Im Grunde fehlen mir die Worte zu „Nach der Sonne“ von Jonas Eika, der 2019 für seinen Erzählband den renommierten Literaturpreis des Nordischen Rates erhielt. Er gilt als Shooting-Star in Dänemark und wird für sein queeres, sinnliches, bizarres und teils brutales Werk gefeiert. Ich war unendlich neugierig auf dieses Buch, nur um nun vor lauter Fragezeichen zu stehen. Mir wollte sich einfach nicht erschließen, worum es in Eikas Geschichten geht. Was ist die Aussage? Teils erschloss sich mir noch nicht einmal die Handlung vollständig. Zu verworren, unverständlich und verrückt ist sie. Dennoch möchte ich „Nach der Sonne“ nicht unbesprochen lassen, denn wer weiß, vielleicht ist es für den ein oder anderen von euch gerade wegen seiner bizarren Natur genau das Richtige.
In der ersten Erzählung „Alvin“ reist der Erzähler nach Kopenhagen, um die Implementierung eines Systems in einer Bank zu beaufsichtigen. Dummerweise ist die Bank in einem Loch in der Erde verschwunden, die Gründe dafür werden nicht genannt. Auch die Überraschung des Erzählers hält sich in Grenzen. Stattdessen geht er etwas Essen und lernt dabei Alvin kennen, einen nach Ekalyptus duftenden jungen Mann, der Handel mit Derivaten betreibt. „Du musst lernen, dir die Waren als etwas vorzustellen, was es schon vorher gibt. Wie wenn du dich auf etwas freust. Sobald die Vorstellung von einer Sache auf dem Markt ist, wirkt sie, und dann wird in der Zukunft, in der die Sache verkauft werden soll, eine Kanalisation angelegt, die in die Zeit zurückführt, zurück zu uns.“ Nächte- und tagelang handeln die beiden nun zusammen, zwischendurch herrscht eine sexuell aufgeladene Stimmung, dann beschreibt der Autor das Duscherlebnis mit einem offenbar sensationell angenehmen Shampoo namens „aroma therapy: stress relief“. Warum, fragte ich mich immer wieder. Was anfangs noch verständlich ist, wird zunehmend verworren und undurchsichtig. Bis die Hauptfigur am Ende von Alvin verlassen einen Eingang in die im Boden versunkene Bank findet, er durch Tunnel krabbelt und dabei in Ecken und Nischen gezwängt die Mitarbeiter arbeiten sieht, als sei nichts geschehen.
Bei der zweiten Geschichte „Bad Mexican Dog“ handelt es sich um die längste Erzählung, die in zwei Teile geteilt auch den Abschluss des Buches bildet. Darin arbeitet ein Junge als Beach Boy, er kümmert sich um die Gäste eines Clubs, cremt sie ein, bringt Getränke und wedelt den Sonnenanbetern Luft zu. Ein spannendes Szenario, das sich jedoch auch schnell in absurden Szenen verliert, beispielsweise wenn die Beach Boys in einem Bassin „voller kleiner, quallenähnlicher Kleckse“ baden, die „wie lebendes Wasser darin herumschwimmen“ und später einen erschlagenen Freund mit einem äußerst merkwürdigen Ritual wieder zum Leben erwecken. Sexuell aufgeladen ist die Erzählung außerdem, was insgesamt für mich eine vollkommene Reizüberflutung darstellte.
In „Rachel, Nevada“ geht es um ein Ehepaar, das den Tod der beiden Töchter verarbeitet. Sie zogen um, in einen kleinen Ort nahe dem Areal 51, um neu anzufangen. Doch während sich die Frau in Aktivitäten stürzt und die Gesellschaft anderer Menschen braucht, zieht sich Antonio in seiner Einsamkeit zurück. Auch hier ist das Ausgangsszenario sehr ansprechend, doch wieder wird die Erzählung derart skurril, dass mich der Autor verlor. Denn Antonio entdeckt einen metallisches Objekt, einen von Pilzen bewachsen Sender, um den sich Tiere scharen und der irgendetwas in ihm zum Klingen bringt. Er spürt eine Sehnsucht in sich aufkeimen, ein Teil dieses Senders zu werden und greift letzten Ende zum Skalpell.
In der letzten Erzählung geht es um ein junges Mädchen ohne eigenes Zuhause, das bei einem Paar Unterschlupf findet und mit ihnen eine Beziehung eingeht. Die Frau, Aurora, verdient Geld durch den Verkauf von Drogen, Rory ist Hausmann und kümmert sich um Obdachlose und Bedürftige. Diese Geschichte konnte mich im Gegensatz zu den anderen gleich zu Beginn schon nicht packen. Ich fand keinen Zugang, weder zu den Figuren noch zu der Handlung. Hier fühlte sich alles zu schrecklich „kaputt“ an, als das ich mich darin hätte hineindenken können und wollen.
Was nehme ich aus „Nach der Sonne“ von Jonas Eika mit? Es ist, als hätte jede Erzählung eine Metaebene, die jegliche Grenzen von Realität, üblichen Normen und Zeit sprengt. Das für sich genommen finde ich unglaublich spannend. Allerdings ist die Entfernung von dem, was realistisch und im gängigen Sinne „möglich“ ist in diesen Erzählungen und für meinen Geschmack so groß, dass ich abgehängt wurde. Die Worte ergaben in meinem Kopf keinen Sinn. Alles erschien mir wie ein großes Mysterium und der Zugang dazu war mir verwehrt. Einzig gegen Ende des zweiten Teils von „Bad Mexican Dog“ gibt es eine Stelle, einen Gedanken, der mich bewegt hat und den ich abschließend teilen möchte: „Alle Dinge sind lächerlich ohne die Sonne. Schattenlose Gegenstände unter freiem Himmel, durchleuchtet und verurteilt zu einem dunklen Leben auf dem Sand, in der Haut, unter dem Meer.“
„Nach der Sonne“ von Jonas Eika ist ein Erzählband, der fünf seltsame und bizarre Geschichten enthält, deren Sinn sich mir weitestgehend nicht erschloss. Der Autor bewegt sich abseits von jeglichen realistischen Ebenen, seine Geschichten verflüssigen sich, formen sich neu, werden zu etwas gänzlich Unterwartetem. An sich ein unglaublich spannendes Konzept, für das ich allerdings nicht die richtige Leserin war.