Jonas Grethlein

 4,5 Sterne bei 2 Bewertungen
Autor*in von Mein Jahr mit Achill und Hoffnung.

Lebenslauf

Jonas Grethlein lehrt Klassische Philologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und Träger des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises 2024.

Quelle: Verlag / vlb

Neue Bücher

Cover des Buches Hoffnung (ISBN: 9783406821363)

Hoffnung

Neu erschienen am 21.08.2024 als Gebundenes Buch bei C.H.Beck.

Alle Bücher von Jonas Grethlein

Cover des Buches Mein Jahr mit Achill (ISBN: 9783406782060)

Mein Jahr mit Achill

 (2)
Erschienen am 17.02.2022
Cover des Buches Hoffnung (ISBN: 9783406821363)

Hoffnung

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Erschienen am 21.08.2024

Neue Rezensionen zu Jonas Grethlein

Cover des Buches Mein Jahr mit Achill (ISBN: 9783406782060)
AnkeH.s avatar

Rezension zu "Mein Jahr mit Achill" von Jonas Grethlein

Sterben lernen auf dem Zenit der Jugend
AnkeH.vor einem Jahr

Jonas Grethlein schildert sich als einen, der etwas kann und etwas will: Mit 27 Jahren sitzt er am kalifornischen Strand, in der Tasche eine brillante Promotion, die es nur noch zu verteidigen gilt.

Den Hang zur Exzellenz teilt er mit dem Subjekt seiner Doktorarbeit: Achill, dem „Besten der Achaier“ und Helden der Ilias, der seit seinem Bad im Totenfluss Styx als quasi unbesiegbar gilt. Gemeinsam ist beiden Männern damit auch eine große Fallhöhe, die aus ihrem Konflikt – der plötzlichen Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit – ein tragisches Ereignis macht.

In Mein Jahr mit Achill schreibt Jonas Grethlein über die Diagnose Krebs und wie sich sein Leben, vor allem aber sein Nachdenken darüber verändert. Die autobiografische Erzählung ist dabei einerseits persönliche Krankheitsgeschichte, andererseits eine Interpretation der Ilias, die dieses uralte Stück Weltliteratur auch Nicht-Philologen zugänglich macht. Ein ungewöhnlicher, etablierten Genregrenzen trotzender Ansatz, der viel Raum für Reflexionen über Krankheit, Körper und den Schrecken der Sterblichkeit eröffnet.

Grethlein glänzt dabei als Erzähler von herausragender Rationalität: Er gibt sich nicht mit einfachen Erklärungen zufrieden, hadert nicht mit dem Schicksal oder den Göttern und nutzt das Ausgeliefertsein an die Krankheit, um über Agentialität, das Handeln- und Bewirkenkönnen im eigenen Leben nachzudenken: „Mit den homerischen Hexametern im Ohr fragte ich mich weniger, warum ich Krebs hatte, als vielmehr, wie ich so lange mein Geschick selbst in der Hand zu haben gemeint hatte (115).“ Besonders beeindruckt dabei Grethleins Blick für gängige Narrative über Krankheit wie den Kampf gegen den Feind Krebs, die klar benannt und abgelehnt werden. Hier kommt der Wissenschaftler voll zur Geltung und an Quellen mangelt es keinesfalls: Sei es nun Susan Sontag, Simone Weil, die Phänomenologie oder Martin Heidegger, Grethlein findet immer einen klugen Gedanken oder theoretischen Querverweis, den er gewinnbringend in seine Überlegungen einflechten kann.

Komplettiert werden diese Reflexionen durch die große Offenheit, mit der Grethlein von seinen Ängsten berichtet, vom plötzlichen Misstrauen gegen den eigenen Körper, von Schmerzen und Gefühlen der Ohnmacht. Der Erzähler beschreibt dabei auch die notwendigen Behandlungen der Blase und sinniert über den operativen Eingriff als Penetration. Das Thema Männlichkeit spart Grethlein jedoch selbst dann aus, als der Verlust der Potenz droht, was eine auffällige Lücke in den sonst kein Detail aussparenden Aufzeichnungen darstellt.

Die leidvollen Erfahrungen werden dabei als ein entfremdendes Element beschrieben, das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit als etwas, das trennt statt verbindet. Mit E., die bei einem Autounfall den Vater und um ein Haar auch das eigene Leben verloren hätte, teilt der Protagonist zwar eine intensive, aber lediglich sexuelle Beziehung – wodurch der Bericht gerade an dieser Stelle enttäuschend einstimmig bleibt. Auch führt die Konfrontation mit dem Tod den Protagonisten nicht dazu, seinen Drang nach Geltung und Distinktion zu hinterfragen, wie die anhaltende Faszination für den Adel veranschaulicht. Die Bestrebungen, Auszeichnung durch Geburt durch eine Auszeichnung durch Leistung zu ersetzen (Grethleins Vater etwa wird unkritisch mit dem Ausspruch „in unserer Familie sei das Publikationsverzeichnis der Siegelring“ (161) zitiert) haftet ein meritokratischer Dünkel an, der den Blick auf das universell Menschliche und damit auf den humanistischen Charakter von Grethleins Aufzeichnungen verstellt.

Auch die feine Selbstironie vom Anfang der autobiografischen Erzählung kehrt im Verlauf derselben nicht zurück. Und so bleibt die Einsicht in die eigene Vergänglichkeit in Mein Jahr mit Achill nur ein Augenblick des Aufdeckens, der Heideggerschen aletheia. Am Ende ist der Protagonist wieder am Strand, der narrative Zirkel schließt sich in der Rückkehr in eine fadenscheinig gewordene Normalität. Damit krönt Grethlein seine Aufzeichnungen mit einem Ende im Stil der Ilias, der Abschluss „entfaltet seine volle Wirkung erst dadurch, dass in ihm zugleich die Unabgeschlossenheit des Lebens sichtbar wird, auf die er antwortet (203).“

Cover des Buches Mein Jahr mit Achill (ISBN: 9783406782060)
M

Rezension zu "Mein Jahr mit Achill" von Jonas Grethlein

Der Gang durch die Krankheit mit dem Helden von Troja
M.Lehmann-Papevor 2 Jahren

Der Gang durch die Krankheit mit dem Helden von Troja

 

Da ist man gerade habilitiert, hat seine erste Stelle in der Wissenschaft in Aussicht, ist klassischer Philologe mit einem breiten und fundierten Wissen gerade über die Antike, 27 Jahre alt und erhält dann wie ein abruptes von einer Wand mit einem Vorschlaghammer gestoppt werden“ eine niederschmetternde Diagnose.

 

Und wird und muss Trauern, Leiden, Kämpfen müssen.

 

Das ist das eine, an dem Jonas Grethlein den Leser teilhaben lässt. Nicht unbedingt ständig emotional in der Sprache, sondern reflektierend, beschreibend, mit einer gewissen Distanz im Stil, die das Lesen durchaus erleichtert, dennoch aber eben auch mit einem umso klareren und sezierenden Blick auf die Behandlungen, die Angst, die Schmerzen der Behandlung.

 

Und mit einem Gang durch die „Ilias“ Homers. Fachlich bestens vorgestellt mit einem ebenso breiten wie tiefen und fundierten Wissen ausgestattet, bringt Grethlein im gleichen Atemzug den Kern des Epos, die Figur des Achill und, vor allem, darin die „Fragilität des Menschen“ zum Ausdruck. Auch des „überlebensgroß“ wirkenden Helden. Mit vielen Verweisen auch darauf, wie Homer nüchtern seine Helden und den Tod betrachtet. Nicht als Erlösung, sondern als fast unprätentiöses Vergehen strahlender Hintergründe, strahlender Waffen und Rüstungen, strahlender Jugend.

 

Wobei, und das arbeitet Grethlein bestens verständlich heraus in seinen Betrachtungen (und darin liegen auch die Parallelen zu seiner Erkrankung und Gefährdung), dieser Achill anders ist. Von Beginn an todgeweiht und doch einem Ethos sich und seinem Handeln gegenüber verpflichtet, das nicht durch materielle Güter aufgewogen werden kann. Wie das eigene Leben eben auch nicht materiell wirklich gesichert werden kann, wie die eigene Fragilität in einem „biologischen Roulette“ ins Bewusstsein dringt und damit auch die fragen sich stellen, worum es denn eigentlich geht, was den Menschen eigentlich bewegt an tiefen Emotionen.

 

„Trotzdem ließ mich meine Situation nicht nur verzweifeln, sondern gab mir auch ein Gefühl des Heroischen. Geschichten von Krebs…..wimmeln von Helden, die den Kampf gegen die Krankheit aufnehmen“.

 

Wobei im Übrigen gilt, auch wenn dieser Kampf nicht selten „heroisch“ gewonnen wird, der Tod wird dennoch natürlich, irgendwann, im Raum stehen. Und so ist Achill auch ein Prototyp des Menschen zugleich mit, der handelt und seinen Weg geht „im Wissen um seine Bestimmung“, im Wissen darum, dass er kurz nach Hektor fallen wird.

 

Plakativ dargestellt am Beispiel des „Zorns des Achill“, das nicht mit Vieh, Gold, Ländereien aufgewogen werden kann, sondern erst im tiefen Zorn um den Tod des Freundes und engsten Begleiters sich dann in aller Härte, fast animalisch und, vor allem, zerstörerisch entlädt. Emotionen, die auch bei Bedrohungen durch schwere Krankheiten sich Bahn brechen können, eine Haltung, ein Geschehen aber auch, das den Elser durchaus zunächst fremd vor einem solchen „Achill“ stehen lässt.

 

Hektor ist jener Held, der dem Leser auch heute noch nahe kommt. Ein „Held in sozialen Bindungen“, von dem man genau weiß, warum er kämpft und für wen. Für die Seinen, seine Heimat, Familie und Stadt. Achill aber wählt zuvor genau den Weg heraus aus den sozialen Bindungen, lässt Frau und Kinder, auch sein weissagende Mutter Thetis wissend um seine „Fahrt ohne Rückkehr zurück. Und das nicht nur ob des „ewigen Ruhms2, sondern wohl auch ob einer Haltung, seiner Bestimmung folgen zu müssen.

 

So lässt man sich gerne von der Lektüre fesseln, um die Fragilität des Menschen, die Möglichkeit des „Heroischen“ in seinen verschiedenen Ausprägungen, die Tragik, aber auch Unausweichlichkeit des Todes, das „Auspressen von Gerste unter den Hufen der Rinder“ der das „verdorren und fallen eines blühenden Schösslings“ und erhält am Ende einen umfassenden Blick auf die Ilias, die Kunst des Dichters und die Methoden seiner Dichtung, wie auch über den Kampf gegen einen Tod viel zu weit vor der Zeit inmitten eines sich aufbauenden Lebens.

 

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