Rezension zu "Die Jahre ohne uns" von Barney Norris
Klingt die Ankündigung nicht viel versprechend? "Durch Zufall treffen sie sich, in einer Hotelbar in einer kleinen englischen Stadt: ein Mann und eine Frau in ihren Sechzigern, zwei Fremde, die einander ihre Geschichten erzählen."
Wieder einmal bin ich auf so etwas hereingefallen. Leider weiß ich wirklich nicht, was sich Barney Norris bei diesem Roman gedacht hat. Warum, so habe ich mich gefragt, macht er aus dieser Situation eine solch verworrene und komplizierte Geschichte, statt sie einfach und geradlinig zu erzählen?
Die Frau wollte "einmal ein Meisterwerk in die Welt hineinweben", "eine Enzyklopädie aller Worte, in die ich mich jemals verliebt habe". Das hat offenbar nicht geklappt, und deshalb macht das jetzt der Autor für sie. Was für eine selbstverliebte Idee - manchmal wird das seitenlang vorexerziert und stört den sowieso schon zähen Lesefluss. Nach 70 Seiten hat man es überstanden und ist nicht viel schlauer als zu Beginn. Dann beginnt der zweite Teil mit der Geschichte des Mannes. Noch komplizierter, länger und seltsam surreal. Im dritten Teil erwartet den Leser dann die Auflösung des Rätsels. Beide kommen zufällig zusammen und kennen sich in Wirklichkeit. Man ahnte es schon.
Ja, manchmal ist das Leben kompliziert. Und manchmal passen zwei Menschen einfach nicht zusammen. Dann geht eine Beziehung in die Brüche, und wenn es dumm kommt, findet man keine neue Liebe. Und ja, selbst wenn man sich tief liebt, kann man sich gegenseitig verletzen. Das muss eine Liebe aushalten. Und wenn sie tief genug ist, kann sie das auch.
Wer nun erwartet, in diesem Buch eine Geschichte zu lesen, die mitreißt, berührt oder wenigstens irgendwelche neuen Erkenntnisse oder wenigstens ein paar Denkanstöße zutage fördert, wird enttäuscht werden. Auch wenn hinten steht, dass "diese traumgleiche, gewundene Geschichte eine wahre Freude ist". Ich habe das ganz anders empfunden, nämlich als langatmiges Herumreden um den heißen Brei ohne wirklichen Erkenntnisgewinn.
Warum erkennt man das Glück oft erst im Nachhinein? Das wird auch hinten auf dem Umschlag dieses Buches gefragt. Wer so fragt, weiß nicht, was Glück ist, sondern verwechselt es mit einen Zustand, in dem er sich besser gefühlt hat als zum Zeitpunkt dieser Frage.
Als ich das Buch erstmals in den Händen hielt, habe ich sofort nach dem Alter des Autors geschaut. Und siehe da – er ist nur halb so alt wie seine beiden Protagonisten. Woher will er also wissen, wie es sich anfühlt, wenn man in den Sechzigern auf sein bisheriges Leben zurückschaut, mit der Gewissheit, dass langsam die Zeit knapp wird. Tatsächlich hat Norris keine Ahnung davon. Und so liest sich auch sein Buch. Mir war es keine Freude, sondern eher ein "gewundene" Qual in leicht depressiver Stimmung.
Für mich war dieses Buch wieder einmal ein Beispiel dafür, dass ein Autor eigentlich keine Ahnung von der Lage und dem inneren Zustand seiner Figuren hat, aber dennoch ein Buch darüber verfasst und seine Ahnungslosigkeit dabei hinter einer "traumgleich gewundenen Geschichte" versteckt. Das ist sicher auch eine Kunst, aber eben nicht die, die man erwartet.