Der Gedanke des Buches - eine Annäherung an zwei Menschen durch ihre Briefe, zwei Schicksale vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und der Hölle von Stalingrad - hat mir ausnehmend gut gefallen. Jeder, der sich eingehender mit den eigenen Vorfahren beschäftigt hat, kennt sicher das Gefühl, wenn man sich anhand weniger vorliegender Informationen versucht, ein Bild über diese zu machen.
Leider hat mir die Umsetzung in diesem Buch nicht zugesagt. Das liegt weniger an der Geschichte an sich, denn immer, wenn der Autor sich seiner Großmutter und ihrem ersten Mann widmet, von ihnen und ihren Lebensumständen berichtet, ist es interessant, gewährt einen anschaulichen, persönlichen Blick. Leider aber werden Anny und Hermann in ihrer eigenen Geschichte zu Randfiguren. Das mag daran liegen, daß dem Autor nicht viel Material vorliegt - er berichtet häufig von offenen Fragen und Unklarheiten, stellt Vermutungen an, stellt sich selbst viele Fragen (die eher seitenfüllend als für den Leser relevant sind). Allerdings hätte das vorhandene Material durchaus für ein interessantes Buch gereicht. Leider aber besteht mehr als die Hälfte der 400 Seiten aus einer minutiösen Darstellung der Kriegsereignisse, an denen Hermann beteiligt war - und häufig auch aus Ereignissen, an denen er nicht beteiligt war. Das ist ausgezeichnet recherchiert (was auch eine lange Literaturliste am Ende beweist) und dafür hat der Autor meinen ganzen Respekt, denn so detailliert habe ich die Ereignisse bisher nicht in einem Buch gefunden. Allerdings habe ich dieses Buch nicht gekauft, um den Kriegsverlauf zu recherchieren, sondern um etwas über die Geschichte von Anny und Hermann zu erfahren. Natürlich ist der historische Kontext relevant, natürlich gehören Fakten dazu, wenn man etwas über Hermanns Leben an der Front erfahren, es verstehen möchte. Aber hier überlagern die viel zu detaillierten Hintergrundinformationen die eigentliche Geschichte, man liest über weitere Strecken hier eher ein Geschichtsbuch und das ist am Thema absolut vorbei. Auch sind die Informationen in dieser Ausführlichkeit für Recherchen interessant, aber als Lektüre viel zu ausgewalzt. Über Anny und Hermann erfahren wir viel zu wenig, während die Kriegsberichte in Details ertrinken.
Der Schreibstil liest sich eigentlich angenehm, aber die experimentell-poetischen Abschnitte paßten für mich weder zum Geschehen noch lasen sie sich gut. Wenn der Autor Lied- oder Gedichttexte zitiert und nach jeder Zeile seine Gedanken einschiebt, wenn er Ausschnitte aus anderen Kriegsbriefen auseinandergerissen aneinanderreiht, wenn er sich in blumigen Beschreibungen der Landschaft ergeht, dann fand ich das anstrengend und etwas zu gewollt.
Mehrere Bilder aus dem Besitz der Großmutter illustrieren ihre Geschichte. Auch hier: eine gute Idee, aber die Bilder sind durchweg so klein, daß man kaum etwas erkennen kann. Meistens sieht man eine unscharfe Gestalt vor einem Hintergrund, ein Bild ist eine Steppenlandschaft (nehme ich an), die letztlich nur aus diversen Grauschattierungen besteht und mangels Erkennbarkeit nichts aussagt. Die Bilder sind symptomatisch für das Buch: vom Gedanken her ausgezeichnet, aber letztlich zu vage und nicht gut umgesetzt.
So verging mir das Lesevergnügen leider zunehmend - nur das Ende ist wieder berührend und persönlich. Es zeigt, wie das Buch gewonnen hätte, wenn es sich auf seine eigentliche Geschichte konzentriert und nicht zum ausführlichen Frontbericht geworden wäre.
Johannes Böhme
Lebenslauf
Auf der Suche nach der besten Story: Johannes Böhme, geboren 1987 in Hamburg, ist ein deutscher Schriftsteller und Journalist. Er studierte Politik und Philosophie am Liberal Arts College in Maastricht. Anschließend machte er seinen Master in Politischer Theorie und Ideengeschichte in Cambridge. Nach seinem Abschluss fing er an als freier Journalist für renommierte Zeitschriften wie die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und Geo zu arbeiten. 2019 gab er dann sein Debüt als Autor mit seinem Roman „Das Unglück schreitet schnell“.
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Das Unglück schreitet schnell
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Aus dem Klappentext: Johannes Böhme hat die Merkwürdigkeit seiner Großmutter nie durchschaut, ihre Marotten fand er anstrengend, ihre Ängste irrational. Lange nach ihrem Tod liest er die Liebesbriefe, die ein gewisser Hermann Bartens aus dem Krieg geschrieben hat. Der letzte Brief stammt aus Stalingrad im Januar 1943. Mit den Briefen begibt er sich auf eine Reise in die Vergangenheit. Auch wenn es sich um die Familiengeschichte des Autors handelt, kann ich das Buch leider nicht sehr positiv sehen. Mich konnte es leider überhaupt nicht erreichen. Vielleicht habe ich einfach etwas anderes erwartet und war deshalb enttäuscht. Anhand des Klappentexts, dachte ich, der Autor würde sich ausschließlich auf Spurensuche begeben und von dieser Suche berichten. Allerdings fand diese erst gegen Ende statt. Der übrige Inhalt des Buches war eher Fiktion, bzw. ein Bericht des Krieges, den man so schon aus diversen Büchern, oder z.B. von den Sendungen von Guido Knopp kennt. Ich hatte mir eigentlich mehr Individualität erhofft. Nichts kann der Autor eigentlich wirklich so belegen. Es sind oft reine Spekulationen, dass der erste Mann seiner Omas den Krieg so erlebt hat. Die im Buch veröffentlichen Briefe, sind nicht sehr aussagekräftig. Eigentlich stehen in ihnen nur belanglose Dinge, zumindest dass, was der Leser zu lesen bekommt. Auf die Großmutter selbst, möchte ich auf Rücksicht zur Familie nicht näher eingehen. Nur soviel, die Sache mir der Katze hat mich mehr als abgestoßen. Leider nur 2 Sterne von mir.
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