Rezension zu "Sengendes Licht, die Sonne und alles andere" von Jon Savage
Paul Morley, ein englischer Musikjournalist, schrieb zum Konzert am 31.05.1977 im Rafters, Manchester, von "vorhersehbaren" Klängen, aber auch von der "schwer erklärbaren Weise", wie sich die Band von den anderen neuen Formationen unterschied.
Pete Shelley, Gründer, Gitarrist und Sänger der Punk-Band Buzzcocks, wollte der Truppe um Sänger Ian Curtis den Namen "Stiff Kittens" verpassen, was die Band ablehnte. Dennoch wurde jener Name auf Plakate gedruckt, weshalb sie beim ersten Konzert am 29.05.1977 verkünden mussten, dass sie nicht selbige seien, sondern "Warsaw".
Zunächst deutete nichts darauf hin, dass die allzu unverbindlichen Klänge einer "bemühten Rockband" irgendwann einmal Geschichte schreiben sollten. Immerhin äußerte Morley in einem Interview eine ahnungsvolle Aussage zum Stand der Dinge: "Dieses Bemühen hatte was Interessantes."
Erst mit der umstrittenen Umbenennung der Band in "Joy Division", welche fast zwangsweise politische Unterstellungen verursachte, kam Bewegung in den Bekanntheitsgrad, wenn auch die Veränderungen im Sound durch eine Verkettung von Zufällen entstanden.
Erstens hatte man stets keinen wirklichen Plan und zweitens nicht einmal ein Aufnahmegerät, um die Dinge, die meist spontan und unkontrolliert entstanden, vernünftig zu rekapitulieren.
"Wir haben uns nicht gegenseitig angespornt, eher vollkommen ignoriert. Wir befanden uns alle auf unserer eigenen Insel ...".
Keinen Plan hat auch der Rezensent, denn wie sollte man der Ausnahmeband jemals mit Worten gerecht werden. Als Phönix aus der Asche des Post-Punk entstiegen, zelebrierten Joy Division eine verhaltensauffällige Eigenständigkeit, die sich als nicht reproduzierbar zeigte. Vielmehr öffnete sie bis dahin nicht vorhandene Türen für Musikrichtungen wie Dark Wave, Gothic Rock und den wiederum daraus entstandenen Ablegern.
Die Umsetzung der Bandgeschichte anhand zahlreicher Interviews, die mit Fotografen, Autoren, Managern, Produzenten, weiteren Zeitzeugen, Ian Curtis' Ehefrau und Bandmitgliedern selbst geführt wurden, hat, wie jede Medaille, zwei Seiten. Die unkommentierte Aneinanderreihung der Originalzitate hat etwas von einer unverfälschten Authentizität, kann aber auch ermüden.
Das Personenverzeichnis am Ende, sowie die Reihenfolge deren Auftretens zu Beginn aufzuzählen, erleichtert die Lektüre ganz allgemein. Anstrengend ist sie trotzdem, weil sie -Insider werden jubeln- allzu sehr ins Detail geht. Die immer wieder auftretenden Kuriositäten erheitern dann hin und wieder die ernüchternde Lektüre.
Witzig sind Gitarrist Sumners Seitenhiebe auf den "amerikanischen Westküstenkram" der Siebziger oder auf Rick Wakemans (Yes) Soli, den er befähigt sah, "tausend Noten in einer Sekunde" zu spielen. Kurios auch die Tatsache, was man mit Omas modifiziertem Grammophon alles anfangen konnte!
Die Zusammenstellung zu einer "Oral History" kommt vielleicht etwas kantig und spröde daher, bleibt aber echt und unverfälscht. Der Grabstein für eine Band, die es so nie wieder geben wird. Eine nüchterne Aufzählung persönlicher, mitunter im Widerspruch stehender Eindrücke. Gut möglich, dass es Ian Curtis genau so gewollt hätte.