliche Menschen sind zu einer solchen Leistung fähig. Und Freya Hoffmeister fällt völlig aus dem üblichen Rahmen. Jeder, aber auch wirklich jeder hat ihr von dieser Tortur abgeraten. Die meisten der Kommentatoren aus der Seekajaking-Szene waren der Meinung, dass sie das nicht überleben wird. Und für diese Prognose gab und gibt es ausreichend viele Gründe.
Die See rund um Australien ist wild, viele Küsten sind auf dem Landweg nur schwer erreichbar, sodass man von außen nicht immer Unterstützung erwarten kann. Aber davon ging Freya Hoffmeister sowieso nicht aus, denn sie beschloss im Kontrast zu ihrem Vorgänger diese Reise völlig alleine und ohne Unterstützung von außen durchzuziehen.
Die rauen Seebedingungen an der australischen Küste stellen nur eine Gefahr bei dieser Reise dar. Im Wasser leben Haie und riesige Wale, die zufällig oder spielerisch ein kleines Seekajak rammen und zum Kentern bringen können. Ein Kontakt mit extrem unangenehmen Quallen kann schnell zu einer Lebensbedrohung werden. Gekrönt wird das jedoch noch durch die australischen Salzwasserkrokodile, die gerade dort leben, wo einsame Paddler nachts ihr Zelt aufstellen: in der Nähe von Flussmündungen oder seichterem Wasser.
Und schließlich muss man sich auch die Umstände einer solchen Umrundung des australischen Kontinents genauer vorstellen. An einigen Stellen kommt man überhaupt nicht an Land. Man sitzt also nicht nur ein paar Stunden in einem wackligen Seekajak, sondern muss gelegentlich auch Nächte darin verbringen. Gewisse Verrichtungen kann man sich nicht stundenlang verkneifen. Salzwasser entzündet die Haut. Und das besonders an unangenehmen Stellen. Die Süßwasservorräte halten aus Platzgründen nicht lange.
Und schließlich wird auch dem seefestesten Paddler irgend schlecht, wenn nachts der Horizont verschwindet, die Kiste mächtig durch die Wellen bewegt wird und man die Brecher nur noch hören kann. Unter solchen Bedingungen überleben nur die Härtesten. Freya Hoffmeister bereitete sich mit deutscher Gründlichkeit auf diese Tour vor. Ratschläge anderer Paddler nahm sie eher selten an, denn dann wäre sie erst gar nicht losgefahren.
Mit normalen Maßstäben kann man diese ungewöhnliche Frau nicht messen. Denn dann würde sie vielleicht als "pathologische Narzisstin" gelten, wie sie von einer wenig begeisterten Dame genannt wurde, weil sie während der Fahrt einen Termin mit ihrem Ausrüster nicht einhielt. Man kann solche außergewöhnlichen Leistungen nur erbringen, wenn man mit sich im Reinen ist, kaum Angst kennt und im Inneren zu wissen glaubt, dass man es schaffen kann.
Menschen wie Freya Hoffmeister nehmen solche Herausforderungen wohl weniger für den Ruhm an, sondern mehr für sich selbst. Auch das ist von außen wohl eher schwer zu verstehen. In diesem Fall aber kann man sowieso höchstens in der Paddlerszene berühmt werden, obwohl Hoffmeisters Leistung enorm ist: Sie brauchte für ihre 13790 km lange Strecke 332 Tage, von denen sie 245 auf dem Wasser verbrachte. Das macht pro Paddeltag mehr als 56 km (im Buch stehen 55 km, was mein Taschenrechner aber nicht einsehen wollte). Und das teilweise bei heftigem Gegenwind, besonders auf den letzten Etappen im Süden Australiens. Freya Hoffmeister verbrachte 13 Nächte auf dem Wasser, viele davon bei ihrer Überquerung des Golfes von Carpentaria (fast 600 km), von der ihr alle abgeraten hatten.
Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Paul Caffyn, dessen Rekord sie um 28 Tage unterbot, hatte sie zwar kaum Unterstützung, aber ein extrem hilfreiches GPS und dessen Buch, aus dem sie wusste, was sie erwarten würde.
Das Buch zu dieser extremen Reise schrieb Joe Glickman, ein amerikanischer Reiseschriftsteller, der mit der Paddlerszene bestens vertraut ist und den Freya Hoffmeister darum mehrfach gebeten hatte. Der Text liest sich außerordentlich gut, denn dem Autor gelingt es durch leichte, aber sehr respektvolle Ironie einen Abstand zu Freya Hoffmeister und ihrer Sicht der Dinge zu schaffen.
Vasdaproblum ist übrigens das, was Glickman verstand als Freya Hoffmeister ihre rhetorische Lieblingsfrage stellte: What's the problem? Ach ja, wenn man Freya Hoffmeister nicht gerade in Husum trifft, wo sie zwei Eisdielen betreibt, sitzt sie vielleicht gerade in ihrem Kajak und umrundet Südamerika. Von Buenos Aires bis Valparaiso hatte sie es bei Drucklegung dieses Buches schon geschafft. Kap Horn in dieser Richtung zu umschiffen, ist aufgrund der Wind- und Strömungsrichtung der blanke Irrsinn. Vasdaproblum?
Vasdaproblum?