Advent 1971 in New Prospect, Illinois, einem langweiligen weißen Mittelklassevorort von Chicago. Wir begegnen der Pastorenfamilie Hildebrandt. Papa Russ ist frustriert, nachdem ihn der charismatische junge Diakon Rick aus der Leitung der Jugendgruppe 'Crossroads' gedrängt hat, die dem Roman den Namen gibt. Russ gockelt nun midlifekriselnd der attraktiven Frances hinterher, die neu in der Gemeinde ist. Seine Frau Marion indes, von der er nichts mehr wissen will, redet sich in heimlichen Therapiestunden die Last ihrer verkorksten Jugend von der Seele: behütet und reich in Kalifornien aufgewachsen, nach dem Bankrott und Selbstmord des Vaters mit achtzehn schlagartig auf sich allein gestellt, Gelegenheitsjobs, eine dramatische Affäre mit einem verheirateten Mann, eine ungewollte Schwangerschaft, Missbrauch, Zeit in der Psychiatrie - und von alldem wissen ihr Mann und ihre Kinder nicht ein Wort! Töchterchen Becky, die Highschool-Königin, macht sich derweil als Groupie an den aufstrebenden Folkmusiker Tanner heran und spannt ihm die langjährige Freundin und Gesangspartnerin aus, um an seiner Seite einen steilen Aufstieg hinzulegen. Ihr jüngerer Bruder Perry, hochbegabt und hyperintelligent, aber leider psychisch äußerst labil, sucht sozialen Anschluss und bangt, dass sein florierender Drogenhandel auffliegen könnte. Der Große, Clem, ist am College und beschließt, sein Studium hinzuwerfen, damit er zum Wehrdienst gezogen und nach Vietnam gesandt wird; er empfindet es nämlich als ungerecht, dass er privilegiert studieren darf, während arme schwarze Jungs in den Tod geschickt werden.
Es ist also was geboten in der Familie. Eine schonungslose Aufstellung von miteinander verwobenen Problemen im Geist jener Zeit der späten Hippies, aber eigentlich hat Jonathan Franzen ja ein ganz anderes Thema. 'Crossroads' ist der erste Teil einer geplanten Trilogie, mit der er sich vorgenommen hat, nichts weniger als einen "Key to all Mythologies" zu liefern.
Und in der Tat finden wir im Pfarrhaus der Hildebrandts schon eine ganze Reihe von Glaubensansätzen. Papa Russ ist der unerbittlichen Strenge seiner mennonitischen Herkunft entflohen und geht jetzt liberal-rational den bequemen Weg. Einmal die Woche bringt er Essens- und Kleiderspenden in eine schwarze Ghettogemeinde, vier Wochen pro Jahr verbringt er mit Sozialarbeit in einem Navajoreservat in Arizona, wo er als junger Mann in der Mesa so etwas wie eine Erweckung erlebt hat. Sonst ist er wie alle gegen den Vietnamkrieg und gegen Nixon, und er findet stets einen Grund, wieso Gott sein sündiges Tun schon nicht so schlimm finden wird. Seine Frau Marion, deren Collegebesuch sich mit der Pleite des Vaters in Luft aufgelöst hat, ist praktischer veranlagt. Sie sucht und findet spirituelle Unterstützung und Hilfe, wo sie sich ihr bietet - dass sie ihren späteren Mann, den Reformistenpastor, ausgerechnet beim gemeinsamen Besuch einer katholischen Messe kennengelernt hat, ist da kein Zufall. Becky, die Tochter, gräbt in einer intensiven Glaubenssuche vor allem nach höherem Beistand, um der kaputten und für sie dysfunktionalen Problemfamilie zu entkommen und in der Kirche und im praktizierten Glauben so etwas wie ein neues Zuhause zu finden. Der labile Perry bereut in depressiven Momenten sein sündiges Tun, will ein ganz normaler Junge sein und gelobt, mit dem Marihuanadealen aufzuhören. In seinen manischen Phasen erhebt er sich zum König der Welt, nein: zu deren Gott sogar , und beschließt, seinen ausufernden Kokainkonsum (für den er bereits die Sparbücher seiner Geschwister geplündert hat) mit einem gigantischen Peyote-Deal zu finanzieren. Clem, der Große, ist (wohl auch aus Abgrenzung gegenüber seinem Vater) zum Atheisten geworden, und daher ganz auf sich allein gestellt, um aufopferungsvoll dem Elend der Welt entgegenzutreten, an dem er still verzweifelt.
Fünf Hauptfiguren, fünf Geschichten, fünf Erzählstimmen mit ganz eigenem Duktus. Das heikle Thema Glaube, das ich in der deutschen Literatur so gar nicht thematisiert finde. Jonathan Franzen hat sich verdammt viel vorgenommen, aber er liefert auch. Schier unerträglich die Situationen, in die sich alle Figuren bringen. Authentisch und bewegend. Klug komponiert und exakt getroffen. Geht es viel besser? Ich denke, nicht.