Cover des Buches Wie keiner sonst (ISBN: 9783036956688)
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Rezension zu Wie keiner sonst von Jonas T. Bengtsson

Wie keiner sonst - Vater Sohn Geschichte

von thursdaynext vor 11 Jahren

Rezension

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thursdaynextvor 11 Jahren

"Pro/Contra - eine kontroverse Diskussion" zwischen Rallus und Thursdaynext
Unser Projekt des gemeinsamen Lesens und rezensierens, stieß wegen unterschiedlicher Meinungen plötzlich an Grenzen. Zu unterschiedlich waren die Eindrücke und Gefühle so dass wir uns entschlossen unsere kontroverse Unterhaltung in etwas ungewohnter Form, ABER zusammen zu veröffentlichen.

2 Personen. Ein Vater und sein 6 jähriger Sohn. Alleine.
Warum sie so leben wissen wir nicht. Beide leben am Rande der Gesellschaft und haben eine ungewöhnliche Beziehung. Der Vater geht, verdient Geld, der Junge sorgt sich, malt und wartet.
In einfachen Skizzen beschreibt Bengtsson, wirft uns hinein in eine Geschichte und treibt uns durch Nicht-Wissen zum Weiterlesen.
Getrieben wie die Protagonisten, ein Leben ohne Glück, Wärme, annähernd emotionslos. Ein Leben außerhalb der Wärme einer Familie, beide haben nur sich. Der Vater versucht dem Jungen all das zu geben was er vermisst.
Der erste Teil hat mich sehr mitgenommen, sei es die unterschiedlichen Stationen des Jungen, eine Schreinerei, wo der Junge lernt, Madenlöcher zu bohren um Möbel älter aussehen zu lassen, ein Striplokal, ein Theater.
Der Junge spürt, dass er anders ist, weil er nicht zur Schule geht, keine gleichaltrigen Freunde hat, die Liebe und die fast symbiotische Art mit dem Vater zu leben, kompensiert dies.
Vermischt wird dies mit märchenhaften Elementen die Bengtsson einbaut, der Vater versucht dem Jungen die Defizite des normalen Lebens auch durch Märchen zu erleichtern.
R <=> T
Ein sechsjähriger Junge. Ein Kind ohne Fröhlichkeit , Freude , Freunde. Introvertiert, still, brav, heimatlos.? Er fragt nicht viel, denkt umso mehr. Sammelt die Informationsbruchstücke zu seinem Leben, die ihm der Vater zukommen lässt, kommentarlos. Seine Wünsche und Hoffnungen sind bescheiden. Bleiben oft unausgesprochen. Er hinterfragt seinen Vater nicht. Widerspricht nicht. Vertraut. Liebt. Will ihm gefallen, ihn beschützen. Ein unerkanntes Gefängnis. Eine fast farblose Welt. Etwas geschieht, sein Vater und er ziehen mit einem Minimum an Ballast um. Immer wieder. Über seine Mutter weiß er, dass er ihr ähnelt. Sie war schön, sagt sein Vater. Nach einigen Jahren der Bruch. Der Vater ist fort. Er ist 16., lebt bei seiner Mutter, seinem Stiefvater, seiner Halbschwester. Verbirgt seine Intelligenz, fällt dennoch auf. Es gibt Ärger. Gleichzeitig verliebt er sich. Er lernt die Familie seines Vaters kennen. Forscht in der Vergangenheit. Findet wieder nur Bruchstücke, hässliche Puzzleteile. Immer mehr davon. Er kehrt nicht zurück. Beendet die Schule nicht. Taucht ab in der Parallelgesellschaft. Die Wandlung vom Kind zum Teenager der frei ist sich für sein Leben zu entscheiden war der Part des Romans in dem ich endlich losgelöst von Mitleid für dieses herumgestossenen Kind aufatmen konnte. Fand sie auch frischer erzählt. Leider nur kurz. Denn der aufmüpfige Teenager ist zu gefangen in seiner Geschichte um sich zu befreien.

Der zweite Teil beginnt mit einem großen Jahressprung, der Junge lebt nun bei seiner Mutter, der Vater ist aus seinem Leben verschwunden. Nun hat er die familiäre Wärme, ein "normales" Leben, doch der Vater fehlt ihm, zu sehr hat er das "andere" Leben kennengelernt. Das Nomadensein seiner Kindheit verhindert eine feste Beziehung zu Frauen, Menschen, Freunde hat er nicht.
Auch flieht er früh aus der Familie und sucht seine Wurzeln.
Dieser Teil ist karg, spärlich bebildert, ziel- und orientierungslos auch für den Leser.
R <=> T
Erwachsen, beziehungsunfähig, ziellos, aussichtsreicher Anwärter auf die Auszeichnung; komplizierter, geheimnisumwitterter Liebhaber , hält er sich mit Hiwi Jobs über Wasser, getrieben
von vererbter oder sozialisationsbedingten Heimatlosigkeit. Seine Liebe, zu seinem Vater, abgesehen von der Malerei zu der es ihn drängt, die einzige Konstante in seinem Leben.

Eine fast symbiotische Beziehung, der Vater prägt den Jungen für sein ganzes Leben, er gibt ihm all die Liebe die er hat, kann aber den Verlust nicht verhindern und scheitert an seiner eigenen Situation, an der Flucht vor seinem Leben.
R <=> T
Die Beziehung ist von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Fast alles bleibt unausgesprochen, ungefragt. Für mich kaum vorstellbar, dass ein Kind dieses Alters sich damit zufrieden gibt.
Jeder hat, nach Ansicht des Vaters, das Recht auf Geheimnisse. Es gibt beiderseitige zurückhaltende Zärtlichkeit, Liebe, Fürsorge. Geistigen Input in Form von Museumsbesuchen, oder väterlichen Kommentaren zur Weltsicht. Weniger scheint diesen zu interessieren was sein Sohn denkt. Klassische Schulbildung verweigert er ihm.
Ein Team gegen den Rest der Welt. Sie leben im Jetzt. Früher gibt es nicht, nur lautes SCHWEIGEN.
trägt die Beziehung.
Später klassische Fürsorgeumkehr. Der Sohn übernimmt die verantwortliche Rolle.

Sprache & Stil
Direkt, karg, spärlich, aber im ersten Teil auch märchenhaft, mit wunderschönen Bildern, Hoffnung, im zweiten Teil wie eine Reise durch eine verlassene Industrielandschaft zerrissen, kaputt, einsam.
R <=> T
Lakonisch , prägnant mit Unmengen Subtext, der viel Interpretationsspielraum lässt.
Sehr kleine, versteckte Satzperlen „ Der Wind raucht meine Zigarette. Regentropfen drohen sie zu löschen.“ vermitteln den Eindruck, dass der Autor durchaus lebendiger, detailreicher erzählen könnte, sich aber aus künstlerischer Intention zurückhält und so die im Roman vorherrschende Tristesse verstärkt.

Fazit:
Ich war etwas zwiegespalten ob den verschiedenen Teilen und dem enttäuschten Ende, doch die nachfolgenden Diskussionen und Gedanken, eigene Jugenderlebnisse, Gefühlen zu Eltern, Kindern, haben mich entschädigt. Ein Buch was soviel auslöst ist wichtig! Auch wenn mir vieles unklar war, was der Autor nun gemeint hat und mir die Aufklärung einfach zu wenig gab, hat er mir doch durch die Vermischung von märchenhaften Szenen und karger Rand-Sozialdarstellung etwas gegeben. Auch die Diskussion mit meiner Mitrezensentin war aufregend und kontrovers. Ein Buch der Extreme und des Diskurs, es lässt einen jedenfalls nicht gleichgültig zurück.
R <=> T
Sprache, Stil, die gesamte die gesamte Dramaturgie des Buches fußt auf den zuhauf verstreuten losen Erzählfäden die sich im Nichts verlieren und schlussendlich nicht aufgelöst werden. Am Ende des Buches kam ich mir wie ein Esel vor, dem man die Karotte vor der Nase, die ihn zum Laufen treibt, auf immer vorenthält.
Dieser Esel ist verärgert!
Bengtsson hätte die Handlung zu einer Kurzgeschichte verdichten können anstatt den Plot, mit wenig Poesie, in epischer Breite zu strecken.
Kurzgeschichtenverschmäher wie ich hätten sich dann womöglich nicht auf das Buch eingelassen. Aber die Liebhaber, depressionsverhafteter, humorfreier skandinavischer Literatur wären immer noch auf ihre Kosten gekommen.
Die Atmosphäre des Lebens am Rande der Gesellschaft ist gelungen inszeniert. Dennoch. Für mich ein farbloser, ermüdender Roman über die Negierung des Glücks auf den ich gut verzichten hätte
können. Die anschliessende Diskussion hingegen verschafft ihm den wohlwollenden zweiten Stern.

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