Allgemein:
Ein Bücherwurm wie er im Bilderbuch steht, das ist die 13-jährige Tinka. Sie liebt es, ihre Nase in die Geschichte von Odysseus zu stecken und findet genau in diesem Buch einen Brief, der einen merkwürdigen Hilferuf beinhaltet. Deutet Tinka das Geschriebene richtig? Die Welt der Bücher und Buchstaben ist in Gefahr? Zusammen mit ihrer besten Freundin Isabell und dem Antiquar Antonius beginnt sie eine Reise in eine Welt abseits des Vorstellbaren. Auf nach Grammaton, das Land, indem die Buchstaben LEBENDIG sind. Der Fantasyroman aus der Feder von Johanna Trommer mit Unterstützung von Meryem Natalie Akdenizli erschien 2011 bei Baumhaus. Mit knapp 600 Seiten ist es der 1. Band der „Grammaton-Saga“ und für Kinder ab 11 Jahren geeignet ist.
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Das dicke Buch lag bestimmt knapp 3 Jahre auf meinem SUB und war schon beim Kauf kein aktueller Bestseller mehr, aber trotzdem sprach mich der Klappentext und das verrückte Cover bei einem großen Buchverkauf an und jetzt hatte ich endlich Lust das Buch in die Hand zu nehmen, weil ich wissen wollte, wie die Welt aus lebendigen Buchstaben aussieht.
Im nachhinein muss ich mir immer wieder vor Augen halten, dass es ein Kinderbuch ist, ein sehr dickes Kinderbuch. Also muss es kurzweilig, spannend, nicht zu komplex, dafür aber wieder logisch erscheinen. Schwierige Kiste und ich finde, die Geschichte packt das leider nicht. Nur warum?
Der Einstieg in die Geschichte klingt vielversprechend. Es gibt kein großes Vorgeplänkel, denn die Protagonistin findet auf den ersten Seiten den Brief, schnappt sich ihre Leute und zack wird versucht nach „Grammaton“ zu gelangen. Dort beginnen allerdings schon die logischen Fehler bzw. die massenhaft Freiheiten, die sich die Autorin genommen hat. Jeder Erwachsene würde das hinterfragen. Zum Beispiel hieß es erst, man kann nur allein und nicht über 18 Jahren nach Grammaton reisen. Aber dann kommt es zu der Ausnahme: Man reist zu dritt und ein Erwachsener ist dabei. Sowas aber auch. Ein weiteres Beispiel betrifft die Aufenthaltsdauer in Grammaton und wie man das den Eltern beibringt. Tja, das braucht man nicht, denn in Grammaton vergeht die Zeit ganz anders. Bei uns vergehen 30 Minuten, in Grammaton 5 Monate und so weiter.
Natürlich kann man sich als Autor beim Erschaffen einer Welt sämtliche Freiheiten nehmen, aber hier ist alles zu einfach und jedes Problem wird bis zur Mitte des Buches wie ein Fingerschnippen gelöst. Man kann sich also vorstellen, dass ich die Reise durch das Land Grammaton recht langweilig und simpel fand.
Noch dazu wird sich viel zu lange an Kleinigkeiten aufgehalten. Keiner braucht die Erklärung einer Reiseroute über 10 Seiten, wenn auf der letzten Seite des Buches eine hübsche kleine Karte hinterlegt ist.
Auch die Charaktere überzeugten mich kaum. Zu wenig Emotionen, zu oberflächlich. Selbst das Einbauen tragischer Geschehnisse aus der Vergangenheit brachte nichts, weil es nicht im Geringsten plotrelevant war oder die Charaktere beeinflusste.
Dafür, dass NUR Tinka unsere Welt und Grammaton vor der Auslöschung sämtlicher Buchstaben retten kann, war sie für mich austauschbar. Nein, sogar unscheinbar, weil sie neben den anderen Charakteren tatsächlich unterging. Zwar zugunsten inniger Freundschaften, die sie schloss oder in denen sie Trost fand (wenigstens ein emotionales Trostpflaster für mich), aber so verstehe ich natürlich nicht, warum nur sie alle retten kann? Soll sie dafür stehen, dass jedes Kind lesen sollte und sich mit ihr identifizieren kann oder wie? Natürlich ist es wichtig, eine klare Botschaft zu senden, nur die geht mit Tinka unter. Ich habe keine Entwicklung gesehen. Ich finde, ihre Freundin Isabell mit dem organisierten und strategischen Tick hatte mehr das Zeug dazu.
Allerdings gefiel mir der ausgeschmückte Schreibstil in Bezug auf das Setting und die Dialoge doch sehr. Manchmal märchenhaft verspielt und übertrieben, dann wieder wohlklingend oder ernst auf den Boden der Tatsachen geblieben. So wurde Grammaton vor meinen Augen lebendig! Ein so kreatives und witziges Worldbuilding habe ich noch nie gesehen bzw. gelesen. Man kann sich die Letterlinge als ca. 2 Meter große Buchstabenkörper vorstellen, an denen Kopf, Arme und Beine zusätzlich vorhanden sind. Jeder Letterling ist andersfarbig, besitzt Verzierungen, Kleidung und natürlich passend zum Buchstaben auch einen Namen. Die Idee ist absolut goldig! Grammaton hat etwas von „Alice im Wunderland“ und Michael Endes Phantasien aus „Die unendliche Geschichte“. Ein Palast, der mich an den Elfenbeinturm erinnert, Papierhäuser und -straßen (ob es dort jemals regnet?), ein Meer aus farbenfrohen Pflanzen, Bäumen und Lebewesen, die mir bisher in keinem Fantasyroman untergekommen sind und zum ständigen Begleiter werden.
Ab der Mitte der Story gab es eine vorläufige Erlösung für mich, indem die Autorin auf mehrere Handlungsstränge und damit Perspektiven überging, so trat der Bösewicht endlich ins Bild, zwar immer noch nicht in den Mittelpunkt, aber immerhin. Durch den Wechselt der Handlungsstränge kam wieder Spannung auf, wie sich wohl diese oder jene Situation auflöst.
Das Ende gefiel mir wiederum gar nicht. Es ist typisch, dass versucht wird, alles aus dem Abschluss rauszuholen. Es verfehlte seine Wirkung bei mir komplett. Aufgesetzte und überladene Plot Twists zogen es unnötig in die Länge statt Spannung aufzubauen. Tja, und eine saubere Auflösung der ganzen „Rettet Grammation“- Mission gibt es für mich auch nicht. Ich bin enttäuscht. Mir ist nicht bekannt, ob der 2. Band je erschienen ist, aber ich würde ihn auch nicht lesen wollen.
Fazit:
Eine Welt voller lebendiger Buchstaben ist eine großartige Idee, allerdings ist der Plot langatmig und die Protagonisten zu einfach gestrickt. Für Leser, die bunte Welten lieben und sich mit einem simplen Abenteuer vergnügen können.