Rezension zu "William II (Penguin Monarchs): The Red King" von John Gillingham
Seit 2014 bringt der Penguin-Verlag eine Buchreihe heraus, die "Penguin Monarchs". Es handelt sich um Kurzbiographien aller englischen und britischen Könige und Königinnen seit dem 11. Jahrhundert. Die Reihe beginnt mit den letzten angelsächsischen Herrschern vor der normannischen Eroberung. Auch für Oliver Cromwell ist ein Band vorgesehen. Mittlerweile ist die Hälfte der 45 geplanten Bände erschienen. Die Bücher sind kleinformatig (13x18,5 cm) und umfassen maximal 150 Seiten. Sie enthalten farbige Abbildungen, Stammtafeln und kommentierte Literaturhinweise. Auch wenn eine entsprechende Angabe fehlt, ist davon auszugehen, dass sich die Bände an historisch interessierte Laien richten, die sich rasch über das Leben der englischen Monarchen informieren wollen. Als Konkurrenz zur renommierten Biographienreihe "Yale English Monarchs", deren Bände eher für den wissenschaftlichen Gebrauch in Frage kommen, sind die "Penguin Monarchs" nicht gedacht. Interessant ist die Reihe dennoch, denn der Verlag hat zahlreiche bekannte Historikerinnen und Historiker als Autoren gewonnen. Damit ist sichergestellt, dass sich die einzelnen Kurzbiographien auf der Höhe des heutigen Forschungsstandes bewegen.
Wilhelm II. (geboren um 1058, gestorben 1100), genannt der Rote (Rufus), gehört zu jenen englischen Königen, die heute kaum noch bekannt sind. In Erinnerung geblieben ist Wilhelm durch seinen rätselhaften Tod: Im Sommer 1100 kam er bei der Jagd ums Leben. Ob es sich um einen Unfall oder um Mord handelte, ist bis heute unklar. Wilhelm war der zweitgeborene Sohn Wilhelms des Eroberers, der die normannische Herrschaft über England begründete. Als Wilhelm der Eroberer 1087 starb, nahm er eine Erbteilung vor. England ging an Wilhelm Rufus. Der älteste Sohn Robert, der sich mit dem Vater überworfen hatte, erhielt lediglich das Herzogtum Normandie. Konflikte zwischen den Brüdern waren damit vorprogrammiert. Auch der auf beiden Seiten des Kanals begüterte anglonormannische Adel hatte kein Interesse an einer dauerhaften Trennung des von Wilhelm dem Eroberer aufgebauten Reiches. Wilhelm wollte die Normandie an sich bringen, während Robert seinen Anspruch auf die englische Krone durchzusetzen versuchte. Der mehrjährige Bruderzwist endete 1095, als Robert sein Herzogtum an Wilhelm verpfändete, um seine Teilnahme am Ersten Kreuzzug finanzieren zu können. Die vergleichsweise kurze Herrschaft Wilhelms II. stand ganz im Zeichen des Krieges. Der König musste sich nicht nur mit seinem Bruder auseinandersetzen; er unternahm auch mehrere Feldzüge gegen Wales und Schottland. Wilhelm II. schaffte es, die normannische Herrschaft über England zu festigen. Er erwarb sich den Ruf eines fähigen Heerführers. Manche Zeitgenossen sagten ihm nach, dass er Irland erobern oder den Besitz seines Hauses in Frankreich erweitern wolle.
Die Frage, warum Wilhelm II. bis in unsere heutige Zeit einen schlechten Ruf hatte, nimmt breiten Raum in John Gillinghams Darstellung ein. Viele geistliche Autoren des 12. Jahrhunderts zeichneten ein negatives Bild des Königs. Wilhelm II. lebte und herrschte in der Zeit des europaweiten Ringens zwischen Päpsten und Königen um die Kontrolle der Kirche. Auch in England lehnten mehr und mehr Geistliche jede weltliche Einmischung in die Angelegenheiten der Kirche ab. Wilhelm hatte für das Reformprogramm und das Autonomiestreben der Geistlichkeit kein Verständnis. In den Werken kirchlicher Autoren wurde er daher als Feind und Unterdrücker der Kirche abgestempelt. Das negative Bild Wilhelms II. verfestigte sich rasch und wurde jahrhundertelang nicht in Frage gestellt. Noch in den 1950er Jahren urteilte ein britischer Historiker, Wilhelm sei "der schlechteste König der englischen Geschichte" gewesen. Gillingham bemüht sich um ein differenziertes Bild Wilhelms II. Die Quellenlange für eine biographische Beschäftigung mit dem König ist alles andere als ideal. Gillingham würdigt Wilhelm als fähigen Feldherrn und arbeitet heraus, dass der König nicht so scharf antikirchlich eingestellt war, wie es lange behauptet wurde. Er setzt sich auch mit der Frage auseinander, ob Wilhelm homosexuell war. Wilhelms Ehelosigkeit und zeitgenössische Kritik an den "verdorbenen Sitten" im Umfeld des Königs ließen viele Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts vermuten, Wilhelm sei homosexuell gewesen. Eindeutige Belege dafür gibt es jedoch nicht, wie Gillingham betont. Über das Privatleben des Monarchen ist so gut wie nichts bekannt, und überhaupt lässt sich Wilhelm II. als Persönlichkeit kaum erfassen. Bei einem Herrscher des 11. Jahrhunderts ist das nicht verwunderlich.
Mit seiner um ein ausgewogenes Urteil bemühten Darstellung leistet Gillingham zweierlei: Er entreißt Wilhelm II. dem Vergessen, und er korrigiert – so weit es die Quellenlage zulässt – das im 12. Jahrhundert entstandene Zerrbild des Königs.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im März 2017 bei Amazon gepostet)