Rezension zu "Der Klang des freien Falls" von Joe Simpson
Nach einem Tag mühevollen Kletterns im eisigen Hochgebirge liegt Patrick im Ermüdungsschlaf, zusammen mit seiner Frau, eingepackt und gesichert im Zweier-Biwak-Sack. Doch mitten in der Nacht steht seine Frau auf, sichert sich nicht ab, rutscht auf ihren Innenschuhen aus, fällt auf ihren Mann und schlittert an den Rand des Abgrunds. Patrick kann sie schlaftrunkend gerade noch fassen, aber dann entgleitet sie ihm und fällt in die Tiefe.
So beginnt dieser Roman, in dem der Autor auch erneut seine eigenen traumatischen Erlebnisse verarbeitet. Simpson ist Bergsteiger. Und wenn man dies nicht schon vorher erfahren hätte, würde man es seinen Schilderungen anmerken. Denn die Dichtheit und Genauigkeit, mit der er Patricks anschließenden Kampf ums eigene Überleben beim folgenden dramatischen Abstieg und der Suche nach seiner Frau beschreibt, kann nur jemand erbringen, der solche Situationen schon erlebt hat.
Patrick bringt es nicht fertig, den Ort des Unheils und seiner vermeindlichen Schuld zu verlassen. Auch nach 25 Jahren lebt er noch zurückgezogen in der Hütte, in der einst der folgenschwere Aufstieg begann. Doch das Leben nimmt nicht nur, es gibt auch. Manchmal jedoch erst nach langer Leidenszeit. Der Kreis schließt sich erst in einer stürmischen Nacht, die der gleicht, in der sich sein Leben einst so einschneidend veränderte.
Vielleicht können Leser, die mit dem Bergsteigen etwas fremdeln, nicht jede Beschreibung nachvollziehen. Doch das wird durch die Intensität und Spannung, wieder wettgemacht, mit der Simpson Patricks emotionale und körperliche Grenzerfahrungen schildert.
Stilistisch gibt es in der Mitte des zweiten Teils, der den erneuten Wendepunkt in Patricks Leben erzählt, einen kleinen Bruch. Die Darstellung von Patricks Vergangenheit bis zu jenem schicksalhaften Januartag vor 25 Jahren will nicht so recht in die Erzählweise passen, die der Autor bis dahin gewählt hatte. Doch das ist eher eine Randbemerkung. An der Wirkung dieses unterhaltsamen und eindrucksvollen Buchs ändert sie nichts.