Cover des Buches Sumerland 1 (ISBN: 9783833233555)
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Rezension zu Sumerland 1 von Johannes Ulbricht

Seltsam, aber faszinierend

von LaLecture vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Äußert seltsam und gewöhnungsbedürftig, aber auch extrem faszinierend

Rezension

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LaLecturevor 6 Jahren
Inhalt

Die Welt, in der wir zu leben meinen, ist in Wahrheit eine einzige Illusion. Tatsächlich leben wir in der einzigen bekannten Stadt der Welt namens Waylhaghiri, in der das größte Ziel ist, möglichst erfolgreich und beneidet zu sein. Im Kontrast zu Waylhaghiri steht das Sumerland, das aus reiner, weiter Natur besteht und dessen Bewohner sehr kindlich veranlagt sind.

Prinz Zazamael von Waylhaghiri macht sich auf ins Sumerland, um den geheimnisvollen Wein zu finden, mit dem seine „große Fusion“ gelingen soll. Gleichzeitig schleicht sich Prinzessin Serisada vom Sumerland in Zazamaels Stadt ein. Beide drohen von den Gefahren der ihnen unbekannten Umgebung überwältigt zu werden, auf sehr unterschiedliche Weise.

Währenddessen kämpft eine weitere Hauptfigur, eine namenlose Frau in unserer Welt, die sich der Illusion bewusst ist, mit der Trostlosigkeit ihres Lebens und dem Drang sich zu beweisen.
Ausserdem lernt sie ein Mädchen kennen, dass erstaunlicherweise mehr über das Sumerland zu wissen scheint als so mancher Erwachsene.



Meinung


Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, schon lange kein so seltsames und gleichzeitig so faszinierendes Buch mehr gelesen zu haben wie „Sumerland: Prinzessin Serisada“.

Das Buch und der zweite Band, die inhaltlich nahtlos aneinander anknüpfen und zusammengehören, wurden mir als Rezensionsexemplar angeboten und die Idee reizte mich sehr. Unsere Welt ist eine Illusion, was sehr an den Sci-Fi-Klassiker-Film „Matrix“ erinnert, während die Idee des Sumerlandes eher nach klassischem Fantasy klingt. Und tatsächlich ist „Sumerland“ eine Art Mischung aus „Matrix“, „Alice im Wunderland“ und Wirtschaftspsychologie. Klingt abgedreht? Ist es auch! Aber auch sehr originell und faszinierend.


Der erste Band von „Sumerland“ besteht aus vier Handlungssträngen, die unterschiedlich viel Raum im Roman einnehmen.

Einer davon ist der von Prinz Zazamael, der am ehesten einem klassischen Fantasy-Abenteuer ähnelt. Der Prinz ist mit seinen Soldaten unterwegs durchs Sumerland, um etwas zu finden, was er den Wilden Wein nennt. Doch den Bewohnern des Sumerlandes passt das überhaupt nicht und nach und nach werden die Soldaten niedergemetzelt, wodurch dem Prinzen die Zeit davonläuft.
Aufgrund des Settings hat dieser Handlungsstrang etwas von einem Fantasyroman, aufgrund der Handlung eher von einem Thriller, weshalb er auch der spannendste ist. Man kann miträtseln und mitfiebern, auch wenn man nicht so richtig weiß, ob man überhaupt auf Zazamaels Seite stehen sollte.
Was die Bewohner des Sumerlandes betrifft, so erfährt man in diesem Band leider noch nicht sehr viel. Sie scheinen trotz ihrer bemerkenswerten Fähigkeiten im Kampf eher kindisch veranlagt zu sein, selbst wenn sie schon erwachsen sind, was sich auch an Prinzessin Serisada zeigt, die bereits etliche Jahre alt sein muss, sich aber immer noch oft wie ein Kind verhält. Da man vergleichsweise viel über die waylhaghirische Gesellschaft erfährt, würde ich mir wünschen, im zweiten Band mehr in die sumerländische eintauchen zu können.


Prinzessin Serisadas Erlebnisse bei der Infiltration von Waylhaghiri bilden einen weiteren Handlungsstrang, der zwar weniger brutal ist, deshalb aber nicht weniger interessant. Das Konzept von Waylhaghiri ist komplex und ich kann nicht behaupten, es schon komplett verstanden zu haben. Einiges kommt einem sehr absurd vor, ein bisschen wie bei „Alice im Wunderland“: Eine abgedrehte, farbenfrohe Welt voller und fremder Dynamiken, die auf unheimliche Weise dennoch mit unserer Welt verbunden sind und uns bekannte Phänomene erklären - denn in gewisser Weise ist Waylhaghiri in diesem Roman die Basis unserer Welt.
Spannend fand ich vor allem die Idee der verschiedenen Stadtschichten, durch die man sich hocharbeiten muss, und die scheinbar ein wenig unsere historischen Epochen darstellen.
Doch auch in Bezug auf Waylhaghiri bleiben noch so einige Fragen offen, beispielsweise die, was die „große Fusion“, die Prinz Zazamael anstrebt, eigentlich ist.

Serisada konnte ich als Figur nicht so wirklich greifen. Im Sumerland verhält sie sich, wie auch ihre Untertanen, trotz ihres Alters noch sehr kindisch. Sie ist sprunghaft, ihre Stimmungen und Meinungen wechseln schnell, was etwas nervig ist. In Waylhaghiri dann scheint sie schnell mutig, selbstbewusst und intelligent zu sein und überhaupt nicht mehr kindlich, wird jedoch auch schnell von dem System dort eingenommen. Mir fehlte es bei ihr ein wenig an einer eigenständigen Persönlichkeit; sie schien sich völlig abhängig von der Umgebung zu verhalten.

Man wird beim Lesen den Eindruck nicht los, dass der Autor sich viel mit Wirtschaftpsychologie, Marketing, Konsumverhalten und gesellschaftlichen Phänomenen befasst hat und diese in den Roman einbaut.
So gibt es in Waylhaghiri beispielsweise Tugenden, die sich stark von unseren „klassischen“ Tugenden unterscheiden, uns aber nicht unbekannt sind: Genussfreude, gesunder Appetit, sportlicher Ehrgeiz, Coolness, gesunder Geschäftssinn - Eigenschaften, die entweder in einer Wettbewerbsgesellschaft, in der sich die Menschen zudem gerne öffentlich präsentieren, von Vorteil sind und geschätzt werden, oder die der Wirtschaft beim Verkauf von Produkten eine Hilfe sind.
Waylhaghiri ist eine sehr transparente Gesellschaft, in der die Menschen öffentlich einsehbare Statistiken darüber haben, wie erfolgreich sie in dem sind, was sie tun. Das allgemein bekannte Ziel ist es, erfolgreicher und besser zu sein als andere - Fast kam es mir wie eine überspitzte Version unserer Gesellschaft vor, in der Menschen sich immer mehr über soziale Netzwerke in der Öffentlichkeit präsentieren und mit anderen vergleichen und verglichen werden können. Und das Faszinerende an Waylhaghiri ist: Genau solche Phänomene könnte man mithilfe von Johannes Ulbrichts Idee erklären, denn unsere Welt ist quasi ein Schatten von Waylhaghiri.
Waylhaghiri ist eine Art System, das sich ständig selbst befeuert. Die Menschen müssen nicht unterdrückt und zum Gehorsam gezwungen werden, da sie sich selbst freiwillig in den Strudel aus Selbstoptimierung und Ehrgeiz begeben und dadurch letztendlich im Leben nichts tun, was sie persönlich erfüllt. Eine verstecke Gesellschaftskritik? In jedem Fall ein dyadisch anmutender Weltenentwurf, der mir sehr gut gefallen hat.
Der Autor erklärt an Waylhaghiri sogar Kleinigkeiten unseres alltäglichen Leben wie z.B. das Bedürfnis, sich auf Partys immer an einem Getränk oder etwas zu essen festzuhalten, die Bereitwilligkeit, bestimmte Dinge für mehr Geld zu kaufen, als sie eigentlich wert sind, oder den Drang, jegliche technische Erfindungen ständig weiterzuentwickeln, damit man sie wieder als neu verkaufen kann.


Das Aufeinanderprallen zweier völlig verschiedener Welten wie Sumerland und Waylhaghiri war anfangs sehr verwirrend für mich. Einerseits wechselt der Schreibstil, wenn die Perspektive von Zazamael oder Serisada an der Reihe ist, in eine eher altmodische, fantasyähnliche Art, der Prinz und seine Armee bewegen sich auf Pferden fort und Panzerriter arbeiten für ihn. Andererseits ist Waylhaghiri eine hochmoderne Stadt mit Jobbezeichnungen wie Senior Strategic Security Advisor und Senior Elimination Manager (Umschreibung von Attentäterin) und Wörter wie „Glamour“ werden häufig verwendet, was in den Weiten des Sumerlandes oft fehl am Platz wirkt.


Mit den beiden anderen Handlungssträngen hatte ich eher meine Probleme.
Da ist zum einen die namenlose Frau, die die Geschichte aus der Ich- bzw. Du-Perspektive erzählt. Sie lebt in unserer Welt, wurde jedoch zum Teil in das Geheimnis von Waylhaghiri eingeweiht und ist in der Lage, Blicke auf die andere Seite zu werfen. Von ihr geht die gesamte Erzählung aus. Die Blicke, die sie auf Serisada und Zazamael wirft, werden zu deren beiden Handlungssträngen.
Die Perspektive der Frau irritierte mich stets, da sie meist mit einem verstorbene Bekannten namens Andi zu sprechen scheint, der sie damals in das Geheimnis einweihte und sie nun verfolgt - als eine Art Wahnvorstellung, so wie ich es verstanden habe. Die ständige Betonung seines Namens und die daraus resultierende Du-Perspektive, in der sie ihm immerzu beschreibt, was sie gerade tut und warum, obwohl er das ja ohnehin sehen würde, wenn er sie, wie sie glaubt, verfolgt, waren für mich extrem anstrengend zu lesen. Auch ist der Schreibstil in ihren Abschnitten geprägt von eingeschobenen Nebensätzen, recht kryptisch formuliert und sie wiederholt sich ständig, beispielsweise bei der Erwähnung der Tatsache, dass sie nur halb in das Geheimnis von Waylhaghiri eingeweiht ist, was sie sehr zu wurmen scheint.
Zudem ist die Frau unglaublich unsympathisch und oberflächlich, spricht ständig nur davon, dass sie nicht mehr attraktiv sei und nicht so viel Süßes essen sollte, damit sie nicht dick und hässlich würde, und dass sie attraktiv auf Männer wirken will. Sie spricht von der großen Liebe, klingt dafür aber nicht emotional genug.
Allerdings konnte ich dem Autor nicht wirklich vorwerfen, dass er diese Figur erfunden hat, denn in gewisser Weise zeigt sie, wie sehr die wirtschaftlichen Prinzipien von Waylhagiri die Menschen in unserer Welt kaputtmachen und abstumpfen können. Ich gehe davon aus, dass sie mit Absicht gestaltet ist, wie sie gestaltet ist, und das machte sie wiederum wieder interessant.


Ebenfalls sehr ungewöhnlich war die vierte Perspektive, die erst später dazukommt und die eines Mädchens ist, welches behauptet, sich Waylhaghiri und das Sumerland nur ausgedacht zu haben, was der Geschichte wieder einen interessanten Twist gibt.
Für ein Kind ist Susanne allerdings erstaunlich reif und hat jede Menge kluge Gedanken. Sie erkennt gesellschaftliche Dynamiken, die Erwachsene überhaupt nicht bemerken, und beschließt, sich mit ihrer Fantasie die Welt so herbeizudenken, wie sie sie gerne hätte. Auch diesem Handlungsstrang kommen extrem viele kluge Gedanken vor, die einem die Augen öffnen, auch hier fehlen jedoch noch wichtige Informationen, um die Handlung wirklich zu verstehen.
Generell gewinnt man das Gefühl, dass die beiden Bücher in der Form zusammengehören, dass die Handlung nur Sinn ergibt, wenn man sie beide hintereinander liest.


Obwohl mich das Buch von Anfang an fasziniert hat, fiel mir der Einstieg erst sehr schwer. Die Perspektiven wechselten anfangs ziemlich schnell, was in der „Eingewöhnungsphase“ der Geschichte etwas störend war, weil man so die zum Verständnis nötigen Informationen nur in sehr kleinen Häppchen bekam. Ohnehin ist das Buch anfangs wirklich sehr verwirrend, da es aus vielen neuen, nicht immer leicht zu greifenden Ideen besteht. Doch weil mich die meisten dieser Ideen sehr faszinierten, ließ es sich trotzdem sehr schnell lesen.
Später werden die Kapitel dann länger, was ich persönlich angenehmer fand, enthalten zum Teil aber auch sehr lange Abschnitte ohne einen einzigen Absatz, was beim Lesen auch nicht direkt angenehm ist.


Ein Punkt, der allerdings eher am Verlag als am Autor lag und der mich sehr irritiert hat, war der Klappentext. Denn der beschreibt die gesamte Handlung bis auf die letzten Seiten relativ ausführlich und nimmt damit einen großen Teil der Spannung.




Fazit

„Sumerland: Prinzessin Serisada“ ist ein Buch, das mit seinen komplexen Ideen und vielen unterschiedlichen Handlungssträngen zunächst überfordert, auch wegen der ungewöhnlichen Erzählweise. Gleichzeitig fasziniert es aber auch durch den Weltenentwurf, die Verbindung von unserer mit der Fantasiewelt und viele kluge Aussagen und Anspielungen auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Phänomene unserer Zeit, die in zum Teil spannenden Handlungen umgesetzt werden.
Definitiv empfehlenswert für alle, die sich im Bereich Fantasy und Sciencd Fiction an etwas Neues wagen wollen.
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