Rezension zu "Das kurze Leben der Fakten" von John D'Agata
Wer bereits einmal „Stille Post“ gespielt hat, der weiß, wie schwer das ist, selbst bei ganz einfachen Sätzen und Sachverhalten den „objektiven Inhalt“ einer Botschaft zu „bearbeiten“ und dabei sachgerecht wiederzugeben.
Wie auch in der öffentlichen Diskussion oft und oft subjektive Meinungen mit der Inbrunst der „objektiven Wahrheit“ behauptet werden. Nicht umsonst gehen manche Gesprächsrunden dazu über, im Nachgang einen sogenannten „Faktencheck“ zu liefern, um dem Zuschauer und Zuhörer Belege für den Wahrheitsgehalt von Aussagen zu liefern.
Letztlich, wie das menschliche Gehirn funktioniert, wie immer wieder Färbungen und Interpretationen in „Fakten“ hineingelangen, wie Assoziationen, subjektive Reaktionen auf Stichworte und das ständige mit einfließen des je persönlichen Verständnisses eine „Botschaft“ auch bei besten Versuchen subjektiv verwischen, davon handelt dieses Buch.
Das in sich eher einen Bericht darstellt, eine Entwicklungsbeobachtung. Im Zentrum steht eine Reportage. Ein Selbstmord geschieht, John D`Agata will darüber einen Bericht erstellen, recherchiert, wie es sich gehört und kommt eigentlich doch ganz gut voran.
Diese Reportage im Übrigen wird in der Form des Buches in ihrer Endfassung als „roter Faden“ vorgelegt und nimmt jeweils den mittleren Block jeder Seite ein (wie sie ebenso im Zusammenhang den Abschluss des Buches bildet)
Drumherum aber geschieht das eigentlich Spannende und Faszinierende. Der „Faktenchecker“ Jim Finegal nimmt Teil an der Entwicklung der Reportage und lässt nicht locker, jede Behauptung, jeden scheinbar gesicherten Ablauf, den D`Agata gesichert meint, erfahren zu haben, noch einmal gründlich zu hinterfragen. Und as nicht nur beim „Kern“ der Ereignisse, sondern bei allen möglichen Stichworten, Hintergründen, Beschreibungen von Gebäuden, Motiven, scheinbar „faktischen“ wissenschaftlichen Erkenntnissen und vielem mehr.
Dabei reicht die Palette von breiten Erläuterungen zum Hintergrund zur Geschichte, zur Architektur in Las Vergas, bis hin zu psychologischen Erläuterungen und Hinweisen auf Unstimmigkeiten in den vermeintlichen Klarheiten über Motive des Selbstmörders.
Da kommt der Titel des Buches bestens ins Spiel. Vielfach sind die scheinbar klaren Fakten, die D´Agata recherchiert, von „kurzer Lebensdauer“, stellen sich anders, zumindest weit differenzierter dar, als im ersten Anlauf vermutet und formuliert. Selbst einfach Namen von Lokalitäten und Gaststätten müssen da noch einmal zurecht gerückt werden. Leicht auf das doppelte des Textes der dann endgültigen Reportage kommt der schriftliche Dialog der beiden „Spitzfindigen“ und immer wieder sieht sich der Journalist zurechtgerückt.
Das Buch bildet ein durchweg faszinierendes Beispiel, was herauskommt, wenn man es einmal ganz genau nehmen will und zeigt wunderbar auf, wie schnell der menschliche Verstand sich auf Interpretationen einlässt und diese wie auf Schienen weiterverfolgt, die der jeweiligen Person eben spontan einsichtig erscheinen und in das eigene Verständnis der Welt sich reibungslos einfügen. Mit der „Wahrheit“ über einen Vorgang haben solche „fließenden Einordnungen“ aber nicht all zu viel zu tun.
Wie es also gehen kann, dass die „Fakten“ die Botschaft“ bestimmen und nicht solche Fakten umgehend auf ihre subjektive Schlüssigkeit allein hin (oft unbewusst) „zurecht gelegt werden“, dazu ist dieses Buch eines „Offenlegens des technischen Hintergrundes“ wunderbar anschaulich.
Für Text gilt, was Picasso über Bilder sagt: „Es reicht nicht, wenn sie lügen. Man muss ihnen auch glauben wollen“.