Cover des Buches Winterfeldtstraße, 2. Stock (ISBN: 9783547712001)
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Rezension zu Winterfeldtstraße, 2. Stock von Johanna Friedrich

Es muss weitergehen

von TochterAlice vor 9 Jahren

Rezension

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TochterAlicevor 9 Jahren
1923 in Berlin: der Mann von Charlotte Berglas wird tot aus dem Landwehrkanal gezogen. Sie ist schwanger - beide haben sich riesig aufs erste Kind gefreut, an einen Freitod ihres geliebten Albert mag sie nicht glauben. Eine fürchterliche Situation, in die sie da geraten ist: in tiefer Trauer, ohne Geld und ohne viel Hilfe, denn ihr einziger Bruder Gustav ist ein nichtsnutziger Kleinkrimineller. Doch ausgerechnet der bringt sie auf eine Idee, denn Charlotte hat sehr wohl etwas, das viele zu der Zeit begehren, nämlich Wohnraum. Albert hat ihr eine riesige Wohnung hinterlassen, die sie verkaufen will, doch Gustav schlägt ihr vor, sie teilweise - per Zimmer nämlich - zu vermieten und schleppt auch schon den ersten Kandidaten an: seinen Kumpel, den jeder nur den "Langen" nennt. Rasch wächst das kleine Trüppchen an und wird durch die schon etwas ältere Bardame Claire und den geheimnisvollen Theo aus verarmtem Adel komplettiert.

Charlotte, in tiefer Trauer, findet nach der Geburt der kleinen Alice erst nach und nach zurück ins Leben - natürlich mit Unterstützung der neuen Mitwohner, die sich auf sehr unterschiedliche Weise einbringen.

Eine wichtige Rolle im Buch spielt der historische Hintergrund - die 1920er Jahre werden überaus plastisch beschrieben - farbige Eindrücke von politischen Strömungen, dem regen und freizügigen Nachtleben der "goldenen Zwanziger", doch auch der materiellen Knappheit und wirtschaftlichen Not tun sich vor den Augen der Leserschaft auf - ich zumindest hatte den Eindruck, als würde vor meinen Augen ein Film ablaufen, so gut hat die Autorin auf der einen Seite recherchiert und auf der anderen ihre Eindrücke aufs Plastischste und Eindringlichste wiedergegeben.

Ein pralles, ein spannendes Buch? Prall ist es, doch geht die überaus sorgfältige Darstellung des Umfeldes gelegentlich auf Kosten der inhaltlichen Entwicklung. Auch wenn das Ende rund und stimmig ist, blieben bei mir doch einige Punkte offen in Bezug auf Nebenstränge, auf gewisse Reaktionen bestimmte Handlungen betreffend. Das eigentliche Ende die Hauptfigur, also Charlotte, betreffend, ist auch durchaus rund und vollständig, doch trotzdem fehlt etwas: die Intensität, die so oft spürbar ist, endet manchmal abrupt im Nichts - an manchen Stellen geht es einfach nicht weiter und alle (weiteren) Fragen bleiben offen.

Trotzdem insgesamt ein schöner und stimmungsvoller Roman, der sowohl die dunklen Seiten als auch die Lichtblicke aufzeigt und das Leben in den 1920ern ein wenig näher rücken lässt.
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