Cover des Buches Die geheime Liebe der Charlotte Brontë (ISBN: 9783784433875)
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Rezension zu Die geheime Liebe der Charlotte Brontë von Jolien Janzing

…oder wie hohe Erwartungen im Sande zerlaufen

von Cridilla vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Einwandfreier erzählter Ausflug in die Welt der Charlotte Bronte, mit kleinen Schönheitsfehlern!

Rezension

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Cridillavor 8 Jahren

Die Autorin:
Jolien Janzing, Jahrgang 1964, ist Journalistin und Autorin. An "Die geheime Liebe der Charlotte Brontë" arbeitete sie drei Jahre, in denen sie unermüdlich recherchierte und die damalige Zeit in Brüssel wieder zum Leben erweckte. Die Brontë Society hat sie als Ehrengast zum jährlichen Literatur-Lunch eingeladen. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt die Autorin in Leuven, Belgien.

Klappentext:

Im beschaulichen Pfarrhaus ihres Vaters in Yorkshire fällt Charlotte die Decke auf den Kopf. Sie möchte hinaus in die Welt, fremde Kulturen erleben und sich Hals über Kopf verlieben. Daher ersinnt sie einen Plan: Gemeinsam mit ihrer Schwester Emily will sie nach Belgien gehen, um ihr Französisch zu verbessern. Nach der langen und beschwerlichen Reise erleben die beiden Brontë-Schwestern in Brüssel einen wahren Kulturschock. Das katholische und gleichzeitig weltliche Flair der Stadt überwältigt die Protestantinnen aus dem ländlichen England. Im eleganten Internat von Madame Claire Heger wirken die Schwestern in ihren schlichten, farblosen Kleidern und ihren altmodischen Frisuren neben den vornehmen jungen Mitschülerinnen, die sich modern und stilvoll kleiden, wie graue Mäuse. Emily fühlt sich von Anfang an unwohl, schottet sich ab und möchte zurück nach England, während Charlotte neugierig die Stadt erkundet. Sie begleitet Constantin Heger in die Armutsviertel, wo er den Arbeitern Sprachunterricht gibt. Charlotte bewundert ihn für sein Engagement und verliebt sich. Doch es ist eine Liebe, die nicht sein darf, denn er ist ein verheirateter Familienvater. Als ihr dann der flämische Arbeiter Emile Avancen macht, steckt sie in einer Zwickmühle. Sie besitzt weder Schönheit noch Geld, hat kein Talent fürs Zeichnen oder das Klavierspiel – unter diesen Voraussetzungen wird sie kaum einen besseren Mann finden. Aber sie liebt Emile nicht. Schweren Herzens folgt sie ihrer Schwester zurück nach England und besinnt sich auf ihr wahres und größtes Talent: Charlotte ist eine begnadete Schriftstellerin.

Charlotte sehnt sich nach Abenteuern und leidenschaftlicher Liebe. Weil es beides in Yorkshire nicht gibt, geht sie mit ihrer Schwester Emily nach Brüssel, um endlich mehr von Europa zu sehen. Dort erleben sie eine Achterbahn der Gefühle und tauchen ein in eine neue Welt: Die Stadt bietet französisches Flair, monumentale Bauten und zahlreiche neue Eindrücke. Im „Pensionnat Heger” verbessern die beiden Schwestern ihre Französischkenntnisse, doch Charlottes Aufmerksamkeit gilt vor allem dem charismatischen Monsieur Heger, in den sie sich hoffnungslos verliebt. Zeitgleich umwirbt sie auch der gut aussehende flämische Arbeiter Emile. Plötzlich hat sie die Wahl: eine Affäre mit einem verheirateten Mann oder eine ehrenhafte Ehe? Am Ende ist ihr Herz gebrochen und sie verarbeitet ihren Schmerz in einem Roman, den sie Jane Eyre nennt und der noch 200 Jahre später auf der ganzen Welt gelesen und geliebt wird.

Zu Beginn möchte ich dem Verlag danken, dass ich dieses interessante Buch rezensieren durfte.

Wie soll ich dieses Buch bloß gerecht rezensieren…Meine Ansprüche – wie auch die meiner Mitleser in der tollen Leserunde – hatten wohl einen zu hohen Level, als dass sie von dem kleinen durchaus feinen Buch der belgischen Autorin ausreichend erfüllt werden konnten. Bei einer sehr begrenzt engen biographischen Vorgabe kann die Fantasie nicht kapriziöse Kapriolen schlagen, um die vielleicht zu geringe Informationsmenge, oder die zu blass gezeichneten Charaktere der Brontë Schwestern weiterauszumalen – oder auszufüllen. Das bereitet dem Leser dann selbstverständlich Schwierigkeiten. Willens möchte man in die Welt der weltberühmten Schriftstellerschwestern eintauchen, allein an Spielmöglichkeiten der so eingeschränkten Vorbedingungen mangelt es. Nur allzu schnell wird klar, wir schauen zwar den beiden bei ihrer Reise in der durchaus bekannten Narrativweise der englischen Literatur des 19.Jahrhunderts über die Schulter, doch leider verschwimmen die meisten Nebencharaktere zu einem Einheitsbrei und auch die so große Liebe zu dem angeblich charismatischen Monsieur Heger bleibt uns verborgen. Beziehungsweise nicht nachvollziehbar. Ein dermaßen schwacher und an einigen Stellen sehr grober Charakter entlockt der weiblichen Leserschaft keine Oh-Ausrufe. Kein ach ja, das ist Mr Rochester! Sondern eher ein: Oh je, das soll Mr Rochester sein? Auch mein Versuch sich in die Zeit und damaligen Gegebenheiten der Lebensumstände der Brontës hineinzuversetzen scheiterte leider kläglich. Dafür bleibt das Buch trotz seiner allwissenden Erzählweise auf eine nicht zu greifende Art zu distanziert, ebenso wie die Hauptcharaktere.

Der Leser zweifelt eher an Charlottes Fähigkeit sich in ein solch ungehobeltes vierschrötiges Mannsbild zu verlieben, und kann nur ungläubig den Kopf schütteln. Da lobt sie sich ein Feingeist der höheren Bildung zu sein, und dann verfällt sie dem ersten Mannsbild, dass sie im Haus der Schulleiterin näher kennenlernt…Dazu kommt noch der ununterbrochene Hochmut, der Engländer wohl auch in den unteren Schichten konstant auszuzeichnen schien. Sie ist ja schließlich eine Pfarrerstochter, da kann sie sich doch unmöglich mit Bediensteten abgeben, geschweige denn sich mit ihnen mehr als nur nötig unterhalten. Hochmut kommt ja bekanntlich vor dem Fall und unsere Charlotte, die sich für hochbegabt und Emily für genial hält, fällt… Sie erlebt eine unmögliche Liebe, die sie an den Rand der normalen Gemütsverfassung bringt. Ihrer Schwester ist es schlichtweg egal. Charlottes Gefühlsleben erst recht, und ihr Aufenthalt in Belgien sowieso. Alles, was sie von ihrer– bis an den Wahnsinn grenzenden - geliebten kargen heimatlichen Heidelandschaft fernhält, ist nur ein Hindernis, oder etwas das man weitesgehend ignorieren muss. Kümmert sich niemand um sie ausreichend, so hungert sie sich fast zu Tode und ignoriert auch ansonsten jeden menschlichen Kontakt. Nur im Erlernen der fremden französischen Sprache zeichnet sie sich durch Genialität aus; sie ist schneller als Charlotte, weiß besser zu formulieren und sich schriftlich schneller perfekter auszudrücken. Charlotte hingegen bringt französische Aufsätze zu Papier, die in der Klasse ihresgleichen suchen…Und so vermag sie erstmals die Aufmerksamkeit des Lehrers Heger auf sich zu ziehen, der sich in der allgemeinen Bewunderung seiner weiblichen Schülerschar sonnt. Etwas, das wohl bisher nie über die Anstandsgrenzen hinausging, bis jetzt…

Der andere Mann, der für Charlotte von großer Wichtigkeit sei – wie auf dem Klappentext stand – war der flämische Arbeiter Emile, der leider doch nur eine Randfigur bleib und nicht allzu sehr in die Geschichte involviert wurde. Da hätte ich mir mehr erhofft und gewünscht. Es hätte zumindest gezeigt, dass Charlotte vielleicht Geschmack zuzutrauen war, da sein Aussehen als fast engelhaft schön beschrieben wurde unter seiner Schmutzschicht. Und er noch weitere Reibungsfläche für sie bot, da er seinem Stand mit ihrer Hilfe entfliehen wollte. Aber sein ärmliches Erscheinungsbild war der ach so feinen Dame Charlotte zu vulgär. Ein Problem, das wohl ihrer Kindheit geschuldet war, sie aber trotzdem äußerst hochnäsig machte, da sie sich kaum standesgemäß über Emile erheben konnte.
Dann war da noch eine andere „Liebesgeschichte“, die geschickt in den Erzählrahmen eingeflochten wurde. Eine gewisse Arcadie aus gutem bürgerlichem Hause, die den damaligen belgischen König auf sich aufmerksam machen konnte. Angestachelt durch den ungesunden Machthunger ihrer Mutter, soll sie sich Leopold I als Maitresse darbieten. Doch zu Beginn sieht das angestrebte Unterfangen der allzu hoch hinaus wollenden Mutter fast vergeblich aus, da sich die unschuldige Lolita in ihren Musiklehrer verliebt und schmachtende Tagträume von einer romantischen Liebelei mit ihm hat. Doch ihre Mutter weiß die jugendlichen Wunschträume perfid zu durchkreuzen und setzt alles daran ihre Tochter dem unglücklich verheirateten Regenten auf dem Silbertablett zu servieren… Charlotte begegnet Arcadie zwei – oder dreimal an unterschiedlichen Lebenspunkten. Zu Beginn, als für alle Spieler noch alles möglich und offen scheint und am Ende, als sie unglücklich verliebt ist und Arcadie als Hure beschimpft in einer Kutsche an ihr vorbeifährt. Liebe hat sie auf unterschiedliche Pfade geführt, beide auf ihre Weise ins Verderben. Aber es dauert eine gefühlte Ewigkeit, eine heimatliche Wiederkehr und ein über ein Jahr andauernder einseitiger Briefwechsel, bis Charlotte mit einem Buch über ihr gebrochenes Herz zu triumphieren weiß. Einem Buch, indem sie ein ärmliches Waisenkind mit kargen Mitteln für einen einst herrschaftlichen Mann zur ebenbürtigen Gefährtin werden lässt. Hier wird sie ihn bekommen, ihren Mr Rochester.

Eine Leseempfehlung kann ich nur bedingt aussprechen, da die Zutaten für einen gut recherchierten Roman vorhanden waren, aber letztendlich doch in ihrer Umsetzung scheiterten. Zu weit weg, zu wenig greifbar blieb der Charakter der beiden Schwestern. Sie blieben Mythos, unangetastet und doch jede auf ihre Weise in meinen Augen recht beschädigte Charaktere, die durch keine echte Gefühlsregung greifbar wurden. Zu nebelhaft blieb ihre Beschreibung, da hätte die Autorin Eigeninitiative zeigen und die Leere ausfüllen können. Aber sie bringt uns lieber andere Figuren näher, wie die berechnende Mutter Arcadies und die starke belgische Schulleiterin, die Frau von Monsieur Heger. Selbst der belgische Regent ist dreidimensionaler als die auch optisch blassen Englischen Fräulein Brontës. Hier hätte die wirkliche Kunst eines Autors hingehört: zu fabulieren. Aber das konnte auch die sensible Übersetzung ins typische literarische englische 19.Jahrhundert von Wibke Kuhn nicht. Zwar kennt man ihr Können von manch namhaften Autoren wie Stieg Larsson und Jonas Jonasson, aber wenn die literarische Vorlage nicht mehr hergibt…

Ein durchweg biographisch angehauchter Roman, der für mich nur begrenzt teilweise den Mythos um Charlottes Liebe entschleiert. Handwerklich aber leider nicht überzeugend genug, wenn die Hauptprotagonisten in gewisser Weise auf der Strecke bleiben. Deshalb nur drei wohlwollende Sterne von mir.

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