Nachdem „James“ von Percival Everett letztes Jahr eines meiner absoluten Highlights war, wollte ich gerne mehr von dem Autor lesen. Entschieden habe ich mich für das Hörbuch „Die Bäume“, ins Deutsche übersetzt von Nikolaus Stingl und sensationell gelesen von Jona Mues. „Die Bäume“ ist dabei ein wilder Genremix aus Roman, Krimi, Thriller und Parodie, die Geschichte bizarr, schockierend und an einigen Stellen auch auf verrückte Weise urkomisch.
Percival Everett erzählt von Money, einer Kleinstadt in Mississippi, in der 1955 der schwarze Jugendliche Emmett Till auf grausame Weise von einer Bande weißer Männer gelyncht wurde (diesen Lynchmord gab es tatsächlich!). Und jetzt, Anfang des 21. Jahrhunderts und damit ca. 50 Jahre später, passieren merkwürdige Dinge in Money – mehrere weiße Männer aus einem bestimmten Milieu werden auf ebenso brutale wie merkwürdige Weise ermordet. An den Tatorten wird neben den Leichen der Weißen immer auch der Körper eines toten Schwarzen gefunden, der bald spurlos verschwindet, nur um am nächsten Tatort wieder aufzutauchen. Neben der hiesigen Polizei ermitteln bald auch drei afroamerikanische Detectives und ziehen Parallelen zu den zahllosen Lynchmorden im US-amerikanischen Süden im vergangenen Jahrhundert.
Auch in „Die Bäume“ zeigt sich, wie beeindruckend Percival Everett mit Sprache, aber auch mit Stereotypen und Klischees umgehen kann. Was ich besonders großartig finde: Er dreht (ähnlich wie in „James“) altbekannte, rassistische Narrative um und macht in „Die Bäume“ die Weißen in Money / Mississippi zu ungebildeten, hängengebliebenen Idioten, während die eigentlich Schlauen die Detectives und einige schwarze Eiwohner*innen der Kleinstadt sind. Und natürlich spielt Everett hier mit Klischees, nutzt die Stilmittel der Überspitzung und Übertreibung – wenn man sich aber so manche Trump-Anhänger*innen anschaut, ist er damit nicht unbedingt weit weg von der Realität.
„Die Bäume“ ist vielleicht eine Art Rache-Geschichte – die gelynchten und brutal ermordeten Schwarzen scheinen aus ihren Gräbern aufzuerstehen und sich an ihren Peinigern zu rächen. Ganz ehrlich: Es ist eine Genugtuung, das zu lesen bzw. zu hören, und bei aller Ernsthaftigkeit der Thematik gibt es einige Stellen, an denen ich angesichts der Blödheit der weißen Charaktere herzlich lachen musste – während mir das Lachen im nächsten Moment schon wieder im Hals stecken blieb, weil die Basis der Geschichte, nämlich die grausamen Lynchmorde in den USA, einfach durch und durch furchtbar ist.
Wie Percival Everett dieses Thema aufgreift und in eine gleichermaßen schockierende wie unterhaltsame und irgendwie auch kathartische Geschichte verwandelt, ist schlicht beeindruckend. Die Hörbuchfassung ist obendrein spektakulär umgesetzt, mit Soundeffekten und passender Musik. Ich glaube jedoch, dass ich das Buch trotzdem lieber hätte lesen sollen, weil die Geschichte so vielschichtig und bedeutungsschwer ist, dass mir beim Hören sicher der ein oder andere Aspekt durchgerutscht ist. Auch fand ich die Geschichte im Mittelteil ein wenig redundant und gegen Ende etwas gestreckt. Aber insgesamt ist es ein eindrucksvolles Buch, das ebenso kunstvoll komponiert wie schwarzhumorig, bissig und schockierend ist. Eine absolute Empfehlung!