Rezension zu "Als wir verschwanden" von Johanna Wolfmann
Bisher kam es selten vor, dass mich ein Buch nicht nur gefesselt, sondern auch überwältigt hat. Wenn so ziemlich alle sitzt und passt und ich mich einfach in die Geschichte fallen lassen kann, dann ist es perfekt.
Der Beginn einer Handlung muss die Leser sanft aber bestimmt an der Hand führen und zeigen, womit er/sie es zu tun hat. Der Anfang des sprichwörtlichen roten Fadens, wenn man so will.
Das Erwachen im quasi Nichts, die Sondierung der Lage, Annas Gefühlschaos, erste Hinweise auf ein eher gewaltfreies Verschwinden der Crewmitglieder, Dinge, die sie noch nicht begreifen kann. All das wurde in gut verträgliche Stückchen eingeteilt, die nur darauf warten, von euch verschlungen zu werden. Mit wenigen Worten wird uns Annas Lage erklärt. Wo sich unsere offenbar einzige Überlebende befindet, was sie denkt und fühlt. Bis zum ersten Kontakt mit dem Festland ist, noch komplett unklar, wohin die Reise geht.
Die ersten Schritte in der leeren Welt, wurde von der Autorin mit viel Liebe zum Detail beschrieben. Glücklicherweise bleibt uns dieser Stil bis zum Ende erhalten. Anna durchlebt eine große Bandbreite an Gefühlen. Dabei reißt sie nicht nur von Ort zu Ort auf der Suche nach Essen und Ressourcen, sondern auch gedanklich in ihre Vergangenheit, wo fast alles in Ordnung war. Mit der Zeit erfahren immer mehr über Anna. Ihre Zeit zuvor wird immer wieder angeschnitten. Auch die sexuellen Vorlieben spielen eine nicht zu verachtende Rolle. Ich war mich zu Beginn nicht sicher, was ich davon halten soll. Ja, es ist mal etwas anderes, aber für manche dürften diese zu viel des Guten sein. Letzten Endes konnte ich mich halbwegs damit anfreunden.
Als sich ihr Weg mit anderen Überlebenden kreuzt, kommt frischer Wind in die Handlung. Endlich hat sie jemanden, mit dem sie sich austauschen kann. Offenbar haben alle ähnliche Beobachtungen gemacht. Es wird lebhaft in mehreren Sprachen diskutiert, zusammengeholfen, nur um zu überleben. Irgendetwas scheint mit ihrem Heimatplaneten passiert zu sein, oder es ist gerade etwas im Gange, was sie weder begreifen noch erklären können. Wie geht es weiter, wenn sie an ihrem endgültigen Ort angekommen sind? Werden sie es überhaupt bis dahin schaffen, oder zuvor zu Sternstaub zerfallen?
Auch wenn die Thematik eine eher düstere Stimmung vermuten lässt, gibt es relativ oft schöne und emotionale Momente. Diese werden genutzt, um an alte Zeiten zu denken, Erlerntes zu nutzen, um neue Dinge zu erschaffen. Sich das nun stark vereinfachte Leben angenehmer zu machen. Bis dahin ist noch alles in Ordnung. Bis zu jenem Tag als auch die Überlebenden feststellen müssen, dass es für sie kein Entrinnen gibt. Doch was passiert, wenn sich ihre Körper auflösen? Gibt es ein Leben danach?
Ich liebe solche Gedankenspiele. Hätte nicht gedacht, dass ich mal so ein Buch finde, welches sich damit befasst und mit all den Variablen spielt, die sich während des Denkprozesses gebildet haben. Natürlich, es gibt da draußen einige Bücher, die mit dem „letzter Überlebender“ Gedanken spielen und eine Geschichte drumherum bauen. Johanna Wolfmann hat diesen nicht nur auf die Spitze getrieben, sondern auch unfassbar gut umgesetzt. Ihr bekommt hier eine unglaubliche Geschichte serviert. Ohne Leerläufe, seltsame Logiklöcher oder unglaubwürdige Erklärungen.
Es ist ein sehr tiefsinniger, ruhiger und detailverliebter Science-Fiction-Roman. Garniert mit etwas Dystopie. In jedem Absatz konnte ich, vor allem wegen des ausgezeichneten Schreibstils, jede Stimmung spüren. Jede neue Entdeckung der Gruppe passte perfekt in das bis zu dem Zeitpunkt erschaffene Gesamtbild hinein.
Die Unterteilung der einzelnen Schritte/Szenarien ist der Autorin super gelungen. Dadurch hatte alles seine Ordnung und ich verlor nie den Faden. Selbst wenn ich diesen verloren hätte, bei so vielen Details könnte das durchaus passieren, wird man relativ schnell wieder in die richtige Richtung gelotst. Fast so als würde das Universum höchst persönlich deine Hand halten und dir deine neue Zukunft zeigen. Die, kleiner Spoiler, von außen ein Paradies verspricht, aber von innen betrachtet alles andere als friedlich ist.
Wer bis hierhin durchgehalten hat. Danke fürs Lesen. 🙂
Wenn ihr auch nur ein wenig mit dem Thema anfangen könnt, schaut euch das Buch gerne genauer an und schreibt mir, wie es euch gefallen hat.
Bin gespannt mit welcher Geschichte Johanna Wolfmann uns als Nächstes überraschen wird.