Ich tippe mit meinen Fingern auf meiner Tastatur. Körper trifft auf Körper. Worte winden sich durch meine Stirnfurchen, Wortweizen blüht hin zu sattem Satzbrot. Geist trifft auf Geist. Der auf digitalen Körpern reitet bis er sich auf Eurem Bildschirm wiederspiegelt. Und sich von dort in Eurem Geist breitmacht. Wie auch immer.
Ganz wunderbar, wie sich Körper und Geist ineinander verschränken. In unserem Bewußtsein. Doch auch in Wirklichkeit? Wo ist der Geist in der Wirklichkeit? Im Gehirn? Dort toben Elektrizität und Chemie, Neuronen und Synapsen. Körperfunktionen. Doch keine Worte, keine satten Sätze. Nichts zu sehen vom Geist.
Das ist ein Problem. Für Philosophen. Und auch für Gehirnforscher, die fest an die Realität des Geistes glauben. Es nennt sich: das Leib-Seele-Problem, präziser gesagt: das Körper-Geist-Problem.
Der Philosoph Karl Popper, der dem kritischen Rationalismus zugerechnet wird und der Gehirnforscher John Eccles, der bedeutendste seiner Zunft im vergangenen Jahrhundert, haben diesem Problem Mitte der Siebziger Jahre ein Buch gewidmet.
Es enthält fünf Kapitel von Popper, acht von Eccles und einen zwölfteiligen Dialog. Ein Pageturner nur in dem Sinn, dass ich zeitweise Seite um Seite überblättert hab, vor allem bei Eccles Ausführungen über das Gehirn. Sehr detailliert, anstrengend zu lesen und fragwürdig ob der Stand der Gehirnforschung vor vierzig Jahren heute noch uptodate ist.
Auch Popper bietet kein wahres Lesevergnügen, sein kritischer Rationalismus nervt, bsw. wenn er sich über "Was ist das" Fragen echauffiert, die ja bekanntlich Sokrates Philosophie dominierten, einem oder vielleicht sogar dem Begründer der konsequenten rationalen Auseinandersetzung.
Ich dachte immer wieder: eye Mann, du stellst soviel in Frage, als wäre es Wahnsinn und zugleich wird der Wahnsinn zu deiner Methode. Der Wolf wird durch den Wolf gedreht. Der Blick auf den Geist schwer getrübt durch rationales Argumentationsgefunkel.
Doch ein Kapitel, das fünfte, das ist großartig. Wegen dem lohnt sich alle Quälerei. "Historische Bemerkungen zum Leib-Seele-Problem" lautet die Überschrift. Ab Seite 201 beschreibt Popper die dazugehörige Philosophiegeschichte.
Ich laß die jetzt mal auf meinem Mist wachsen: es gibt zwei grundverschiedene Aspekte des Menschseins, Körper und Geist (Rene Descartes nannte diese Aspekte "Substanzen"). Die Philosophen, die an diesen dualen substantiellen Aspekt glauben, nennen sich Dualisten.
Monisten sind jene Philosophen, die nur an eine Substanz glauben. Bsw. Baruch de Spinoza. Diese Substanz war für ihn Gott. Gott als das Wesen und die Natur des Universums (Pantheismus nennt sich dies). Für Spinoza hat Gott unendlich viele grundverschiedene Attribute. Doch nur zwei von diesen sind uns Menschen zugänglich: Körper und Geist.
Monisten sind auch die Materialisten (steht jetzt nicht bei Popper, aber vom Wortsinn her bin ich so frei), für die einzig und allein die körperliche Welt wirklich ist und der Geist nur ein Produkt derselben. Alles folgt aus der Materie, ist in ihr begründet, es gibt keinen Gott und Geist ist nur ein Resultat von Gehirnaktivitäten.
Das Gegenteil behaupten die Panpsychisten (die könnten auch Psychisten heißen und die Pantheisten Theisten oder die Materialisten Panmaterialisten, alles eine Frage des Jargons und der ist dehnbar: Panpsychisten firmieren in der Regel unter dem Begriff Idealisten und Materialisten nennen sich heute oft Naturalisten, weil es ja auch Natur- und nicht Materiewissenschaft heißt). Alles ist Geist, die Welt der Körper ist nur Erscheinung, im Geist begründet, doch im Grunde nicht wirklich. So wie in Platons Höhlengleichnis ist die materielle Welt nur ein Schattentheater.
Die Panpsychisten haben natürlich ein Problem, das die Panmaterialisten nicht haben. Die körperliche Welt ist evident, nicht abzustreiten, während die geistige Welt leicht als Scheinwelt abgetan werden kann. Dies Problem läßt sich lösen: durch den psycho-physischen Parallelismus.
Diese Philosophie trat nach Descartes in den Focus der Philosophiegeschichte. Er hatte als erster den Dualismus konsequent durchdacht, die körperliche Welt nach damaligem Zeitgeist als eine mechanische definiert. Nur der Mensch hat Geist, weil er denkt. Descartes lokalisierte die Relaisstation zwischen Geist und Körper in der menschlichen Seele und die befand sich für ihn in der Zirbeldrüse.
Die Seele in der Zirbeldrüse? Nee, das gefiel den nachfolgenden Philosophen nicht. Ansonsten waren sie gern Cartesianer, doch seine Form des interaktionistischen Dualismus behagte nicht.
Spinoza, wie schon gesagt, wurde Monist. Und führte einen Gedanken ein, der die Interaktion unnötig machte. Die körperliche und die geistige Welt laufen parallel, es gibt keine Wechselwirkung zwischen ihnen. Die Attribute Gottes sind und bleiben grundverschieden.
Die Okkasionalisten hingegen wollten Dualisten bleiben, fanden den Parallelismus aber prächtig, erklärten ihn mit einem fortwährenden Eingreifen Gottes, wenn es Körper und Geist zu verbinden galt.
Das war Gottfried Wilhelm Leibniz zu blöd. Er erfand die Monaden. Unausgedehnte (nichtmaterielle) Seelenpunkte, von denen es unendlich viele gibt, in aller Materie, doch nur einen Seelenpunkt, in jedem Menschen, mit selbstbewußtem Geist. Voraussetzung war die prästabilierte Harmonie. Gott hat alles Sein von vorneherein festgelegt und die Monaden folgen der Prädestination und brauchen darum auch keine Kommunikation untereinander, haben keine Fenster. So können die körperliche und geistige Welt parallel laufen, ohne sich zu berühren, wie zwei Uhren im parallelen Takt.
Der Parallelismus beschäftigte die Philosophie lange, spukte in Kants Ding-an-sich, verband sich mit Schellings Identitätsphilosophie und machte sich im neutralen Monismus breit, dessen bekanntester Vertreter David Hume war. Für die neutralen Monisten gibt es keine körperliche und keine geistige Welt. Was es wirklich gibt, ist eine physikalische und eine psychisch-geistige Ordnung der (neutralen) Welt. Und diese Ordnungen sind grundverschieden, selbst wenn sie sich auf dasselbe Ereignis beziehen. Ein Beispiel: ich tippe diese Rezension, weil meine Finger auf die Tastatur hämmern, aber ebenso tippe ich diese Rezension, weil ich mit meinem Intellekt protzen möchte. Diese Philosophie nennt sich auch erkenntnistheoretischer Parallelismus. Und ganz ähnlich verhält es sich mit dem linguistischen Parallelismus, der sich naturgemäß unter Sprachphilosophen einiger Beliebtheit erfreute.
So (lückenhaft) weit, so (platzsparend) gut, ich hoffe mein Mist war verdaubar. Poppers Mist war auch nicht ohne. Dass es in der antiken Philosophie noch keinen Parallelismus gab, halt ich für Blödsinn. Es gab noch keine rational durchstrukturierte Theorie, aber das war auch nicht die Sache der ollen Griechen und Römer, von Aristoteles einmal abgesehen. Ihre Philosphie war viel intuitiver und der Parallelismus (im Zusammenhang mit dem Panpsychismus) scheint deutlich durch bsw. bei den Pythagoreern oder in Platons Höhlengleichnis. Auch Poppers Theorie, dass der Parallelismus allein aufgrund Descartes krudem interaktionistischem Dualismus entstand, ist mehr als fragwürdig.
Aber spannend, wie sehr die Theorie des Parallelismus, der objektiven Nichtinteraktion zwischen Körper und Geist (subjektiv, in unserem Bewußtsein, gibt es sie natürlich) die Philosophie umgetrieben hat, das war mir gar nicht klar und das konnte Popper gut vermitteln.
Was er nicht vermitteln konnte, weil er es nicht verstanden hat, ist die Kernaussage des Parallelismus: alles materielle Geschehen läuft genauso ab, wie es vom Geist bestimmt wird. Das heißt: mit dem Blick auf die materielle Welt läßt sich der Parallelismus niemals widerlegen, aus dem einfachen Grund, dass die geistige Welt so tief verschleiert ist, dass sich der Geist selbst im Blick auf die Materie nirgends zweifelsfrei erkennen läßt (natürlich subjektiv immer, aber das ist kein hinreichender Grund im Raum der Wissenschaft).
Doch Popper und Eccles versuchen dies immer wieder und wieder, führen ein ganzes Arsenal von Argumenten aufs Feld, speziell aus dem Reich der Hirnfunktionen. Der Parallelismus darf nicht sein, genausowenig wie der Materialismus (schon der Titel "Das Ich und sein Gehirn" positioniert sich hier eindeutig). Der interaktionistische Dualismus ist Programm. Davon sind beide überzeugt, wenn auch mit unterschiedlichen Grundüberzeugungen, Popper ohne Gott und Eccles mit.
Das Leib-Seele-Problem lösen sie dann auf ihre Art: der Geist ist nicht-materiell, er kann nicht mechanisch oder energetisch ins Gehirn eingreifen (das würde sonst die physikalischen Erhaltungssätze verletzen), aber es gibt dennoch einen Weg. Den beschrieb Eccles so: jede Gehirnzelle (Neuron) besitzt bis zu 10000 Schaltstellen (Synapsen) zu ihren Nachbarzellen. Erreicht ein Nervenreiz eine Zelle, öffnen sich winzige Säckchen (sog. Vesikel) und setzen chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) frei. Diese Botenstoffe durchqueren den Spalt, der die Synapsen zweier Nachbarzellen trennt und leiten den Reiz weiter. Freilich, und das war für Eccles der entscheidende Punkt, führt nicht jeder einlaufende Reiz zwangsläufig zur Ausschüttung eines Transmitterbläschens. Eccles deutete diese Tatsache so: das Bewußtsein modifiziere die Wahrscheinlichkeit, mit der die Botenstoffe freigesetzt werden - auf diese Weise wirke der Geist auf das Gehirn ein.
Da stellt sich natürlich die Frage, warum wir von diesem Wirken unseres Bewußtseins nichts mitkriegen.
Das Leib-Seele-Problem