Rezension zu "Der Clown in der sozialen und pädagogischen Arbeit: Methoden und Techniken wirksam einsetzen" von Johannes Schilling
0_Lavender_0Der Clown in der pädagogischen Arbeit
Schilling, Johannes u. Muderer, Corinna; Ernst Reinhardt Verlag (München) 2010. 155 Seiten. ISBN 978-3-497-02129-1
Prof. Dr. Johannes Schilling, Professor für Didaktik/Methodik der Sozialpädagogik und Freizeitpädagogik an der Fachhochschule Düsseldorf und seine Tochter Corinna Muderer, Sozialpädagogin und Clown, haben im vorliegenden Buch den Versuch gestartet, eine wissenschaftliche Grundlage für Clown-Pädagogik zu erarbeiten.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. In den Grundlagen werden die drei Hauptkapitel – Menschenbild, Spiel und Spielen, Lachen und Humor behandelt, der Bereich Praxis umfasst die Ausbildung zum Clown, Spieltechniken des Clowns und den Clown in der Praxis.
Die Einleitung richtet sich an das Publikum, dem verschiedene Situationen bzw. Arbeitsfelder des Clowns vorgestellt werden. Anhand der Clownfigur Poi werden die Wirkungsbereiche des Clowns vorgestellt. Außerdem wird die Absicht aufgezeigt, Clown-Pädagogik zu erarbeiten.
Das Buch versteht sich auf eine bestimmte Weise auch als Arbeitsbuch, da der Leser fünf Besonderheiten zur Verfügung gestellt bekommt – Aufgaben, Zusammenfassungen, Kommentare des Clowns Poi, wissenschaftliche und andere Zitate sowie Literaturempfehlungen, die am Ende jedes Kapitels zu finden sind.
Anhand der inhaltlichen Gliederung ist bereits der Anspruch der Wissenschaftlichkeit zu erkennen.
In den Grundlagen werden die sechs Dimensionen des Menschenbildes definiert, die diesem Buch zu Grunde liegen, gestützt auf Kant, Pestalozzi,…
6 Dimensionen des menschlichen Körpers (S.17f) – Begründung mit historischem Hintergrund (Kant, Pestalozzi,… S. 19)
Emotionsforscher Izard – 10 Basisemotionen von Ekel/Abscheu – Interesse/Erregung – Freude/ Vergnügen – Ärger/Wut/Zorn/Hass – Trauer/Mitleid/Kummer/Schmerz – Angst/Furcht/Entsetzen/Panik – Überraschung/Schreck – Scham/Peinlichkeit/Schüchternheit/Erniedrigung – Schuld/Reue – Verachtung/Geringschätzung
Ergänzungen dazu von Ulich (Eifersucht, Hoffnung, Stolz, Liebe-Zuneigung-Sympathie, Erleichterung, Glück, Gleichgültigkeit, Verzweiflung-Niedergeschlagenheit-Bedrücktheit)
Nach einer genauen Abgrenzung von Emotion und Kognition wird die Gefühlserziehung in vier Schritten beschrieben – vom Lernen Gefühle zu empfinden, über das Lernen Gefühle bewusst zu machen, zum Lernen Gefühle zu benennen und zu differenzieren bis zum Lernen mit Gefühlen umzugehen (S. 23 -26) Daran angeschlossen ist ein Praxisbeispiel mit dem Ansatz der Clownpädagogik im Vergleich zur Pädagogik – der Möglichkeit des Einsatzes und der Unterschied im Weg ein bestimmtes (wütendes) Verhalten zu verändern – der Clown kann Hilfe bei Lösung eines Problems geben, der Pädagoge muss eine Situation beenden
Das Spiel ist
· Eine befreiende Betätigung, zu der der Spieler nicht gezwungen werden kann, ohne dass das Spiel alsbald seinen Charakter der anziehenden und fröhlichen Unterhaltung verlustig ginge;
· eine abgetrennte Betätigung, die sich innerhalb genauer und im voraus festgelegter Grenzen von Raum und Zeit vollzieht;
· eine ungewisse Betätigung, deren Ablauf und deren Ergebnis nicht von vornherein feststeht, da bei allem Zwang, zu einem Ergebnis zu kommen, der Initiative des Spielers notwendigerweise eine gewisse Bewegungsfreiheit zugebilligt werden muss;
· eine unproduktive Betätigung, die weder Güter noch Reichtum noch sonst ein neues Element erschafft und die, abgesehen von einer Verschiebung des Eigentums innerhalb des Spielkrieses, bei einer Situation endet, die identisch ist mit der zu Beginn des Spiels;
· eine geregelte Betätigung, die Konventionen unterworfen ist, welche die üblichen Gesetze aufheben und für den Augenblick eine neue, allgemeingültige Gesetzgebung einführen;
· eine fiktive Betätigung, die von einem spezifischen Bewusstsein einer zweiten Wirklichkeit oder einer in bezug auf das gewöhnliche Leben freien Unwirklichkeit begleitet wird“ (Scheuerl 1975,16 – zit. S. 32)
Des Weiteren werden Vergleiche zwischen der Notwendigkeit des Spielens als wichtiges Element der Gefühlserziehung und der noch immer hauptsächlich vertretenen „Kopfpädagogik“, die das Spielen als Ablenkung vom Denken sieht, gezogen.
Spiel als „existenzielles Grundphänomen“ (S.34) sichert den inneren Frieden des Menschen, weil es - kulturanthropologisch betrachtet- sowohl religiöse Zwischenwelt als auch persönliche Innenwelt jedes Einzelnen betrifft und den Menschen in seiner Ganzheit anspricht und fördert.
Dass das Spiel auch helfen und heilen kann, wird im nächsten Unterkapitel behandelt. Entspannung und Selbstvertrauen können nicht nur Kindern, sondern auch Senioren durch das Spielen wieder beigebracht werden, sodass z.B. Bewegung wieder als etwas Freudebringendes erlebt werden kann.
„Es ist nicht übertrieben zu sagen: Das Spiel hilft dem Menschen bei der Entwicklung seiner Fähigkeiten, seiner Fertigkeiten und seines Könnens, hilft bei der Entwicklung eines Selbstwertgefühls und steigert so die Lebensqualität.“ S. 37
„Wenn sich im Leben das Ja und Nein todernst gegenüberstehen, bietet der Clown das Spiel an, jene dritte Kraft, welche die Lösung schafft. (Galli)“ S. 37
Dass Spielen auch eine heilende Funktion haben kann, ist Thema des nächsten Kapitels, einschneidende Ereignisse können durch Spiele besser verarbeitet werden (ähnlich dem Wiederkäuen kleiner Portionen).
Ein Märchen über die Entstehung des Spiels „Mensch-ärgere-dich-nicht“, das im Wesentlichen erklärt, wie Offenheit, Ausdauer und Toleranz zu einer positiven Verhaltensänderung in einem Dorf geführt haben.
Anhand eines Beispiel zum Thema Kleiderschrank aufräumen in einem Heim für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche wird durch die Handlungsweise der Clownfigur Poi aufgezeigt, wie durch Einfühlungsvermögen und Spielaufforderungen gewünschte Ergebnisse erzielt werden können. Allerdings wird auch darauf hingewiesen, dass der Einsatz den Clowns zwar was bewirken kann, aber nicht zwingend bewirken muss.
Als dritter wichtiger Teil der Clown-Pädagogik beschäftigen sich die Autoren mit der Bedeutung von Lachen, wobei sie feststellen, dass in beinahe jedem Buch, das sich mit Humor beschäftigt, der Clown als Identifikationsfigur für Lachen präsentiert wird.
„Wer nicht weiß, was Lachen ist, und noch nie gelacht hat, der hat noch nicht gelebt. Lachen ist Leben! Ich lache, also bin ich (Paulos 1980)! Man muss lachen, bevor man glücklich ist, weil man sonst sterben könnte, ohne gelacht zu haben.“ S. 46
Lachen wird in diesem Buch als Faktor für Gesundheit (Albert Schweitzer: Jeder Kranke trägt seinen eigenen Arzt im Inneren), als Sprache des Körpers vorgestellt. Lachen kennzeichnet Optimisten, ist ein geeignetes Mittel zur Interaktion und Kommunikation.
Humor wird auf zwei Arten definiert:
Lachen ist die Sprache des Körpers:
Gefühl Körper Lachen
Humor ist die Sprache des Verstandes:
Gefühl Verstand Lachen (zit. S. 51)
Das Ziel von Humor ist die Sinnhaftigkeit von Inhalten in Frage zu stellen und damit den Menschen einen Spiegel vorzuhalten. Humorvolle Menschen zeigen Optimismus und Liebe, was ihnen das Leben erleichtert. (Humor ist, wenn man trotzdem lacht)
Am Ende dieses Kapitels findet man eine Liste mit Literaturempfehlungen.
Der zweite Teil des Buches widmet sich der Ausbildung zum Clown.
Es wird empfohlen, sich mit der Geschichte der Clowns auseinanderzusetzen, um die Funktion des Clowns bei den Naturvölkern, im Christentum, als Narr, im Zirkus, im Spital und als Pädagoge zu verstehen.
Im Lexikon wichtiger Begriffe der Clownarbeit erfolgt eine Klärung des wesentlichen Vokabulars.
In den Bausteinen der Clownausbildung werden die Themen Körper – Technik – Wesensfindung ausführlich behandelt. Bei den Spieltechniken werden Zwilling/Komplize/Status/Scheitern/Stille als Unteraspekte vorgestellt und erläutert. Bei der Wesensfindung stehen die Bereiche „Inneres Kind“, „Inneres Tier“, „Innerer Dorfdepp“ im Vordergrund. Erst danach werden Kleidung, Name, Schminke wichtig. Praxisbeispiele schließen dieses Kapitel ab.
Bei den Spieltechniken, denen ein eigenes großes Kapitel gewidmet ist, werden auch die pädagogischen Ziele verfolgt, die aufgrund der unterschiedlichen Spielarten des Clowns (als Händler, Mönch, Komplize,…) möglich sind.
Für die Funktion des Clowns als Pädagoge sind mehrere Prinzipien notwendig: Beziehung, Vertrauen, Empathie, Sensibilität, Wertschätzung, Verständnis, Versöhnung, Toleranz, Liebe und Reflexion. Dies wird abermals mit einem Praxisbeispiel belegt.
Im Kapitel „Der Clown in der Praxis“ wird sowohl das Szenario des erfolglosen Einsatzes behandelt, als auch in zahlreichen Alltagsbeispielen der Einsatz des Clowns erklärt, z.B. in den Bereichen Langeweile, Konfliktlösung, Stress, Verantwortung, Achtsamkeit, Probleme, Zeit, Angst, Lob,..
Das Schema ist immer gleich, damit wird Verständlichkeit erreicht. Anfangs wird die Situation geschildert (in einem grauen Kästchen), danach erfolgt die Fragestellung an den Leser/die Leserin. Nun kommt Pois Einsatz samt Interpretation. Darunter befindet sich eine übersichtliche Tabelle, in der Ziele, Methoden und Clowntechnik aufgelistet werden. Als Abschluss findet man eine Stellungnahme des Clowns Poi inklusive Foto, auch optisch klug durchdacht.
Literaturliste und Sachregister schließen dieses Buch ab, das für alle, die Clown werden wollen, meiner Meinung nach ein absolutes „Muss“ ist, doch auch für alle anderen (Drama- und Theater-)Pädagogen ist dieses Buch empfehlenswert.